Feierstunde:Bemerkenswert gefährlich

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"Ohne Sie wäre die Stadtgesellschaft nicht die tolerante, bunte Gesellschaft", lobte Oberbürgermeister Dieter Reiter die Preisträgerin Angelika Lex. (Foto: Florian Peljak)

Die Anwältin Angelika Lex erhält den Georg-Elser-Preis der Stadt München

Von Annette Ramelsberger, München

"Herr Oberbürgermeister", beginnt der Laudator und wendet sich an Dieter Reiter, "ich lese Ihnen mal ein Aktenzeichen vor: BY 86 43-00 00 573-14-6. Sagt Ihnen das etwas? Nein? Wissen Sie denn überhaupt, welche Preisträgerin Sie sich heute ausgesucht haben?" Dieses Aktenzeichen gehört zu Angelika Lex. Der Staatsschutz ermittelt gegen sie, seit eineinhalb Jahren. "Das muss was Ernstes sein", sagt Laudator Bernd Kastner von der Süddeutschen Zeitung und blinzelt verschwörerisch. "Ja, Herr Reiter, so ist Ihre Preisträgerin. Irgendwie gefährlich. Bemerkenswert gefährlich."

Verfassungsrichterin, Mutter, Kämpferin

Angelika Lex, geboren 1958 in Rosenheim, Mutter von zwei Töchtern, Anwältin, lange Jahre Verfassungsrichterin in Bayern, jahrelang Stadträtin der Grünen in München. Eine Frau, die das Leben in der Stadt und im Freistaat durch ihren Kampfesgeist über 30 Jahre geprägt hat. Nicht nur der Staatsschutz ermittelt gegen sie. Auch dem bayerischen Innenminister erscheint sie in seinen Albträumen.

So eine kriegt den Georg-Elser-Preis der Stadt München. Ein Preis für Menschen, die Zivilcourage zeigen wie der Schreiner Georg Elser, der im Bürgerbräukeller 1939 ein Attentat auf Hitler verübte und danach gefoltert und erschossen wurde. Es ist ein Widerstandspreis.

70 Jahre Ermordung von Georg Elser
:Einer gegen Hitler

Georg Elser war schon 1939 überzeugt, dass nur der Tod von Adolf Hitler Deutschlands Marsch in den Abgrund stoppen könnte. Akribisch bereitete er seinen Bombenanschlag vor. In den letzten Kriegstagen wurde er dafür noch ermordet.

Von Markus C. Schulte von Drach

Wenn es um Widerstand geht, dann ist man bei Angelika Lex richtig. Selbst ihrer schweren Erkrankung ergibt sie sich nicht. Sie, die erst im Juli eine Operation am Kopf überlebt hat, kämpfte sich zurück ins Leben. Nun führt sie ihr Mann Siegfried Benker, lange Grünen-Chef im Stadtrat, behutsam auf die Bühne. Dort sitzt sie mit einem Kopfverband, zum Stehen zu schwach. Aber kaum macht Lex den Mund auf, ist sie wieder die Kämpferin.

Eine Rede wie ein Vermächtnis

Und legt gleich los: Redet über den Überfall von Rechtsradikalen auf einen Afghanen, der in Ebersberg einen Imbiss betreibt. Dass die Angreifer Messer und Baseballschläger dabei hatten, dass es rechte Schmierereien gab und zwei Menschen bei dem Überfall verletzt wurden. Und dann zitiert sie den Staatsschutzbeamten, der dazu sagte: "Es gibt überall welche, die zu stark rechts tendieren, genauso wie stark nach links." Es folgt ein echter Lex-Kommentar: "Bitte schickt diesen Menschen auf den Parkplatz eines Baumarkts und lasst ihn dort Autos nach rechts und nach links einweisen, aber nehmt ihm seinen Titel als Staatsschutzbeamter weg!"

Klatschen, Lachen, erste Bravo-Rufe. Sie werden sich steigern, bis die Zuhörer am Schluss aufspringen und der Frau auf der Bühne minutenlang applaudieren. Ein Fest wie ein Abschied. Eine Rede wie ein Vermächtnis. Ein Abend voller Witz und Leidenschaft.

Was sich am Dienstag im NS-Dokumentationszentrum ereignet, ist keine Preisverleihung. Es ist viel mehr: Ein Fest der Solidarität für eine Frau, die sichtbar um ihr Leben kämpft. Ein politisches Fanal. Und eine Liebeserklärung. Der halbe Landtag, der halbe Stadtrat, ein Dutzend Nebenklagevertreter im NSU-Prozess sind erschienen, um Angelika Lex die Ehre zu erweisen. Menschen, die sie schätzen, Menschen, denen sie geholfen hat. Oberbürgermeister Reiter erzählt, wie sehr selbst sein Vor-Vorgänger Georg Kronawitter Lex bewundert habe wegen ihrer Haltung, auch wenn sie ihn "unglaublich genervt" habe. Und Reiter sagt: "Ohne Sie wäre die Stadtgesellschaft nicht die tolerante, bunte Gesellschaft. Sie haben München gerechter gemacht."

"Potenziell krimineller als die meisten hier lebenden Ausländer"

Doch wer glaubt, Angelika Lex würde nun milde säuseln, hat sich getäuscht. Sie teilt aus, wie man sie kennt: Nennt den Bundesinnenminister in der Flüchtlingsfrage "vollkommen unfähig" und den ehemaligen Münchner Kreisverwaltungsreferenten Hans-Peter Uhl einen "institutionellen Rassisten". Jener Uhl, der zu ihr gesagt hatte, er halte sie für "potenziell krimineller als die meisten hier lebenden Ausländer".

Lex ist keine, die solche Sätze beunruhigen. Beleidigungen von den richtigen Leuten nimmt sie als Auszeichnung. Sie habe sich über unsinnige Beschränkungen eben einfach hinweggesetzt, sagt sie. Immer wieder hat sie vor Gericht ihren Mann Sigi Benker verteidigt, einmal nur deswegen, weil er Neonazis bei einem Aufmarsch die rote Karte gezeigt hatte.

NSU-Morde
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Das Verhältnis zur Staatsgewalt ist im Hause Lex-Benker gespannt: Die meiste aktive Zeit wurde gegen Lex und Benker ermittelt, auch die Töchter haben schon Verfahren wegen zivilen Ungehorsams am Hals. Dennoch macht Lex immer weiter: Noch mit einem gebrochenen Bein humpelte sie vor eineinhalb Jahren auf eine Demo gegen das Braune Haus in Obermenzing, wo sich Rechtsradikale eingenistet hatten. Beim Heimgehen hatte die Polizei die Demonstranten gefilmt. Dagegen hat sich Lex verwahrt. Der Polizist mit der Kamera hat danach eine Strafanzeige geschrieben. Wegen Störung einer polizeilichen Maßnahme. Das wirft ihr nun der Staatsschutz vor - der gleiche, der findet, dass ein Überfall auf einen afghanischen Imbiss nicht sonderlich rechts ist. "Man braucht schon viel Sturheit, Verbissenheit und Kompromisslosigkeit, wenn man hiergegen arbeiten und gewinnen will", sagt Lex.

Tausendfach Asyl durchgesetzt

Gewonnen hat sie oft. Ihr größer Triumph war, dass Aida, das Antifaschistische Informations- und Dokumentationsarchiv, nicht mehr im Verfassungsschutzbericht steht - es musste nach zähem Kampf vor Gericht aus dem Bericht gestrichen werden. Tausendfach hat sie Asyl für Flüchtlinge durchgesetzt, die Angehörigen eines NSU-Opfers vertreten und ein Grundsatzurteil erkämpft, wonach sich Polizisten nicht mehr inkognito in Versammlungen einschleichen dürfen.

Laudator Kastner hat deswegen noch kurz eine Durchsage gemacht: "An alle Mitarbeiter des Staatsschutzes, die sich gerade inkognito in diesem Saal aufhalten: Seien Sie doch bitte so freundlich und gehen Sie ins Erdgeschoss. Begeben Sie sich dort unverzüglich in die Transitzone, zeigen Ihre Einladung vor und lassen sich registrieren. Sobald Sie in Besitz einer gültigen Duldung sind, sind Sie hier bei uns herzlich willkommen." Kein Staatsschützer hat sich gemeldet, aber Angelika Lex hat laut gelacht.

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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