Zwischen München und Landshut:Mehr Wildnis in den Isar-Auen

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Bis jetzt scheiterten Renaturierungen der Isar oft an den in der Regel wirtschaftlichen Interessen des Staatsforsts. (Foto: Johannes Simon)

2400 Hektar werden für einen Naturwald aus der Bewirtschaftung herausgenommen. Naturschützer fordern als weiteres Ziel, die Artenvielfalt zu erhöhen

Von Alexandra Vettori, Freising

Viele Aufgaben bleiben, doch verdient wird künftig nichts mehr, so kann man die Planungen für einen Naturwald zwischen München und Landshut auf einen Nenner bringen - aus forstwirtschaftlichem Blickwinkel. Und trotzdem freut sich Alfred Fuchs, der Leiter des Freisinger Forstbetriebs, auf die neue Aufgabe. "Wir schaffen jetzt de facto ein neues Produkt, den Naturwald", drückt er das aus, was in den nächsten Jahren im Isarauwald passieren wird.

Zehn Prozent der staatlichen Wälder in Bayern sollen Naturwald werden, so das Ziel der Staatsregierung. Verfolgt wird das schon seit Jahrzehnten, nun aber soll die Sache, auch als Folge des Artenschutz-Volksbegehrens, zum Abschluss kommen. Was summarisch noch fehlte, liegt größtenteils an der Mittleren Isar. Dort nämlich nutzte man bislang nur einzelne Waldgebiete nicht holzwirtschaftlich. "Wir sind quasi die Lieferanten", sagt Fuchs. 2400 Hektar werden in seinem Betrieb aus der Nutzung genommen, insgesamt umfasst dieser 15 230 Hektar Wald zwischen München, Ingolstadt und Straubing. Prinzipiell, so die Vorgabe für die staatlichen Forstbetriebe, muss der Staatswald Gewinne abwerfen. Und weil das auf den 2400 Hektar Naturwald nicht mehr möglich ist, werde es einen bilanziellen Ausgleich geben. "Da muss der Eigentümer für uns natürlich die Gewinnerwartung reduzieren", so Fuchs.

Aus Sicht der Naturschützer steht ganz oben die Forderung: Der Verzicht auf die Holzwirtschaft reicht nicht, Ziel muss es sein, die Artenvielfalt zu erhöhen. Und dazu braucht es eine Naturaue, nicht nur einen Naturwald. Denn das, was die Isarauen einmal waren, ein Wald, der im Zusammenspiel von Fluss und Land entsteht, das bringt auch den meisten Lebensraum für unterschiedlichste Pflanzen und Tiere. Und genau da sieht Manfred Drobny, Freisinger Grünen-Stadtrat und Geschäftsführer des örtlichen Bund Naturschutzes, die große Chance, die der Naturwald für die Mittlere-Isar-Region birgt: Bis jetzt scheiterten Renaturierungen der Isar oft an den in der Regel wirtschaftlichen Interessen des Staatsforsts. "Und da ergeben sich jetzt ganz neue Möglichkeiten", so Drobny.

Gleichzeitig heißt die Tatsache, dass der Wald sich selbst überlassen bleibt, nicht, dass die Forstarbeiter gar nichts mehr darin tun werden. Nach wie vor liegt die Verkehrssicherungspflicht bei den Staatsforsten, zum Beispiel bei den Hochspannungsleitungen, unter denen Bewuchs fern gehalten werden muss. Der Streifen soll zwar artenreicher werden, Wege für die Mäh-Geräte dorthin braucht es trotzdem. Auch die Besucher benötigen Wege, ebenso die Jäger, um geschossenes Wild mit dem Auto abtransportieren zu können. Allerdings geht der Forstbetriebsleiter schon davon aus, dass es künftig weniger Forstwege in den Isarauen geben wird, "dort wo wir kein Holz rausfahren, brauchen wir auch nicht so viele Wege", so Fuchs. Beim Bund Naturschutz rennt er da offene Türen ein, Wege sind ein Thema, über das Manfred Drobny gerne reden würde. "Da gibt es welche, die führen ausschließlich zu einem Jäger-Hochsitz", sagt er und verbirgt nicht, dass er die Jagd gerne ganz aus dem Naturwald verbannt hätte. Das wird aber wohl nicht durchzusetzen sein, und so wünscht er sich wenigstens eingeschränkte Jagdzeiten und mehr Augenmerk auf Artenvielfalt, auch in der Tierwelt.

Auch Maßnahmen, zum Beispiel gegen Borkenkäfer oder Baumkrankheiten, dürfen nach Abwägung auch im Naturwald ergriffen werden. Schließlich gibt es angrenzende Privatwälder, deren Ertrag nicht geschmälert werden darf. Sogar manch eine Naturfläche braucht die menschliche Hand, Orchideen wie der Frauenschuh etwa können nur wachsen, wo ihre Lebensräume von Gebüsch frei gehalten werden.

Es braucht also einen Plan für die Verwilderung des Waldes, schließlich müssen nach wie vor unterschiedliche Interessen unter einen Hut gebracht werden. Federführend zuständig für das Naturwald-Konzept ist das Amt für Landwirtschaft und Forsten in Erding. Dort ist Stefan Warsönke Leiter der Forstverwaltung. Man befinde sich noch ganz am Anfang, betont er, die erste Stufe sei, "abzuklären, welche Vorstellungen wer hat". Jagd soll weiter betrieben werden, also sitzen die Jäger mit am Tisch. Die Naturschützer sowieso und dazu Anlieger-Kommunen. Stark frequentierten Bereiche zwischen München und Ismaning, bei Freising, Marzling, Moosburg und vor Landshut hat man ausgespart, dort seien einfach zu viele Menschen für einen Naturwald. Dennoch sollen auch die Naturwälder kein eingezäuntes Areal mit Betretungsverbot werden, im Gegenteil. Die wilde Natur soll erlebbar bleiben, also muss auch an die Besucherlenkung gedacht werden. "Das wird sicher lebhafte Diskussionen geben", sagt Warsönke. Einem Zeitplan kann er noch nicht nennen, erst seit kurzem gebe es die Bekanntmachung zu den Naturwäldern im Ministerialblatt. Darin stünden die Zielvorgaben: Primär soll sich die Natur ohne menschliche Eingriffe entwickeln, die Biodiversität sich verbessern, und das alles mit den genannten Ausnahmen.

Warsönke schaut derzeit in die Würzburger Gegend, wo ein Pilotprojekt zum Naturwald läuft und man gerade ein Konzept erstellt. Alfred Fuchs hat derweil schon eine Vorstellung: Wie in Naturparks werde es Wege geben, vielleicht auch Infozentren, er stellt sich das Ganze ähnlich dem Weltwald vor, dessen Konzept man seit Jahren weiter entwickle, mit sehr guter Resonanz. "Wir brauchen das Rad nicht neu erfinden", so Fuchs. Spannend sei das, "eine schöne Arbeit für einen Forstmann". Ein wenig wilder schaue es in den Isarauen jetzt schon aus, sagt er mit einem Lächeln, "wir haben nach dem Frühjahrssturm viele Bäume liegen lassen, wir wussten ja was kommt."

© SZ vom 28.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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