Filmbranche:Der große Niemand

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Adrian Can, aufgrund seines Aussehens immer als Schurke besetzt, steht stellvertretend für viele Schauspieler aus der dritten Reihe. Der 47-Jährige träumt von einer Filmkarriere, arbeitet aber seit Jahren vor allem in der Autowerkstatt seines Bruders. Das soll sich jetzt ändern, dank einer Rolle bei Luc Besson

Von Philipp Crone

Der Mann schaut finster aus der dunklen Werkstatt. Draußen gehen Männer vorbei, ein Industriegebiet im Münchner Osten, links geht es zum Peitschenstudio, rechts zum größten Bordell der Stadt. Der Mann nimmt den Hörer ab, Augen schmal, Kinn runter, Stimme runter, die schwarze Haartolle fällt ihm über das linke Auge, Blick in die Ferne. "Autoservicecanhallo", raunt die Stimme. In einem Tatort würde man jetzt wissen, dass mit diesem Laden etwas faul ist und der Täter hier irgendwo zu suchen ist, wenn er nicht gerade selbst im Bild ist, dieser schmale drahtige Mann mit dem Töten!-Blick.

Der Mann steht auf, geht durch die Werkstatt seines Bruders und übergibt Berkant Can das Telefon. Ein Kunde, es ist Winterreifensaison Ende des Jahres 2017, ordentlich Betrieb. Der Mann geht zurück, wippender Schritt eines Leichtgewichts, ungefähr so, wie Boxer durch den Ring laufen. Die Hose schlackert ein wenig. Der Mann, es ist der drei Jahre ältere Bruder des Mechanikers, Adrian Can, arbeitet hier, wenn er nicht gerade dreht. Er macht das, was jemand macht, den sie in der Familie "einen Kreativen" nennen, er geht ans Telefon. Das steht auf einem Tisch neben einem Aquarium, in dem die Guppy-Zierfische zucken, sobald Berkant mit dem Hammer die Bremsscheiben abschlägt.

Die Geschichte von Adrian Can ist eine über einen Mann, der sich durchschlägt. Eine Geschichte, wie es sie so viele gibt in der Schauspielbranche, in der wenige sehr viel drehen und viele sehr wenig, so dass sie im Zweifel nicht davon leben können. Es ist eine Geschichte mit Rückschlägen, und eineinhalb Jahre später, im Frühling des Jahres 2019, mit der langsam großen Hoffnung, dass bald alles gut wird, oder zumindest besser. Denn nun darf man immerhin schon einmal den Namen Luc Besson nennen, den Regisseur etwa von Filmen wie "Das fünfte Element" oder "Lucy". Und man darf den Film "Anna" nennen, den Besson gedreht hat, bei dem Can mitgespielt hat und der nun endlich im Juni ins Kino kommt. Das geht im November 2017 noch nicht, da ist noch alles hochgeheim, Besetzung und Handlung.

Winter, Werkstatt, Stadtrand. Der Ort wäre eine ideale Basis, wäre Can wirklich ein Ganove. Aber bei der Vorstellung muss sein Bruder Berkant, dem immer drei Pomadenhaarenstränge übers linke Auge fallen, breit grinsen. Adi ein Ganove? Wie also kommt es, dass Adi, Adrian Can, im Winter 2017 gerade 45 Jahre alt, seit seinem sechsten Lebensmonat Schwabinger, zweite Gastarbeitergeneration, in seinen bislang etwa 100 Filmen circa 100 Mal der Böse war? Ob bei SOKO, Marienhof oder im Tatort. Und das so gut macht, dass ihn sogar Luc Besson für "Anna" mit Helen Mirren oder Luke Evans besetzt hat. Große Namen sind für Can nichts ganz Besonderes mehr, seit er Samuel L. Jackson die Kalaschnikow, "eine echte", vor die Nase gehalten hat in "The Game".

Can ist im wahren Leben das Gegenteil seiner Filmrollen, ein Clown. Ein Clown mit original deutschtürkischer Rotzsprache. Aber wenn er eine Rolle spielt, ist er Gangster, "Gangsterboss mittlerweile". Liegt das am Können oder am Aussehen? Auf jeden Fall an der Ausdauer.

Can sitzt wieder an seinem Platz, Ganovenblick raus auf den Vorplatz, wo zehn Autos auf sieben Parkplätzen stehen, der ganze schmale Mann eine menschgewordene Unterhaltung, eine Ein-Gauner-Show. Gestikulieren, erzählen, das wirkt manchmal mitreißend und manchmal etwas verzweifelt. Meistens mitreißend. Vor allem, wenn er zwischendrin sein Haupt-Schauspielwerkzeug einsetzt, seine Augenbrauen. Brauen runter: böse. Aber geht nur eine Braue hoch, schon kommt der Clown durch. Wer Can kennt wie sein Bruder, der muss aber auch beim Fiesblick lachen. Das Böse funktioniert nur, wenn man den so angenehm lustig mitteilungswilligen Mann nicht wirklich kennt. So wie die Guppys. Die schwimmen gleich an den hinteren Beckenrand, wenn Can die Brauen senkt.

Leo hatte angerufen, sagt Can. "Leo, der am Telefon meinte: Leo hier, kennsdu müsch?" Cans Kinn geht hoch, das kantige Gesicht grinsebreit. "Typischer Türke!"

Mit Türken hat Can gar nicht so viel zu tun. Er wurde zwar in Istanbul geboren, aber sein Vater hatte da schon eine Autowerkstatt in München, die nun 42 Jahre besteht und von Bruder Berkant geleitet wird. Can kam mit sechs Monaten in das Haus in Schwabing, in dem er heute noch wohnt, "in einer anderen Wohnung". Berkant, genannt Berki, grinst hinter einem Opel hervor und sagt: "Seine Wohnung? Eine richtige Single-Wohnung." Adi schaut ihn kurz mit runtergelassenen Brauen an, was natürlich nichts bringt, und sagt dann: "Für meine Eltern ist das natürlich schwer zu ertragen." Dass er nicht wie sein Bruder lebt, "dass ich keinen festen Job, keine zwei Kinder und 'ne fette Alte daheim hab'." Stattdessen? Schreibt Bunte, dass er wieder eine neue Freundin hat. "Eine Neue? Welche denn?" Playboy-Redakteurin, hieß es. "Ah, ja, korrekt, das ist die aktuelle." Das war vor eineinhalb Jahren. Im April 2019 ist er längst wieder Single.

Der will nur spielen - Adrian Can, handwerklich unbegabt, in der Werkstatt seines Bruders. (Foto: Catherina Hess)

Can wirkt wie jemand, der genau weiß, was er will. Und zwar genau das, was seine Eltern nicht wollen. Er ging auf die Realschule, arbeitete da manchmal in der Werkstatt mit, aber nur beim Autowaschen.

Berkant grinst. "Unser Vater hat uns einmal als Kinder einen großen dreckigen Poller holen geschickt. Ich habe lange versucht, den irgendwie zu bewegen, Adi hat ihn einmal angefasst, angewidert auf seine Hände geschaut und es gelassen."

Adi wusch ein bisschen, aber natürlich nur die normalen Autos, "keine Lambo-Dinger", das ist hier nicht das Klientel neben dem Domina-Studio ein Haus weiter. Oft haben sie französische Marken in der Werkstatt, was bei Can so klingt: "Diese Franzenmänner sind so was von brunzen-behindert." Er meint, dass sie schwer zu reparieren sind. Am besten sind die normalen Autos, Opel und so. Das sind solche die "schiebst du für neun Euro rein und fertig".

Adi ging nach der Schule zu Hippo-TV, ihm war längst klar, dass er Schauspieler werden will. Da wurden die Hände, die neben den Guppys Handkantenschläge durch die Luft machen, weder dreckig noch nass. Er war zum Beispiel mit 18 für die Bauchbinden - also die Namensleisten - bei Bravo-TV zuständig. Nach eineinhalb Jahren hörte er auf, jobbte vor sich hin. Call-Center, Geschenke-Laden, Security.

Security? Mit schlackernden Jeans? Can, der Clown, muss wieder grinsen und sagt: "In Lochham auf 'nem Bierfest." Da hat dem Mann aus der Gewichtsklasse Fliegengewicht wohl noch am ehesten sein Gangsterblick geholfen. Anschließend machte Can eine Ausbildung zum Schauspieler im Münchner Zinner-Studio und wurde nach ein paar Wochen zum ersten Mal besetzt, von Regisseur Dominik Graf. Can, zu der Zeit 24, spielte einen Stricher-Jungen und sprach einen Satz.

Peng. Die Bremsscheibe staubt nach dem Schlag mit dem Hammer. Berki lacht, Adi grollt und schiebt die Haare vom linken Auge. Die Brüder haben ein angenehmes Mitteilungsbedürfnis, was bei dem einen zur Schauspielerei geführt hat. Berkant Can kommt zum Aquarium dazu und erzählt die Geschichte des Scheibenschleckers, eigentlich Fensterputzerfisch, der von den Guppys schlimmer drangsaliert wurde als es Adrian Can in seinen sämtlichen Rollen jemals mit einem Opfer gemacht hat. Adrian Can raunt deshalb bald, um wieder über sich zu sprechen: "Ey, wow, Lawrence Bender hat sich bei mir gemeldet." Der Mann ist US-Produzent, Kumpel von Quentin Tarantino und hat "Pulp Fiction" produziert.

Zunächst war Can erst einmal auf "Aktenzeichen XY" abonniert. "Mindestens ein Dutzend Mal." Und was? "Na, da gibt es Verbrecher und Opfer." Pause. "Und da ich nicht aussehe wie ein Opfer ..." Er sieht eben aus wie ein Verbrecher. Was ihm 2017 eine schöne Boulevard-Geschichte eingebracht hat. Auf dem Weg zu einem Filmevent wurde er beim Schwarzfahren erwischt. Er hatte seine Karte vergessen, sagt er. Und hatte auch keinen Ausweis dabei. Dafür trug er einen schönen Schnauzer. Und sah aus wie ein Halunke aus einem Western von Hippo-TV. Die Polizei setzte ihn fest, er saß sogar in einer Zelle, bis alles aufgeklärt war. Als er später beim Event ankam, erzählte er die Geschichte und bekam eine Schlagzeile in Bild. Can sagt es so: "Dank meines Aussehens komme ich für viele Dinge nicht in Frage: Vater, Richter." Das würden die blonden Blauäugigen machen. "Ich mache: Nutten, Titten, Drogen, Waffen."

Und Eigenwerbung. Can geht zu jedem Event, zu dem er in München eingeladen wird. Und er wird auch häufig eingeladen. Den unterhaltsamen vorlauten Pseudo-Verbrecher hat man bei Gesellschaftsfeiern gerne dabei. Mehr Aufmerksamkeit und mediale Bekanntheit, so will er vom Aktenzeichen-Verbrecher und unregelmäßigen Tatort-Halunken weg. Was aber bislang nicht klappt. Bislang war sein größter Erfolg eine drei Jahre dauernde SOKO-Rolle als Pathologe Dr. Yasar. Immerhin kein Gangster. Da waren die Eltern etwas weniger besorgt. "Drei bis fünf Drehtage im Monat" hatte er. Davon kann man leben.

Ein junger Mann kommt rein in die Winterwerkstatt, so schüchtern, dass selbst die Guppys forsch vor an die Scheibe schwimmen. Praktikant ist er, in ein paar Wochen, 15 Jahre alt. Berkant zeigt auf eine Analoguhr, die 11.59 Uhr zeigt, und fragt: "Wie spät ist es?" Der Junge zögert, "kurz vor 12", schaut, "elf Uhr neunundfünfzig und 57 Sekunden." Berkant nickt, der darf das Praktikum machen. "Das frage ich immer", sagt er. "Ich weiß dann, wie einer tickt, ob er genau ist, ob er am ersten Tag um acht oder zwanzig nach acht kommt." Und was würde Adi zur Uhrzeit sagen? Berkant lacht und sagt: "Es ist Mittag."

Die Geschichte von Adrian Can ist eine über einen Mann, der sich durchschlägt. (Foto: Catherina Hess)

Mechaniker arbeiten alleine mit ihren Händen und auf den Millimeter genau. Künstler arbeiten mit anderen und achten auf das, was man nicht in Gramm und Zentimetern messen kann, das Gefühl, die Atmosphäre. Adrian Can kann das. Wenn er im Raum ist, ändert sich etwas. Als ob man Wohlfühl- statt Abgas in die Werkstatt gepumpt hätte. Liegt vielleicht daran, dass dieser "schneidige, markante, hagere, sportliche" Mann (Can über Can) immer versucht, nicht böse zu wirken.

"Ich bin gefangen in meinem Aussehen", sagt Can. Immerhin eines, das Besson zugesagt hat. Blöd für Can, dass der Film bislang nicht in die Kinos kam, weil gegen Besson wegen Missbrauchsvorwürfen ermittelt wurde. Blöd auch, dass ein weiterer Kinofilm, "Eneme" mit Thure Riefenstein, nicht ins Kino kam, weil sich die Verantwortlichen völlig zerstritten.

Berkant ruft Adi zu, dass er einen rechten Handschuh braucht. Der bringt ihm einen. "Ey, das ist ein Linker!" Die beiden Cans schauen sich an, lachen sich kaputt. Can, wie spricht man das? "Ich sage es immer mit einem K", sagt Adrian Can, "weil das Türkische kann keiner, das wäre Tschan." Dann schiebt er das Kinn vor und sagt leise im Verschwörerton: "Can, das heißt das Leben oder die Seele."

April 2019. Can sitzt in einem Café am Jakobsplatz. Diesmal hat ihn nicht die Polizei angehalten, sondern das Sicherheitspersonal der Israelitischen Kultusgemeinde. Can lief mit einer blauen Sporttasche über den Platz und fragte nach dem Weg, erzählt er. "Wie oft ich beim Spazierengehen angehalten werde mit den Worten: ,Ihren Ausweis bitte.'" Irgendwie blöd, wenn ihm alle den Gangster abnehmen, nur die Caster und Regisseure aus der Film-Branche noch zu selten. Und dann ist er ja eigentlich ein Clown. "Ich kann auch lustig sein, aber das glaubt mir keiner auf den ersten Blick", sagt Can. "Aber der erste Blick ist wichtig."

Can schlägt sich weiter durch, Rollenangebote sind sehr rar derzeit. Er arbeitet bei seinem Bruder, hat verschiedene Schauspielagenturen beauftragt und arbeitet mit Sven Sturm zusammen. Sturm war früher Geschäftsführer der Paramount Pictures Deutschland, bekannt in der Branche, und ist nun selbständig. Can und Sturm kennen sich lange, aber erst zuletzt hatten sie engen Kontakt und versuchen, Cans Talent "noch gezielter und breiter" einzusetzen, sagt Sturm. "Adrian ist ein sehr humorvoller, intelligenter Mann, der genau weiß, was und wie er seine Fähigkeiten als Schauspieler einsetzen kann und muss." Sturm hält Can für einen Schauspieler, der "neben den von ihm perfekt gespielten Stereotypen noch viele Facetten hat".

Gerade war er einige Wochen in Hollywood, um eine Greencard zu beantragen, was aber dauern wird und ungewiss ist. Immerhin hat er etwas mitgebracht, ein "L.A."-Tattoo auf dem linken Arm. Auch in der Türkei hat er die Hoffnung, dass sich mal etwas tut. Aber vor allem setzt er jetzt darauf, dass der Kinostart von Bessons "Anna" am 21. Juni ihm einen Schub gibt.

Bis dahin versucht Can es weiter, zäh wie ein Schurke. Mit ordentlich Mitteilungsbedürfnis, mit viel Lebensfreude und jeder Menge Selbstironie. Bis dahin bleibt er, was er ist. "Ein Niemand", sagt Can, zieht die Augenbrauen runter und, während eine Braue wieder leicht hochspringt: "Ein großer Niemand."

© SZ vom 25.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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