Frau klagt auf Schmerzensgeld:Totaloperation nach Fehldiagnose

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"Der Unterleib ist total ausgeräumt", sagt die Frau - und ist den Tränen nahe: Die Kinderärztin klagt auf Schmerzensgeld, weil völlig unnötig ihre Gebärmutter entfernt wurde. Doch sie hat vor dem Oberlandesgericht München schlechte Chancen.

Von Ekkehard Müller-Jentsch

"Der Unterleib ist total ausgeräumt", sagt die Münchner Kinderärztin und ist dabei den Tränen nahe. Sie weiß inzwischen, dass die Radikal-Operation völlig unnötig war: Ein Laborarzt hatte die eingeschickte Gewebeprobe irrtümlich für einen ebenso seltenen wie gefährlichen Krebs gehalten. "Ein grober Diagnose-Irrtum", sagt die Münchnerin. Sie hat die Gemeinschaftspraxis für Pathologie auf 100.000 Euro Schmerzensgeld verklagt - allerdings mit sehr schlechten Erfolgsaussichten.

Der Frauenarzt der heute 49-Jährigen hatte im Januar 2009 bei einer Gebärmutterspiegelung einen Tumor bei der Frau entdeckt. Er hielt dieses Geschwulst jedoch für ein gutartiges Leiomyom. Der Gynäkologe nahm eine Probe und schickte sie an die Münchner Labormediziner. Diese Praxis rühmt sich auf ihrer Internetseite besonderer Fachkenntnisse auf dem Gebiet der Tumorpathologie und in der Früherkennung von Tumorerkrankungen.

Diese Pathologen kamen zu der Erkenntnis, dass es sich um ein Stromasarkom handle, einen eher seltenen, aber sehr bösartigen Tumor. Der behandelnde Gynäkologe konnte seiner Patientin daraufhin gar keinen anderen Rat geben, als die Radikaloperation, bei der die Gebärmutter, die Eierstöcke, der obere Anteil der Vagina und weite Bereiche der Lymphknoten entfernt werden. Dabei entferntes Gewebe wurde wiederum in dem Labor untersucht - mit demselben Befund.

Dennoch waren der Kinderärztin inzwischen Bedenken gekommen. Sie veranlasste eine Untersuchung der ersten Gewebeproben in einem sogenannten Referenzzentrum in Jena. Dort stellte man fest, dass es keine Anhaltspunkte für bösartigen Krebs gebe - vielmehr habe der Gynäkologe mit seinem ersten Verdacht auf ein gutartiges Leiomyom recht gehabt.

Für die Münchnerin war das ein doppelter Schicksalsschlag: Erst hatte sie glauben müssen, an lebensbedrohlichem Krebs erkrankt zu sein - dann erfuhr sie, dass die Radikal-Operation völlig unnötig gewesen war.

Gutachter bleibt bei Einschätzung

In erster Instanz ist die Klage der Frau vor dem Landgericht München I jedoch abgewiesen worden. Ein Pathologie-Experte aus Heidelberg hatte dem Gericht als Sachverständiger erklärt, dass die Abgrenzung der beiden fraglichen Tumore sehr schwierig sei - zumal das bösartige Stromasarkom sehr selten sei und es auch Mischformen gebe. Zudem würden die einschlägigen chemischen Untersuchungsmethoden in diesen Fällen "bis zu 20 Prozent" falschen Krebsalarm anzeigen.

In der Berufungsverhandlung am Donnerstag vor dem Oberlandesgericht München blieb der Gutachter bei dieser Einschätzung. Er erklärte die extrem schwierige Materie so, dass der beklagte Pathologe aufgrund chemischer Reaktionen des Gewebes zu Beginn der Untersuchung zu einer falschen Arbeitshypothese gekommen sei. Für ihn als absoluten Fachmann sei unter dem Mikroskop aber klar erkennbar, dass die Krebszellen entlarvenden Farbstoffe in diesem Fall in die Irre leiten. Die Münchner Kollegen hätten bei der Differentialdiagnostik Fehler gemacht.

Die von den Münchnern gestellt Diagnose sei also "unzweifelhaft falsch" gewesen, sagt der Gutachter. Doch er legte auch dar, wie rasend schnell sich dieses Fachgebiet entwickle. Der vorliegende Fall wäre ein guter Stoff für die Facharztprüfung, meinte der Experte - "aber bei einer falschen Antwort würde deswegen keiner durchfallen". Selbst Lehrbücher würden jahrelang hinter den neuesten Erkenntnisse hinterher hinken.

Die Vorsitzende Richterin des 1. Senats fasste daraufhin zusammen, dass die Münchner Pathologen chemische Kontrollreaktionen "überinterpretiert" hätten. Das sei wegen der besonders schwierigen Lage zwar ein Fehler - aber kein "grober". "Ein Puzzleteil wurde falsch gesehen", ergänzte der Gutachter. "Das sehe ich als Experte, aber ich kann trotzdem darin keinen Verstoß gegen den Facharztstandard erkennen." Die damalige Diagnose gefalle ihm nicht, aber er halte sie für vertretbar: "Hätte man die Probe an weitere 50 Institute geschickt, hätte man mit Sicherheit eine Vielzahl unterschiedlicher Diagnosen erhalten."

Die Kammer riet der sichtlich erschütterten Patienten, ihre Klage zurückzuziehen. Die Frau hat nun Bedenkzeit. Andernfalls wird Anfang August das Urteil verkündet.

© SZ vom 21.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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