Warme Suppe im Winter:Leberkässemmel oder Cannabis-Eistee

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Thomas Bacher betreibt mit seiner Frau den Kiosk "Proviantikus" am Echinger Bahnhof. Die Wünsche seiner treuen Kunden kennt er bereits, bevor diese überhaupt seinen Laden betreten haben

Von Clara Lipkowski, Eching

"Ach, da ist der Reno", sagt Thomas Bacher, als er an einem Dienstagnachmittag im Kiosk "Proviantikus" neben der Theke auf einem der Bar-Stühle sitzt. Reno betritt gerade den Laden und schaut verdutzt. "Wie, du arbeitest nich?"

Üblicherweise ist Thomas Bacher nämlich hinter dem Tresen anzutreffen, ihm gehört der Pavillon-Kiosk am Echinger Bahnhof. An diesem Tag nimmt er sich aber Zeit für ein Gespräch, den Reno bedient seine Frau. Nach fünf Jahren als Kioskinhaber kann er so einiges berichten. "Ja, man kriegt schon viel mit", sagt der 44-Jährige. "Zig Kunden kennen wir mit Namen. Da wissen wir schon, was sie wollen, bevor sie den Laden betreten", sagt er und lächelt verschmitzt. Der Reno zum Beispiel, der nimmt ein Bier.

"Wir", das sind Thomas Bacher, seine Frau und die beiden Kinder - Sohn und Tochter sind fast erwachsen - und zwei Aushilfen. Sie stemmen die Arbeit im Laden, die Kinder helfen, wenn viel tu tun ist. Wenn Bacher mal nicht Zigaretten verkauft, Ware verräumt oder gerade die Fritteuse für Pommes bedient, ist er entweder in der Metro zum Einkauf oder erledigt daheim in Allershausen Büroarbeit. "Selbstständig zu sein hat halt Vor- und Nachteile", sagt er. "Einerseits hat man keinen Chef, andererseits hat man ein Problem, wenn man krank ist oder in den Urlaub will." Aber alle zwei Jahre gönnt sich die Familie mal zwei Wochen Urlaub am Stück, erzählt er.

Gewöhnlich aber sperrt jemand den Kiosk am Echinger Bahnhof in der Früh auf. Von 5.30 Uhr an werden Semmeln und Brezn geschmiert und die große Theke zwischen den Zeitschriftenregalen bestückt. Der gelernte Konditormeister legt Wert auf frische Backwaren, die Brötchen lässt er sich aus einer Fahrenzhausener Bäckerei bringen.

Außer Semmeln gibt es Obstsalat, Gebäck und selbstgemachte Marmeladen. "Wir machen halt alles selbst, das finden die Kunden gut", sagt er. Wenn es draußen kalt ist, kriegen Kunden beim "Proviantikus" warme Suppe, zu Weihnachten backt die Familie Lebkuchen.

So früh am Morgen kämen auch die ersten Kunden, berichtet Bacher, das seien vor allem die, die am Flughafen arbeiten und sich mit "Wurschtsemmel" und Zigaretten eindecken. Überhaupt profitiert das Geschäft von der Lage: Die S-Bahn hält etwa alle 20 Minuten vor der Tür, auf dem Vorplatz bringen Schulbusse morgens und mittags zahlreiche Kinder. Unterstellmöglichkeiten gebe es so gut wie keine, erzählt Bacher, "wenn's regnet, kommen sie halt alle zu mir", sagt er und grinst.

Die Kunden seien sehr unterschiedlich, erzählt Bacher. Am Wochenende kämen vierjährige Kinder mit dem Zettel in der Hand zum Semmelholen zu ihm. Und 90-Jährige kauften Fahrkarten bei ihm, berichtet er. Eine Frau mittleren Alters kaufe alle zwei Tage Cannabis-Eistee, Jugendliche fragten nach amerikanischen Limos. "Bei den jungen Leuten zieht so was." Bacher, weiß genau, was seine Kunden wollen. Der Klassiker, Leberkässemmel, geht generationenübergreifend über die Ladentheke. Probleme mit Kunden habe es eigentlich keine großen gegeben, sagt Bacher. Kurz wird das Gespräch unterbrochen, gerade brettert ein Güterzug geräuschvoll am Geschäft vorbei. Weg ist er, weiter geht's.

Einmal habe jemand über Nacht versucht, ein Fenster einzuschlagen und hin und wieder fehle ein Aschenbecher. "Das brauchen manche wohl", ruft die Ehefrau über die Ladentheke. Aber der Alkohol, den sie verkaufen, verursache eigentlich keine Probleme, sagt Bacher, höchstens ein-, zweimal im Jahr falle einer ein bisschen unangenehm auf. Wenn es so gut läuft, will er denn expandieren? Daran gedacht habe er, ja, das richtige Objekt aber noch nicht gefunden.

Und weil es so schön ist, erzählt er noch eine Anekdote zur Wiesn-Zeit. "Da ist es manchmal besonders nett", sagt Bacher. "Einmal hat eine Gruppe Männer aus Dortmund bei uns Bier gekauft und wollte dann die S-Bahn Richtung München zur Wiesn nehmen." Beim Bacher am Kiosk gefiel es den Männern aber so gut, dass sie sich auf seiner Terrasse niederließen und dort auf die S-Bahn warten wollten. Als die S-Bahn kam, hechteten sie los - ohne Erfolg, die Bahn fuhr ohne sie davon. Mit der Wartezeit stieg der Alkoholpegel - der Bacher hatte ja genug Bier vorrätig - die Gespräche wurden interessanter. Und die nächste S-Bahn fuhr ohne die Gruppe. Die nächste auch. Schließlich stellten die Männer fest: "Zur Wiesn brauchen wir jetzt auch nicht mehr", kauften beim Bacher Thomas einen Kasten Bier und gingen zurück ins Hotel. "Nette Jungs", sagt der und lacht.

© SZ vom 16.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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