Ferien auf dem Bauernhof:Fürs Handy keine Zeit

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In der Naturstation Schafflerhof lernen die jungen Teilnehmer den Umgang mit Tieren und auch das Zusammenleben mit anderen

Von Melanie Staudinger

Picasso könnte viel erzählen von den Stadtkindern. Er könnte von Jungs berichten, die überrascht sind, wenn sie erfahren, dass die Milch im Tetrapack ursprünglich von der Kuh kommt. Oder von Mädchen, die sich wundern, warum Hagebutten nicht wie Getreide auf dem Feld wachsen. Und von Kindern, die sich fragen, ob das abgelegene Jetzendorf noch in der gleichen Zeitzone wie München liegt. Fast drei Jahrzehnte lang hat Picasso mit Kindern gearbeitet, die sich anschauen wollen, wie Menschen auf dem Land so leben, wie das so ist mit echten Tieren und echten Abenteuern.

Volle Konzentration beim Striegeln. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Picasso sieht Kinder heute nur mehr aus sicherem Abstand. Gut 30 Jahre hat das Pferd auf dem Buckel, jetzt genießt es seinen Ruhestand auf dem Schafflerhof bei Jetzendorf. Die Arbeit, die machen jetzt die jüngeren Tiere. Lajosh etwa und der kleine Hobbit. Sie haben heute Besuch von gut einem Dutzend Mädchen und Jungen aus Riem. Den Stall haben die Sechs- bis 13-Jährigen schon ausgemistet. Nun sind die Pferde dran: erst striegeln, mit dem Schlauch nass machen, einseifen und dann wieder abspülen. "Mögen es die Pferde, gewaschen zu werden?", fragt ein Junge. Pädagogin Viktoria Wokurka lacht und streicht Lajosh über den Rücken, der so aussieht, als würde er auf die Dusche lieber verzichten. "Manche ja, manche nein", antwortet sie.

Gemüse pflanzen gehört auf dem Hof mit dazu. (Foto: Niels P. Jørgensen)

In Jetzendorf, eine knappe Stunde nördlich von München, öffnet sich eine Idylle, wie sie viele Kinder nur von Bildern kennen, wenn überhaupt. Die Straße zum Schafflerhof schlängelt sich vorbei an Feldern und kleinen Höfen. Ein selbstgebasteltes Warndreieck vor der Einfahrt weist auf spielende Kinder hin. Doch rein zufällig verirrt sich hierher sowieso niemand.

Seit vier Jahren betreibt der Echo e.V. mit Büros in der Messestadt Riem und in Dachau seine Naturstation, den Schafflerhof, ähnliche Projekte hat es vorher schon an anderen Orten gegeben. Der Verein selbst wurde 1990 gegründet. Unter dem Leitbild "Es ist normal, verschieden zu sein" engagiert er sich in der kulturellen Bildung, in der Inklusion und der Erlebnispädagogik. Er bietet ein Freizeitzentrum, eine Zirkusschule, Beautytage für Mädchen, einen Musikspielbus. Erwachsene können Thai Chi lernen oder töpfern.

Einfach mal im Camp abhängen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Auf dem Schafflerhof lernen die Kinder, dass zum Reiten viel mehr gehört als sich auf ein Tier zu setzen. Sie misten aus, sie pflegen die Pferde, sie satteln sie, sie führen sie. Ganz nebenbei übernehmen sie Verantwortung, sie üben sich in der Zusammenarbeit mit anderen Kindern, sie lernen im Garten, welche Pflanzen man wann ansät und wann sie geerntet werden können, sie erfahren viel über Wildtiere, Nutztiere und Haustiere. Im Matratzenlager in den bunten Bauwagen können Schulklassen und Teilnehmer des Sommerferienprogramms übernachten.

Mit Pädagogin Viktoria Wokurka können Kinder auf dem Schafflerhof viel erleben. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Seele baumeln lassen, sich einfach mal entspannen, Selbstbewusstsein tanken, Selbstvertrauen gewinnen und Spaß haben - das wird für Kinder und Jugendliche immer wichtiger. Viele von ihnen verbringen große Teile des Tages in der Schule oder dem Hort, ganztags ist Programm geboten, Zeit zum Ausbrechen oder zum Nichtstun bleibt nur wenig. Wer viel sitzt, bewegt sich zu wenig. Ferienangebote in der Natur existieren schon länger, sie gewinnen aber mehr und mehr an Bedeutung. Und so verbringen auch in diesen Pfingstferien wieder Tausende Mädchen und Jungen auf Pony- und Bauernhöfen, sie beobachten Luchse im Bayerischen Wald, klettern in Oberfranken oder erkunden die Dolomiten.

Wie begehrt die Programme sind, zeigt diese Geschichte, die oft unter Eltern erzählt wird. Die Tickets für die Erlebnisreisen, die die Stadt München anbietet, seien einmal schneller ausverkauft gewesen als das Konzert der Kult-Metal-Band Metallica. Die steigende Nachfrage spürt auch der Kreisjugendring München Stadt (KJR). "In Zeiten des Ganztagsunterricht ist es wichtig, dass Kinder auch Freiräume haben, in denen sie selbst entscheiden können, in denen sie kreativ werden können", sagt Sozialpädagogin Maria Lindner. Freiräume, in denen nicht alles vorgegeben ist. In der ersten Pfingstferienwoche war sie mit zwölf Kindern zwischen acht und 13 Jahren draußen in der Natur unterwegs. Manche von ihnen hätten das erste Mal in ihrem Leben abgespült oder gekocht. Einige seien erstmals damit konfrontiert gewesen, dass die Dinge teilen müssten, weil sie daheim keine Geschwister haben. Aber alle haben sich auf das Abenteuer eingelassen. Und die Handys, die ließen sie den ganzen Tag freiwillig ausgeschaltet.

Freie Angebote in den Sommerferien finden Eltern und Kinder im Internet auf der Seite www.ferien-muenchen.de

© SZ vom 01.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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