Erfahrungsbericht:"Was der Auge kann, kann ich auch"

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Von einem, der nach 52 Jahren Zigarette auf die Elektro-Variante umgestiegen ist - ohne feste Vorsätze

Von Karl Forster, München

Klaus Augenthaler ist schuld. Ausgerechnet der alte Bayern-Verteidiger, der sogar in der Kabine rauchen durfte, ist maßgeblich daran beteiligt, dass ein Mensch, der seit 52 Jahren konsequent durchqualmt, diesen Qualm nun durch Dampf ersetzt. Denn Augenthaler hatte in einem Gespräch mit dem Zweiten Programm des BR gesagt, er werde das nun mal ausprobieren mit der elektrischen Zigarette. Und da dachte der Raucher, der seine erste Simon-Arzt als 13-jähriger Internatsschüler im Dachgebälk der Schäftlarner Klosterkirche anzündete und seither auch bei größeren Krankheitsereignissen nicht auf die Zigarette davor oder danach verzichten wollte: Was der Auge kann (und überraschenderweise die Münsteraner Tatort-Staatsanwältin), kann ich auch. Die Investition von gut 80 Euro war überschaubar, auch weil der sehr junge E-Zigaretten-Berater mit samtener Stimme darauf hinwies, dass ein Liquid-Fläschchen für etwa 6,50 Euro eine Woche reichen könnte. Was angesichts des Konsums eines Päckchens Halfzware in eineinhalb Tagen bei Kosten von sieben Euro die eigenen mathematischen Fähigkeiten nicht überforderte. Diese Berater übrigens, sie müssen alle das gleiche Coaching durchlaufen haben: Jeder sagt im Tonfall des Beichtens, er habe früher "mindestens zwei Päckchen am Tag" geraucht und sei jetzt total clean.

Zeitsprung eine Woche später, Urlaub auf Sardinien: Die beiden Päckchen mit dem Tabak und den Papierchen sind immer noch mehr als halb voll, das erste Fläschchen mit der flüssigen Hexenmischung namens "Texas" aus Tabakgeschmack und Nikotin ist leer, aber der Erkenntnisgewinn groß: Es fehlen einem nicht die Zigaretten als solche, es fehlt vor allem das Ritual "Ich gehe jetzt auf eine Zigarette, ich drehe jetzt eine Zigarette, ich widme mich eine von der Zigarette bestimmte Zeit lang meiner geliebten Sucht." Der Lebensrhythmus scheint gestört. Andererseits ist es nett, beim Autofahren mal eben schnell drei Züge nehmen zu können und dann die kleine Dampfmaschine wieder in der Brusttasche zu versenken.

Groß dann das Hallo zurück am Arbeitsplatz. Die Kollegen Raucher staunen nicht schlecht: "Was, jetzt auch Du?" Fehlt nur noch, dass sie einen "Brutus" nennen. Einer fühlt sich gleich dazu veranlasst, mittels einer Glosse den abtrünnigen Kollegen als einst letzte Bastion der Raucher zu loben, die jetzt allerdings doch weggebrochen sei. Die Kollegin, die sich von einem nach Hause fahren lässt, bemerkt, dass es in dem Auto "nicht mehr so stinkt". Am erstaunlichsten aber: Das morgendliche Ritual im Bad wird nicht mehr durch krampfartige Hustenanfälle gestört, das zeigte sich - welch Überraschung - schon nach zwei Wochen.

Entscheidend zum (bisherigen) Gelingen des Wechsels aber war, da ist sich der nach wie vor Nikotinsüchtige sicher, dass er weder sich noch seiner Umwelt das Versprechen gegeben hat: Hurra, ich steige um. Sondern immer wieder betont hat: Ich setze mich nicht unter Stress. Denn Stress, das wusste er aus 52 Jahren Leben mit der Zigarette: Stress verführt zum Rauchen. Noch aber dampft er lieber. Und denkt dabei an Auge.

© SZ vom 18.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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