Zwei Jahre nach Eröffnung der A94:Stiller Protest, weithin sichtbar

Lesezeit: 2 Min.

Die Anwohner der Isentalautobahn machen mit Mahnfeuern auf ihre seitdem miserable Lage aufmerksam. Bislang wurde noch keine einzige dauerhaft wirksame Lärmschutzmaßnahme umgesetzt

Von Florian Tempel, Dorfen

Bei der Anfahrt zum Mahnfeuer hintenrum, unter der monumentalen A94-Lappachtalbrücke hindurch, macht sich auf einmal das winzige Lindumer Kircherl bemerkbar. Es ist 19 Uhr, die Glocken läuten. Früher, sehr viel früher, hielten die Menschen zu dieser Stunde inne und beteten das Angelus-Gebet. Heute passiert nichts. Die Glocken läuten hell und klar wie eh und je, doch der Feierabendverkehr rauscht weiter über die Autobahn, in beide Richtung. Der Ostwind weht den Verkehrslärm rüber zum Kirchlein, das jahrhundertelang so idyllisch gelegen war.

Das Lindumer Kircherl war jahrzehntelang das ikonischen Plakatmotiv des Widerstands gegen die Isentalautobahn. Im Sommer war es der Treffpunkt für die hoffnungsfrohen Feste der Autobahngegner. Am zweiten Jahrestag der Eröffnung der Isentalautobahn steht es allein da. Die Glocken läuten jeden Abend automatisch.

Die Menschen, die hier neben der Autobahn leben, sind woanders. Schräg gegenüber auf dem Hangrücken bei Eck, Luftlinie 800 Meter, werden vier mächtige Holzfeuer entzündet. Den ganzen Tag schon war es immer wieder in den Regionalnachrichten im Radio zu hören: Die lärmgeplagten A94-Anwohner machen entlang der 33 Kilometer langen Neubaustrecke von Pastetten bis Heldenstein mit Mahnfeuern auf ihre unverändert miserable Lage aufmerksam. Seit zwei Jahren weisen sie auf ihre durch den Autobahnlärm zerstörte Lebensqualität hin und fordern mehr Lärmschutz. Bislang so gut wie ergebnislos. Die Feuer sind ein stiller Protest gegen den Lärm. Politikerreden will an diesem Abend hier keiner hören.

Auf dem Hangrücken bei Eck brannten mächtige Holzfeuer. Im Hintergrund sind die Lichter der Fahrzeuge auf der A94 zu sehen. (Foto: Renate Schmidt)

Für die Mahnfeuer-Versammlung haben sie extra ein Stück eines Maisackers platt gemacht. Früher, es ist noch nicht so lange her, stand hier der Schwammerl, ein großer Pilz aus Holz und Blech, der diesen Aussichtspunkt übers Isental markierte. Heute sieht man von hier die Autobahn ziemlich gut. Vier Holzstöße, jeder meterhoch aufgeschichtet, brennen dementsprechend unübersehbar für die Autofahrer, die unten vorbei rauschen. Ob das Eindruck macht, weiß man sicht so recht.

Es sind nicht sehr viele Leute gekommen. Es sind weniger als im vergangenen Jahr. Dabei ist es ein schöner Septemberabend, klar und trocken, und die Sonne geht mit einem herrlichen Farbenspiel unter. Die großen Holzfeuer, die den Platz in ein warmes Licht tauchen, die mächtigen Flammen im Wind und der knisternde Funkenflug, es wäre alles so schön, wenn es nicht so deprimierend wäre.

Die Gespräche drehen sich um die immer gleiche Themen: Die schreckliche Grenzwerte, die Menschen, die in Einöden und Weilern neben der Autobahn leben, so viel Lärm zumuten, als ob sie als Hausmeister in einem Industriegebiet wohnten. Die heimlichen Änderungen am Lärmschutz auf den Brücken. Die nicht gehaltenen Zusage, höhere Lärmschutzwälle aufzuschütten statt eines nutzlosen Bergs, der nun über das Isental hinausragt. Das Versprechen von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sich für mehr Lärmschutz einzusetzen. Das 120 Stundenkilometer-Tempolimit, das es auch schon seit einem Jahr nicht mehr gibt, das aber eh wenig gebracht hat, weil der meiste Lärm von den Lastwagen ausgeht. Wie es überhaupt sein kann, dass die Lastwagen ungestraft schneller fahren dürfen, als erlaubt ist, und deswegen noch mehr Krach machen.

In zwei Jahren gab es so viel Diskussionen und Gespräche, Treffen mit Politikern und offene Briefe an sie, Messungen und Gutachten, Resolutionen und Petitionen - aber bislang keine einzige konkrete und dauerhaft wirksame Lärmschutzmaßnahme. Das kleine bisschen, was kurz vor der Bundestagswahl stolz angekündet wurde, erscheint wie ein Witz: An den polternden Übergängen der Autobahnbrücken soll mit einer wissenschaftlichen Studie erkundet werden, ob sich dagegen etwas machen ließe. Für die Menschen an der Isentalautobahn ist es dennoch ein kleiner Hoffnungsfunken. Aufgeben geht nicht.

© SZ vom 02.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: