Ermittlungserfolg:Schockanrufe statt Enkeltrick

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Bankangestellter hilft, Betrug an Seniorin zu verhindern

Von Martin Bernstein

Die Stimme des vermeintlichen Polizisten am Telefon, eine Frau, die im Hintergrund weint und schluchzt. Und dann die schreckliche Nachricht: Die Tochter ist in einen Verkehrsunfall verwickelt worden. In so einem Augenblick geht offenbar die Vorsicht verloren, absurdeste Forderungen erscheinen plötzlich glaubhaft. 60 000 Euro einem Unbekannten übergeben, damit das eigene Kind nicht hinter Gitter muss - und der Bank nicht verraten, wofür das Geld ist, weil sonst 19 000 Euro Steuern zusätzlich fällig werden. Es war natürlich alles falsch: der Polizist, die Geschichte vom Unfall, die angebliche weinende Tochter. Und dennoch hätte eine 83-Jährige aus Ramersdorf am Freitagnachmittag um ein Haar ihr gesamtes Erspartes einem polizeibekannten Betrüger-Clan ausgehändigt. Der Aufmerksamkeit eines Mitarbeiters der Hypo-Vereinsbank ist es zu verdanken, dass die Masche aufflog. Der Bankangestellte rief die echte Polizei, die konnte das Opfer davon überzeugen, dass sie beinahe Betrügern aufgesessen wäre, und zur Mitarbeit bewegen. Die 83 Jahre alte Ramersdorferin mimte den Lockvogel bei einer fingierten Geldübergabe vor ihrer Wohnungstür. Und Zivilpolizisten konnten die Abholerin festnehmen, eine 53 Jahre alte, aus Polen stammende Frau, die in Essen lebt.

Sie ist wohl nur ein kleiner Fisch in der Hierarchie der Bande. Die Hintermänner, nach denen die Arbeitsgruppe Phänomene im Polizeipräsidium jetzt intensiv fahndet, sitzen vermutlich in Polen. Und: Sie sind möglicherweise alte Bekannte nicht nur der Münchner Polizei. Knapp dreißig derartige Fälle registrierte das Kriminalfachdezernat 3 allein im Juli - drei Mal scheiterte der Versuch nur an aufmerksamen Bankangestellten, in zwei weiteren Fällen erbeuteten die Täter jedoch insgesamt 75 000 Euro. Schon damals führte die Spur nach Polen. "Phänomene"-Leiter Jens Liedhegener und sein Team haben Hinweise darauf, dass hinter den Schockanrufen dieselbe Gruppierung der organisierten Kriminalität steckt, die bis vor vier Jahren alte Menschen mit Enkeltrick-Anrufen ausnahm. Ende 2015 waren in einer deutsch-polnischen Razzia Stützpunkte des Clans in Breslau, Posen und Danzig ausgehoben worden.

© SZ vom 12.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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