Wie gestern:Parallelen zur Gegenwart

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Karl-Heinz Zenker, Vorsitzender des Hallbergmooser Heimat- und Traditionsvereins, erinnert die heutige Flüchtlingsdiskussion an die Zeit vor rund 70 Jahren, als die Heimatvertriebenen aus dem Osten eintrafen

Von Peter Becker, Hallbergmoos

Flüchtlinge zu integrieren ist eine schwierige Aufgabe. Diese zu bewältigen, stellt Gesellschaften auf die Nagelprobe. Das ist in der Gegenwart so und vor etwa 70 Jahren, als die Heimatvertriebenen aus Osteuropa im Landkreis Freising eintrafen, war dies auch nicht anders. Karl-Heinz Zenker, Vorsitzender des Hallbergmooser Heimat- und Traditionsvereins, hat sein 40. Sammelblatt den Flüchtlingen und Heimatvertriebenen aus dem Zweiten Weltkrieg gewidmet. Ebenso wie die Schutzsuchenden, die in jüngster Zeit aus den aktuellen Kriegsgebieten im Landkreis eintrafen, stießen diese zum Teil auf Ablehnung durch die Bevölkerung. Mit eine Ursache war, dass die Vertriebenen aufgrund der Wohnungsnot zwangsweise einquartiert wurden.

Wie sich Ressentiments damals Luft verschafften, erinnert Zenker an die Pegida-Aufmärsche der Gegenwart. Bei seinen Recherche zum Sammelblatt stieß er auf eine Passage, die 1947 auf einer Kundgebung des Bauernverbandes in Traunstein fallen. Redner war Jakob Fischbacher, Mitbegründer der Bayernpartei und des Bayerischen Bauernverbandes. Darin war die Rede von einem nicht enden wollenden Strom von Flüchtlingen, Angst vor Kriminalität und Fremdenfeindlichkeit. "Die Flüchtlinge müssen hinausgeworfen werden, und die Bauern müssen dabei tatkräftig mithelfen", forderte Fischbacher seine Zuhörer auf. Er wettert gegen Hochzeiten zwischen einheimischen Bauernburschen und zugewanderten Frauen - "geschminkten Weibsen mit lackierten Fingernägeln". Sein Parteifreund Andreas Schachner klagte, dass sich so viele Fremden an den bayerischen Futterkrippen bedienten. Es seien Pogrome nötig, um die Gerechtigkeit wiederherzustellen.

Zenker stammt selber aus einer "Flüchtlingsfamilie", wie er in seinem Sammelblatt schreibt. Der Vater stammt aus Niederschlesien, kam über Kötzting nach Freising und begann bei den dort stationierten amerikanischen Streitkräften als Lagerarbeiter. Zenkers Mutter war vom Sudetenland im Frühjahr 1943 nach Freising gekommen. Untergebracht war sie mit vielen anderen Flüchtlingen zusammen in der einstigen Gastwirtschaft "Hacklbräu". Der als Unterkunft hergerichtete Saal war mit Decken abgetrennt. Nach der Heirat, finanziert durch einige Stangen Zigaretten, wohnten Zenkers Eltern zunächst in einer kleinen Wohnung an der Moosach. Weil der Vater kein geräumigeres Domizil zugewiesen bekam, baute er vor Zenkers Geburt auf dem Muna-Gelände, der heutigen Waldsiedlung, ein kleines sogenanntes Behelfsheim.

Der Vorsitzende des Hallbergmooser Heimatvereins beschreibt in seinem Sammelblatt das Schicksal einiger Familien von Vertriebenen, die das Schicksal nach dem Zweiten Weltkrieg nach ins Moos führte. "Die wohl größte Odyssee", schildert er, habe wohl Oskar Hiller hinter sich. Geboren wurde er 1927 in Bessarabien in Nordrumänien. Aufgrund eines deutsch-russischen Abkommens musste seine Familie 1940 die Heimat verlassen und kam nach Freising. 1941 bekamen Hillers Eltern einen Hof im polnischen Wartheland zugewiesen. Er selbst wurde 1944 zur Wehrmacht eingezogen, kämpfte an verschiedenen Einsatzorten und kam 1945 nach Hallbergmoos. Herbert Feike, Verfasser der 150-Jahrchronik von Hallbergmoos und Hauptlehrer, kam aus französischer Gefangenschaft 1956 in die Moosgemeinde.

Johann Rentz, geboren 1919, stammt aus dem einstigen Königreich Jugoslawien. Bei seinem Vater lernte er das Maurer-Handwerk. 1941 wurde Rentz in die jugoslawische Armee eingezogen und geriet in Kriegsgefangenschaft. Als Angehöriger der deutschen Volksgruppe kam er rasch wieder auf freien Fuß, wurde aber 1943 in die Wehrmacht eingezogen. Von seiner Frau und zwei Kindern getrennt, kam Rentz 1946 nach München. Dort war er als Polier beim Wiederaufbau des bayerischen Regierungsgebäudes an der Maximilianstraße beschäftigt. Im Notzingermoos ist die Familie einer Tante einquartiert, der sich Rentz anschloss. Seiner Frau gelingt 1947 mit den Kindern und ihren fünf jüngeren Geschwistern die Flucht aus dem berüchtigten Internierungslager Gakowa in der Batschka. 1949 eröffnet Rentz in Hallbergmoos einen eigenen Baubetrieb.

In Hallbergmoos sei die Einquartierung der Flüchtlinge durch den Bürgermeister und Kommissionen erfolgt, welche in Frage kommende Häuser zunächst in Augenschein genommen hatten. "So lebten oft ganze Familien in nur einem Zimmer", schildert Zenker. Fließend Wasser sei kaum vorhanden gewesen, Wärme spendete oft ein beschlagnahmter Ofen. Üblich war auch in die Unterbringung in Sälen, Baracken und anderen öffentlichen Gebäuden. "Oberster Grundsatz allen Handelns galt dem Überleben", resümiert Zenker. Auf irgendwelche Befindlichkeiten, etwa der Religionszugehörigkeit, wurde keine Rücksicht genommen. Was im katholisch geprägten Bayern, in das auf einmal viele Evangelische zuzogen, nicht immer problemlos war.

In den Ortschroniken, schreibt Zenker, habe die Flüchtlingswelle nach dem Zweiten Weltkrieg keinen Niederschlag gefunden, resümiert Zenker. In diesen werde nur auf den Bevölkerungszuwachs verwiesen. So hatte Hallbergmoos nach der Volkszählung vom 17. Mai 1939 genau 1309 Einwohner. Bei der nächsten am 13. September 1950 waren es 1831. Unter Berücksichtigung aller Gefallenen, Vermissten und des Geburtenüberschusses habe der Bevölkerungszuwachs 486 Personen. Dabei könne es sich nur um die Flüchtlinge handeln, folgert Zenker.

© SZ vom 23.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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