Filmstadt München versus Berlin:Schön auf dem Teppich bleiben

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Während in Berlin unter maximalem Medienauftrieb das epochale Projekt "Cloud Atlas" präsentiert wird, gibt es aus München den Rekord zu melden, dass die 1643. Folge von "Sturm der Liebe" läuft. Was das über die Bedeutung der zwei Filmstandorte aussagt? Ziemlich wenig.

Christian Mayer

Schauspielerin Christine Neubauer beim Filmball im Bayerischen Hof in München. (Foto: Robert Haas)

Manchmal sieht Berlin einfach verdammt gut aus, zum Beispiel am Montag, an dem in der Hauptstadt maximale Medienaufmerksamkeit erzeugt wurde. "Cloud Atlas" heißt der neue Film von Tom Tykwer und den Wachowski-Geschwistern, ein epochales, für deutsche Verhältnisse beispielloses Projekt, für das die Berliner Produktionsfirma X-Filme sagenhafte 100 Millionen Euro aufgetrieben hat. Ganz großes Kino - das sollte auch die Europa-Premiere am Potsdamer Platz sein, und mit den Schauspielern Tom Hanks, Halle Berry und Hugh Grant gab es richtige Weltstars auf dem roten Teppich zu besichtigen.

An Abenden wie diesen könnte man das Gefühl haben, dass es nur eine Filmstadt in Deutschland gibt, die international mithalten kann. Wer die Dinge oberflächlich betrachtet, könnte neidisch werden auf den Berliner Glitzer und auf die Studios von Babelsberg, in denen Tykwer seinen "Cloud Atlas" gedreht hat. Wenn Berlin so schön leuchtet, wo bleibt dann München, die einstige Hauptstadt des deutschen Films?

Wer diese Frage einflussreichen Managern der Branche stellt, erhält die überraschende Antwort: Der Film- und Fernsehstandort München muss sich nicht sorgen, ins Hintertreffen zu geraten. München habe es nicht mal nötig, mit guten Zahlen zu protzen - auf die könne es sich verlassen.

Filmball im Bayerischen Hof
:Ganz großes Kino

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Lisa Sonnabend

Klaus Schaefer, der Chef des Film-Fernseh-Fonds Bayern (FFF) mit Sitz in der Münchner Sonnenstraße, kennt die deutschen Kinoranglisten und Einschaltquoten, Ranglisten sind sein Beruf, deshalb bleibt er relativ gelassen. "Unsere Produzenten haben die Nase oft vorne - besonders bei den fiktionalen Stoffen", sagt Schaefer. Im Kino groß herauskommen, das ist natürlich der Traum für jeden Filmemacher. 2011 war hier eher das Jahr der Berliner, die mit Til Schweiger ("Kokowääh") und Matthias Schweighöfer ("What a Man") Millionenerfolge feierten. 2012 liegt die Münchner Produktion "Türkisch für Anfänger" vorne, wobei einem in diesem Jahr wieder einmal bewusst wird, wie unberechenbar das Geschäft doch ist, wenn eine französische Komödie wie "Ziemlich beste Freunde" einfach alles schlägt: Berlin, München und sogar Hollywood.

Für Schaefer, dessen Organisation Filme aus Bayern im Jahr 2011 mit 28 Millionen Euro förderte, gehören Schwankungen und extreme Ausschläge zum Alltag; davon darf man sich nicht kirre machen lassen, weil es im Gegenzug auch immer positive Überraschungen gibt. Wer hätte schon damit gerechnet, dass die Geschichte von drei Damen, die im Bayerischen Wald mit Telefonsex Geld verdienen wollen, ein Millionenerfolg werden würde? "Eine ganz heiße Nummer" hieß der Film aus dem Jahr 2011, der in keiner Bilanz fehlen darf, weil der Erfolg so unwahrscheinlich war.

Schauspielerin Brigitte Hobmeier bei der Premiere des Films "Was machen Frauen morgens um halb vier?" in München. (Foto: Robert Haas)

Andererseits sind die Münchner dafür bekannt, dass sie die Dinge einfach professionell erledigen. Für den Standort spricht jedenfalls, dass es hier ein großes Spektrum an Firmen gibt, die sich in ihrem Segment behaupten oder sogar Marktführer sind. Die Constantin als größter deutscher Produzent und Verleiher. Die Bavaria Film, die in Geiselgasteig über ein riesiges Areal mit zwölf Studios verfügt. Die vielfach preisgekrönte Weltfirma Arri, die auf Kameras und technisches Zubehör spezialisiert ist. Nicht zuletzt der Bayerische Rundfunk und die Pro Sieben Sat 1 Media AG, die man beide als deutsche Großproduzenten bezeichnen muss, auch wenn nicht alles gut ist, was glänzt.

Casting- und Schauspieler-Agenturen, Postproduktion, Kinderfilm, Sport-TV, Rechtehandel und nicht zuletzt die Hochschule für Fernsehen und Film, die jetzt ein spektakuläres Domizil am Bernd-Eichinger-Platz hat: Die Münchner drängen gerne nach vorne, am liebsten in die erste Reihe. Manchmal sind sie sogar hilfreich in Hollywood, so wie das Unternehmen Scanline aus Geiselgasteig, das selbst internationale Kinofilme wie "300" mit Spezialeffekten aufmotzt - "und zwar ohne Förderung", wie Klaus Schaefer selbstironisch anmerkt. In anderen Sparten liegt dagegen die Konkurrenz klar in Führung: Berlin dominiert zum Beispiel das Event-Fernsehen und die Talkshows, und der Standort Köln, der auch wichtig ist, produziert wie kein zweiter alle möglichen Comedy-Formate. Mit einer Ausnahme: Bayerische Kabarettisten kommen tatsächlich auch aus Bayern, wenn sie im Fernsehen laufen.

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Ähnlich wie Klaus Schaefer ist auch Matthias Esche, der Geschäftsführer der Bavaria Film, immer ein wenig vorsichtig mit Superlativen. Zum Schaulaufen gegen die Konkurrenz aus Berlin will er lieber nicht antreten. Ein Rekord rutscht ihm im Gespräch dann aber doch heraus: Die Dauer-Romanze "Sturm der Liebe", die in den Bavaria-Studios hergestellt wird, sei schließlich "Europas erfolgreichste Telenovela" - am heutigen Dienstag läuft übrigens Folge 1643. Keine Frage, auch eine industriell gefertigte Sendung wie diese zeigt die Beständigkeit der Filmstadt München.

Bei der Bavaria, die bewusst auf eine Mischkalkulation setzt, steht die Fernsehproduktion im Vordergrund, sie macht etwa 80 bis 85 Prozent des Umsatzes aus, wie Esche vorrechnet. 2000 Menschen arbeiten auf dem gesamten Gelände, etwa 1100 sind fest bei der Bavaria angestellt. In Geiselgasteig zeigt sich, dass die Branche ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für den Großraum München ist. Eine Branche übrigens, von der zahlreiche Dienstleister und Subunternehmer abhängen, wie jeder feststellen kann, der einmal den Abspann eines ganz normalen Kinofilms studiert. Wie viele Menschen in München und der Region im weitesten Sinne für die Film- und Fernsehbranche tätig sind, lässt sich daher nur schätzen; etwas mehr als 10 000 ist wohl eine realistische Größe.

"München ist noch immer ein Magnet für Menschen aus der Branche", sagt Matthias Esche. Doch das sei kein Grund zur Selbstzufriedenheit. "Bei der digitalen Produktion und auch im Entertainment hat München noch Luft nach oben, da müssen wir wachsam sein." Die Bavaria will deshalb weiter investieren; 30 Millionen Euro sind in den vergangenen drei Jahren bereits geflossen, nicht nur in die Infrastruktur auf dem weitläufigen Firmengelände im Süden von München, sondern auch in die Technik. Manchmal fehlt es trotzdem noch an Platz.

Der Film "Cloud Atlas" mit Tom Hanks wurde auch deshalb in Babelsberg gedreht, weil dort, anders als in München, eine große Halle und Außenflächen zur Verfügung standen. Esche würde es daher sehr begrüßen, wenn die Bavaria eine weitere große Filmhalle und somit mehr Studiokapazitäten bekäme: "Wir konkurrieren ja nicht nur mit Berlin, sondern auch mit anderen europäischen Städten."

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Trotzdem: Schon bald werden die Münchner mal wieder für Glamour sorgen. Am 26. Dezember läuft der Historienfilm "Ludwig II." an, ein Prestigeprojekt der Bavaria über den Märchenkönig, und wenn man sich die lange Liste der Koproduzenten und Förderer ansieht, scheint das vor allem eins zu werden: großes Kino.

© SZ vom 06.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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