Fall Schindlbeck:"Die erste Leiche vergisst man nie"

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Grausige Funde im Mordfall Schindlbeck: Wie Polizisten lernen, mit "wenig schönen Bildern"umzugehen.

Susi Wimmer

Ob junge Beamte, die zum ersten Mal einen Verkehrstoten sehen, oder erfahrene Ermittler der Mordkommission, die übel verstümmelte Körper betrachten müssen: Der Umgang mit Leichen gehört für Polizisten zum Alltag. Und trotzdem: "Die erste Leiche, die vergisst man nie", das sagen die meisten Polizisten.

Ein Polizeitaucher sucht in der Isar nach Spuren im Fall Schindlbeck. (Foto: Foto: ddp)

Gerade im Fall des ermordeten Münchners Markus Schindlbeck wird den Beamten Enormes abverlangt. Denn der Täter zersägte sein Opfer in mehrere Einzelteile. Die Arme und der Rumpf des Körpers wurden bereits gefunden, nach dem Kopf und den Beinen wird noch gesucht.

Nach und nach kamen die grausigen Details im Mordfall Schindlbeck an die Oberfläche: Zunächst fand ein Förster den Torso in Tschechien, dann entdeckte ein Angler die Arme in der Isar bei Geretsried. Letzterer Tatsache ist es wohl zu verdanken, dass der Mord so schnell aufgeklärt werden konnte. Vermutlich hatte der mutmaßliche Täter Heiko K. die Arme bei Nacht über die Brücke geworfen. Ansonsten hätte er sehen müssen, dass der Fluss derzeit wenig Wasser führt und die Arme nicht weggespült wurden.

Bis Freitag suchte man den Kopf des Toten vergeblich im Inn, weil Heiko K. in seinen ersten Vernehmungen erklärte, er habe ihn irgendwo bei Altötting in den Fluss geworfen. Erst wenn der in Wien verhaftete K. nach München überstellt ist, wird die Polizei mit ihm nun einen Ortstermin anberaumen. Noch aber suchen Polizisten in Tschechien die Wälder ab nach den Beinen der Leiche.

"Für junge Beamte ist so ein Anblick und auch der Geruch sicher nicht leicht", sagt Klaus Tapfer von der Bereitschaftspolizei in Bamberg. Hier werden die Polizisten ausgebildet und dabei erstmals mit weniger schönen Fotos konfrontiert.

Auch ein Besuch in der Rechtsmedizin in München gehöre mit zum Ausbildungsprogramm. Aber Fälle, die im Kriminalistikunterricht betrachtet werden, könnten den Beamten nicht die echte Erfahrung ersetzen: "Irgendwann kommt die erste Leiche, und dann heißt es: Augen zu und durch", sagt Tapfer. Natürlich verkrafte das nicht jeder Beamte mühelos. "Sollte es für jemanden extrem schwer werden, dann muss er sich einen anderen Beruf suchen", sagt Tapfer.

Das hat ein Beamter bei den Münchner Todesermittlern tatsächlich getan. Nach jahrelanger Arbeit mit und auch an Leichen quittierte er den Dienst. "Er hatte einen ganz speziellen Stadtplan von München im Kopf - und zwar eingeteilt nach Leichenfunden", erzählt Polizeidekan Anreas Simbeck. Als sich der Mann dessen bewusst wurde, habe er gesagt: "Jetzt geht's nicht mehr."

Erst vor kurzem, erzählt Simbeck, habe er für die Münchner Beamten des Kriminaldauerdienstes und die Todesermittler ein Seminar abgehalten über die Bewältigung des Alltags. "Jeder hat reihum erzählt, und es hat sich herausgestellt, dass der Umgang mit Leichen nicht als so schlimm empfunden wird", sagt Simbeck. Solange sich die Kollegen austauschen, mit einem Scherz Spannung ablassen, sei die Belastung zu ertragen. Der Scherz, so sagen sie, helfe aber nur unter Kollegen. "Wenn jemand von Außerhalb eine lustige Bemerkung macht, hört sich für die Ermittler der Witz auf", weiß Simbeck. Denn Außenstehende könnten das Erlebte nicht nachvollziehen.

"Ich brauch' keine Hilfe" - das sei schon die grundsätzliche Haltung von Polizisten, räumt Simbeck ein. Wenn aber Albträume auftreten, verstärktes Suchtverhalten oder Gereiztheit, sei es Zeit, zu handeln. Simbeck bietet Gespräche an, auch in der Kneipe, und lässt die Leute reden. Das hilft. Mit der Zeit, sagt er, werden die Symptome weniger. Allerdings gebe es auch Vorfälle, die die Beamten lange verfolgen.

Eine Einheit der Bereitschaftspolizei war auf der Heimfahrt von einem Großeinsatz, übermüdet und froh, alles hinter sich zu haben. Da kamen sie zu einem Unfall: Sieben Jugendliche waren mit einem Auto verunglückt - alle tot. Sie unterstützten die Kollegen bei der Leichensachbearbeitung. Als der Einsatzleiter sie anwies, den Eltern die Todesnachricht zu überbringen, streikte der Zugführer der jungen Polizisten.

"Das war wohl gut so, denn an dem, was sie an diesem Tag erlebt haben, haben sie lange getragen", sagt Simbeck.

© SZ vom 07.02.2009/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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