Fällungen:Umstrittene Radikalkur

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Diesen Winter sollen 300 Bäume in den Münchner Isarauen gefällt werden, was Naturfreunden sehr missfällt. Laut Stadt ist der Eingriff wegen Schädlingsbefalls unumgänglich

Von Jürgen Wolfram

Gäbe es in München eine Tabelle der öffentlichen Empörung, die winterlichen Baumfällungen an der Isar wären im oberen Drittel fest verwurzelt. Viele Naturfreunde, umweltsensible Erholungsuchende und Landschaftsästheten verstehen nicht, warum die Ufer und Dämme jedes Jahr kräftig ausgelichtet werden. Der nächste Durchgang der "aktuellen Gehölzpflege" fällt noch heftiger aus als im Jahr zuvor: Zwischen der Maximiliansbrücke und der südlichen Stadtgrenze unweit der Großhesseloher Brücke sollen 300 Bäume fallen, davon 230 Eschen.

Viele Erholungsuchende verstehen nicht, warum die Ufer und Dämme an der Isar jedes Jahr kräftig ausgelichtet werden. (Foto: Florian Peljak)

Einzelne davon werden zu Torsi zurückgestutzt, um Nistplätze zu erhalten. Wichtigster Grund für die Radikalkur ist nach Auskunft der Stadtverwaltung ein "eklatant fortschreitendes Eschentriebsterben". Einige Fichten seien zudem vom Borkenkäfer befallen. Auch der Hochwasserschutz erfordere Baumfällungen in den Isaranlagen. Schließlich seien zahlreiche Gehölze abgestorben und nicht mehr standsicher, weshalb sie ein Sicherheitsproblem darstellten.

Kahlschlag am Fluss: Jene Bäume, die mit einem blauen Punkt markiert sind, werden entfernt. (Foto: Florian Peljak)

Mitarbeiter des Baureferats standen in der vergangenen Woche in Mannschaftsstärke bereit, um Lokalpolitikern, Naturschützern, Behördenvertretern und interessierten Bürgern bei zwei Führungen die bevorstehenden Maßnahmen zu erläutern. Zunächst relativierte Gudrun Kloos von der Gartenbauabteilung das Ausmaß des winterlichen Kahlschlags, indem sie die Gesamtzahl der Bäume im betroffenen südlichen Flussabschnitt auf etwa 30 000 bezifferte. Spaziergänger dürften sich dennoch über die Dichte der blau markierten Stämme wundern, an denen sie vorbei kommen; das sind jene Bäume, die demnächst entfernt werden. Wie die Diskussion beim Ortstermin zeigte, schmerzt manchen Beobachter besonders der Verlust von Solitärbäumen in der Flussaue. Aus Gründen des Hochwasserschutzes sei deren Beseitigung jedoch unvermeidlich, beteuern die Leute vom Baureferat, weil sich an ihnen Treibholz verhaken und so den Wasserabfluss in seiner natürlichen Dynamik stören könnte. Überdies müsse man dafür Sorge tragen, dass die Sicht rund um die Wasserwacht-Stützpunkte frei bleibt.

Bei Führungen wird erklärt, dass die markierten Gehölze entweder abgestorben sind oder dem Hochwasserschutz weichen müssen. (Foto: Florian Peljak)

Die Behördenvertreter räumten bei der Besichtigung ein, dass Kompromisse zwischen Natur- und Hochwasserschutz, Freizeitnutzung und Verkehrssicherheitspflicht mitunter schwierig seien. Doch bemühe sich die Stadt nach Kräften, allen Interessen unter Wahrung der gesetzlichen Bestimmungen gerecht zu werden. Die Münchner dürften sicher sein, dass alle Arbeiten dem Zweck dienen, die Qualitäten des Isarraums, wie trockene Magerrasen-Standorte und die alpine Flusslandschaft mit ihrer artenreichen Pflanzen- und Tierwelt, zu erhalten. Zu diesem Zweck werde Totholz im Ökosystem belassen, was Kleinlebewesen zugute komme.

Bestandteil der Pflegemaßnahmen ist auch das Zurückdrängen nicht heimischer Pflanzen. Zum Beispiel zählt der sich ausbreitende Knöterich zu diesen so genannten Neophyten. Gegen ihn will man in diesem Winter mit heißem Wasserdampf vorgehen, ein Pilotversuch. Begrenzt werden müssten die Weidenvorkommen im Hochwasserbett. Dafür seien drei Schnittphasen angesetzt, wobei seltene Weidenarten geschont würden. Die Gehölzpflege unbeschadet überstehen soll ein Biber.

Dass sich die Skepsis mancher Teilnehmer am Rundgang in Thalkirchen nicht rasch in der eisigen Winterluft auflöste, lag auch an der Sorge um die Vogelwelt. Ihr werde mit jeder Durchforstung Lebensraum genommen, vor allem dort, wo man Weidenbüsche dezimiere, gab eine Vogelschützerin zu bedenken. An der Isar bräuchte es "mehr inselartige, lichtere Hecken", sagte sie.

Als Kardinalproblem erkannt worden ist das Eschentriebsterben, ausgelöst durch einen aus Asien eingeschleppten Pilz. Seit 2010 wütet er an den Isarufern und bedroht diese Baumart derart stark wie zuvor ein anderer Pilz die Ulmen, die aus dem Landschaftsbild so gut wie verschwunden sind. Infiziert werden junge und alte Bäume gleichermaßen. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verbiete sich im Landschaftsschutzgebiet jedoch, betonte Gudrun Kloos. Man hoffe dennoch, dass die Esche sich langfristig wieder erholt, weil der Lebensraum Isar für sie ideal sei. Von punktuellen Ausnahmen abgesehen werde das Baureferat keine Ersatzpflanzungen vornehmen, kündigte die Expertin an. Die Gartenbau- und Ingenieurbauabteilungen ihres Hauses setzten darauf, dass sich die Natur von selbst verjüngt. "Das würde ich zu gern noch erleben", lautete dazu der Kommentar eines Kritikers der Baumfällungen.

© SZ vom 11.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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