Europatag:Ein Tempel in der Pampa

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Seit Jahren verfolgt Wilhelm Koch die Idee, in Etsdorf in der Oberpfalz eine Glyptothek zu bauen. Den Europatag feiert man nun mit drei Ausstellungen im schon existierenden Museum

Von Sabine Reithmaier

Wilhelm Koch hat einen langen Atem. Das sei selbstverständlich für einen Luftkünstler, sagt er und denkt dann kurz darüber nach, ob er sich aufgrund der Fähigkeit, Phasen des Stillstands durchzuhalten, nicht lieber Apnoe-Künstler nennen solle. Seit 20 Jahren verfolgt er mit stiller Beharrlichkeit die Idee, in seinem Heimatort Etsdorf (Gemeinde Freudenberg) eine Glyptothek zu bauen, ein transnationales Denkmal für 2500 Jahre Demokratie und den europäischen Gedanken, mit direktem Blick auf die Europastraße E 50.

Im ersten Moment klingt das nur skurril. Was soll ein griechischer Tempel mitten in der Oberpfälzer Provinz? Er sei da schließlich nicht der erste, sagt Koch. Die Bayern seien seit König Ludwig I. von der Antike infiziert. Der Monarch wollte München nach klassisch-griechischen Vorbildern zu einem "Isar-Athen" gestalten, baute die Glyptothek und die "Walhalla" bei Regensburg, letztere mit Anklängen an den Parthenon und bewusst an die Donau als europäischem Fluss gesetzt - "da stehen wir doch in einer guten Traditionslinie." Das Etsdorfer Vorbild sei der Aphaia-Tempel auf der Insel Ägina. "Der steht auch mitten in der Pampa." Abgesehen davon sei es höchste Zeit, an die Verdienste der Griechen um die Volksherrschaft vor 2500 Jahren zu erinnern. "Griechenland ist und bleibt die Wiege der Demokratie."

An der Fassade des Museums leuchtet seit 2018 der Schriftzug Europa. (Foto: Marcus Rebmann)

Als Koch im Jahr 2000 in einem wirtschaftlich eher depressiv gestimmten Deutschland begann, über sein Projekt nachzudenken, suchte er nach einem Symbol für Bürgersinn und Gemeinschaftsgeist. Die moderne Variante eines Tempels, gebaut aus Betonfertigteilen, schien ihm das ideale Motiv dafür zu sein. Die Fokussierung auf Europa ergab sich erst im Lauf der Zeit "während des Reifungsprozesses". Die Glyptothek war zudem nicht das einzige Museum, das sich Koch, Jahrgang 1960, in den Kopf gesetzt hatte. In Amberg initiierte er 2006 das Luftmuseum, das sich Kunst, Kultur und Technik der Luft widmet und von der anfangs sehr skeptischen Stadt Amberg unterstützt wird. Koch hatte die Stadt Jahre zuvor schon einmal zu ihrem Glück gezwungen, als es ihm gelang, 250 000 Euro für eine 20 Meter hohe, begehbare Lichtskulptur allein aufzutreiben und sie mit Unterstützung vieler Helfer zu realisieren. Seinen "Vesuna-Turm", ein Zeichen für die deutsch-französische Freundschaft, schenkte er 1996 Amberg und deren Partnerstadt Périgueux. "Seither weiß ich, was alles möglich ist, wenn man Leute zusammenbringt und für eine Idee begeistert."

Kochs vernetztes Denken kommt auch der Glyptothek zugute, ebenfalls ein echtes Gemeinschaftsprojekt mit ungezählten Unterstützern, darunter Udo Lindenberg, der seit 2005 Tempelpate ist. Seit Jahren engagiert sich ein Förderverein für den Tempel, ist eine Stiftung gegründet, deren Grundkapital 32 Säulenpaten lieferten. Auch das Grundstück existiert bereits, 11 000 Quadratmeter auf einem Hügel über Etsdorf und mit einem Marterl, das an eine vom Blitz erschlagene Frau erinnert. "Ein Zeichen, dass Zeus hier schon tätig war", sagt Koch.

Schon seit 2005 ist Udo Lindenberg, hier links mit Wilhelm Koch, Pate für den geplanten Europa-Tempel. (Foto: Tempelmuseum Etsdorf)

Die Baugenehmigung hat er seit 2009. Ein Jahr später gründeten er und seine Mitstreiter das Tempel-Museum in der ehemaligen Grundschule des Dorfs. Gemeinsam mit dem Sportverein hatten die "Freunde der Glyptothek" das Gebäude vor dem Teilabriss gerettet. Mehr als 2000 ehrenamtliche Stunden investierten sie in die Renovierung, bevor 2010 das Tempel-Museum eröffnete und sich als Kulturzentrum etablierte. Mittelpunkt ist eine Ausstellung, in der Entwürfe und Modelle der Glyptothek Etsdorf präsentiert und die Bezüge zu Münchner Glyptothek und griechischer Architektur dargestellt werden. Regelmäßig gibt es Sonderausstellungen, in denen der Schwerpunkt seit Jahren auf der Auseinandersetzung mit Europa liegt.

Was der schwierigste Moment in den 20 Jahren war? Koch überlegt nicht lange: "Das war 2005, als ich das Projekt zum ersten Mal im Dorfwirtshaus vorstellte." Vor den eigenen Leuten mit dem besonders kritischen Blick, aber auch vorm Regierungspräsidenten und anderen Politikern. Damals existierte wirklich nur seine Idee. An dem Abend klappte alles gut dank des Ouzos, den der Wirt stiftete, und einer griechischen Tanzgruppe. Vielleicht auch, weil den Etsdorfern die seltsamen Ideen ihres Mitbürgers nicht so fremd waren. Hatte er doch dort 2002 die Asphaltkapelle aufgestellt, eine schwarze, begehbare Skulptur, ursprünglich für den Kapellplatz in Altötting geschaffen. Fast müßig zu erwähnen, dass das seltsame Kirchlein mit eigener Konzertreihe schon lang zum Etsdorfer Alltag gehört.

Der Entwurf stammt von Architekt Peter Haimerl, der rechts sein Modell präsentiert. (Foto: Marcus Rebmann)

Bei aller Harmonie am ersten Abend, ganz so glatt ging es dann doch nicht mit der Glyptothek. Die Auseinandersetzungen gingen los, als es um die Baugenehmigung ging. Dem Pfarrer missfiel der Tempel, die Bauern befürchteten zu viel fremde Leute auf ihren Wiesen. Aber aufhalten konnten sie weder Koch noch den Tempel. Inzwischen hat sich auch Peter Haimerl für das Projekt begeistert. Der Name des Münchner Architekten, hoch gerühmt für sein Konzerthaus in Blaibach, garantiert, dass auf dem Etsdorfer Berg kein Walhalla-Nachbau entsteht. Haimerl habe den ersten Entwurf für die Glyptothek gesehen und nur gesagt "so nicht", sagt Koch. Sein Entwurf von 2018 ist eine radikale Neuinterpretation der Tempelidee. Haimerl behält zwar die am Aphaia-Tempel orientierten Proportionen und die Säulenverteilung bei. Aber die 30 Meter lange Halle ist zum Himmel hin offen, die Säulen sind nicht rund, sondern flach und scharfkantig. Die oben geknickten Außenpfeiler bilden Portale, liefern die Illusion eines flachen Dachgebälks, in das sich eine dreieckige geschlossene "Cella" wie ein Keil schiebt. Entstehen wird ein Raum, in dem man zwischen Licht und Schatten über Europa sinnieren kann, ein Denk-mal eben.

Wären jetzt normale Zeiten, würden an diesem Samstag, dem Europatag, in Etsdorf drei Ausstellungen eröffnen und ein großes Fest würde steigen angesichts des zehnjährigen Bestehens des Museums. Das Fest ist verschoben, aber die Ausstellungen sind von Montag an zu besichtigen. Neben einer "Säulenwanderung" mit Fotoarbeiten von Wolfram Kastner und Christian Lehsten sowie einer Dokumentation der deutschlandweiten Initiative "Europa leuchtet" gibt es die "Kollektion Europa". Eine Modenschau, für die die Künstler die Fahnen der 47 europäischen Länder zerschnitten, gemischt und zusammengesetzt haben. Koch erhofft sich ein farbenfrohes Mosaik neuer Bezüge und Kombinationen, die die hoheitliche Formalität in hedonistische Fröhlichkeit verwandelt.

Im Frühjahr 2021 soll der Bau des Europa-Tempels starten. "Es muss ein Zeichen gesetzt werden", sagt Koch, auch wenn er das Geld noch nicht komplett beisammen hat. "Aber es ist doch schön, wenn man feststellt, dass aus dem Nichts was wird."

Infos: www.tempel-museum.de

© SZ vom 09.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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