Erfolgreiche Lungentransplantation:Zum zweiten Mal ein erster Atemzug

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Im vergangenen Jahr hat Christian sein Abitur geschrieben - im Krankenhaus. Er leidet an der Genkrankheit Mukoviszidose. Schließlich ist ihm in einer zehnstündigen Operation eine neue Lunge transplantiert worden - und nun ist auf den ersten Blick nicht mehr zu sehen, was den 20-Jährigen von Altersgenossen unterscheidet.

Stephan Handel

Bei seinem ersten Atemzug war es dunkel und ruhig, und er hatte ihn sich ganz anders vorgestellt. Kein befreites Aufatmen, nichts von diesem guten Gefühl, wenn der Sauerstoff in die Lunge strömt, frisch und belebend. Er hatte das Gefühl, dass die Luft nicht überall hinkam, dass sein Brustkorb nur zum Teil gefüllt wurde, dass er nicht all jene feinen Verästelungen erreichte, in denen doch das Gas in das Blut übergehen sollte. Außerdem tat alles ziemlich weh.

So eine Leidensgeschichte verbindet: Liese Vogl-Vosswinckel, Leiterin der Mukoviszidose-Ambulanz in der Schwabinger Kinderklinik, behandelt Christian seit Jahren - nun ist er erfolgreich operiert worden. (Foto: Carmen Wolf)

Christian tat seinen ersten Atemzug am 9. September 2011. Da war er 20 Jahre alt. Er tat ihn im Aufwachraum des Klinikums Großhadern, wo Frischoperierte darauf warten, dass die Wirkung der Narkose nachlässt. Als das bei Christian geschehen war, machte er zunächst deutlich, dass er einen Stift und Papier brauche. Er schrieb: Man solle ihm doch den Tubus entfernen, durch den er künstlich beatmet wurde. Als das geschehen war, strömte zum ersten Mal Luft in seine Lunge, seine neue Lunge, die ihm soeben in einer siebenstündigen Operation transplantiert worden war.

Christian - seine Eltern haben darum gebeten, den Nachnamen wegzulassen - Christian ist auf den ersten Blick ein ganz normaler junger Mann: T-Shirt, Jeans, Sneakers, die Frisur darf bitte schön auf keinen Fall so ausschauen, als sei sie frisiert, und der Bart hat sich noch nicht so recht entschieden zwischen Flaum und Stoppeln. Was ihn von seinen Altersgenossen unterscheidet, ist auf den ersten Blick nicht zu sehen. Christian leidet an Mukoviszidose; sie machte die Operation im vergangenen Herbst notwendig.

Mukoviszidose ist eine Krankheit, die durch einen Gendefekt entsteht. Dieser verändert den Stoffwechsel in den Körperzellen. Vereinfacht gesagt: Wasser wird nicht mehr in ausreichendem Maß aus den Zellen transportiert. Dieses Wasser fehlt deswegen an Stellen, an denen es benötigt wird - zum Beispiel überall dort, wo der Körper Sekrete produziert. Diese sind deshalb beim Mukoviszidose-Patienten dickflüssiger, als sie sein sollten. Und das tut dem Menschen nicht gut.

Die Bauchspeicheldrüse leidet darunter, die Leber, vor allem aber die Lunge. In ihr sammelt sich Schleim, der sie daran hindert, das zu tun, wofür sie da ist: ihren Träger mit Sauerstoff zu versorgen. Der Schleimansammlung kann mit unterschiedlichten Methoden begegnet werden, mit Medikamenten, mit Physiotherapie, aber auch mit speziellen Atemtechniken. Dafür braucht es jedoch Disziplin - "zwei Stunden am Tag ist ein Patient damit beschäftigt", sagt Liese Vogl-Voswinckel. Sie ist Leiterin der Mukoviszidose-Ambulanz in der Schwabinger Kinderklinik und behandelt Christian seit Jahren. "Aber das erklären sie mal einem pubertierenden Jugendlichen."

Die Disziplin, die Übungen, die Physiotherapeutin, die alle zwei Wochen in die Nähe von Günzburg fährt, wo Christian wohnt - sie können den Zustand stabilisieren, den Fortschritt der Krankheit verlangsamen -, stoppen können sie ihn nicht. Und so musste Vogl-Voswinckel vor fünf Jahren dieses Gespräch mit Christian führen, das er und sie nicht führen wollten: ob er sich auf die Liste der Wartenden für eine Lungentransplantation setzen lassen sollte.

Christian wollte nicht und wehrte sich zunächst mit Händen und Füßen - was durchaus wörtlich zu nehmen ist: "Ich habe trainiert wie ein Wilder", sagt er - die Übungen, die ihm die Physiotherapeutin aufgab, aber auch Sport, so viel ihm möglich war. Er gibt zu, dass die Angst vor der Operation seinen Eifer befeuerte. Tatsächlich gelang es ihm, seinen Zustand einige Zeit stabil zu halten. Aber nicht lange.

Eine wichtige Testgröße für die Lungenfunktion ist der sogenannte FEV1-Wert. Er misst, wie viel Atemluft ein Proband in einer Sekunde ausstoßen kann. Der Wert ist abhängig von Alter und Körpergröße des Probanden - ein durchschnittlicher, gesunder erwachsener Mann erreicht für gewöhnlich rund 4,5 Liter. Bei Christian war der Wert im Lauf der Zeit auf 30 Prozent gesunken - gerade noch 0,7 Liter konnte er aus seiner verschleimten Lunge pressen. Er erinnert sich, dass er immer müde war, keinen Appetit mehr hatte, am Ende war es schon eine Qual zu duschen, weil die feuchte, warme Luft das Atmen zusätzlich erschwerte.

An der Transplantation führte kein Weg vorbei, so viel war klar. Nun musste eine weitere Entscheidung getroffen werden: neue Lunge - oder Abitur? Das Gymnasium in seinem Heimatort besuchte er schon seit Monaten nicht mehr, die Lehrer kamen zu ihm nach Hause und unterrichteten ihn dort. Die Facharbeit hatte er noch gemacht, acht Wochen hatte er dafür gebraucht, weil er höchstens drei Stunden am Tag arbeiten konnte. Thema: der Potsdamer Vertrag, 14 Punkte am Ende. "Diese Energie noch aufzubringen", sagt Liese Vogl-Voswinckel, die Ärztin, "das habe ich grenzenlos bewundert."

Abitur vor Operation, so wurde es beschlossen. An der Schule für Kranke des Städtischen Klinikums sollte Christian die Prüfungen schreiben - Liese Vogl-Voswinckel berichtet von Sicherheitsvorkehrungen, als ginge es um die Bundestagswahl, aber auch vom Entgegenkommen des Kultusministeriums: Christian hätte Pausen machen dürfen, was er jedoch kaum in Anspruch nahm, und wenn er nicht bis zum Ende durchgehalten hätte, dann wäre das bis dahin Erreichte zu einem Endergebnis hochgerechnet worden.

Auch das war jedoch nicht nötig, nun hat Christian ein Abiturzeugnis mit der Note 1,6 in der Tasche. Er sagt, er habe in dieser Zeit, die Operation vor Augen, fast einer "apokalyptischen Einstellung" erlegen: "Das Abitur hat mich zusammengehalten."

Auf der Transplantationswarteliste war er mit der höchsten Dringlichkeit aufgeführt. Auf der Intensivstation der Schwabinger Kinderklinik musste er sich nun aufhalten, damit möglichst wenig Zeit vergeht, wenn der Anruf kommt. Dieser kam am 27. August, Liese Vogl-Voswinckel hat die SMS aufgehoben, die ihr damals ihr Patient schrieb. Sie enthält die üblichen Verstärkungsfloskeln der Jugendsprache, Grundtenor: "Das ist so krass."

Jedoch - es war ein Fehlalarm, ebenso wie jener am 2. September. Ein Woche später jedoch wurde er um Mitternacht geweckt, nun war es wirklich so weit, er sollte nach Großhadern transportiert werden, wo Hauke Winter mit seinem Team zur Operation bereitstand. Christian weiß nur, dass es im Saarland war, wo an diesem Tag jemand ums Leben kam, dessen Lunge zu ihm passte. Liese Vogl-Voswinckel wurde verständigt, machte sich auf den Weg, verfuhr sich, fragte in Solln jemanden nach dem Weg, der war jedoch ein Junkie auf der Suche nach dem nächsten Schuss, und das war sogar für sie dann ein bisschen zu surreal.

Sieben Stunden muste Christian in Großhadern dann noch warten, um 9.30 Uhr morgens begannen die Ärzte, zwei Schnitte anzubringen von der Achsel bis unter die Brustwarze, danach wurde zunächst der eine, dann der andere Lungenflügel ausgetauscht. Nach zehn Stunden war es geschafft.

Christian sagt, er sei schon lange nicht mehr so fit gewesen wie jetzt, ein halbes Jahr nach der Operation. Im Wintersemester will er ein Studium aufnehmen, welches, weiß er noch nicht genau, "irgendwas mit Schreiben". Er findet es komisch, dass andere Transplantierte mit ihrer Lunge reden oder ihr einen Namen geben, als gehöre sie nicht zu ihnen. Auch einen zusätzlichen Geburtstag will er nicht feiern - "ist ja immer noch mein Leben". In dem er aber seinen ersten Atemzug ein zweites Mal tun konnte - wer kann das von sich schon sagen?

© SZ vom 10.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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