Vortrag in Grafing:Was die Toten verraten

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Außer Cartoons zeigt Rechtsmediziner Oliver Peschel auch Fotos von seinen Fällen - nichts für schwache Nerven. (Foto: Christian Endt)

Rechtsmediziner Oliver Peschel erzählt im Trauerhaus Imhoff von seinem Alltag als Forensiker und von den Schwierigkeiten bei der ärztlichen Leichenschau

Von Nathalie Stenger, Grafing

Die Gedärme quellen heraus, Blut scheint überall verströmt zu sein und kollektiver Ekel geht durch die Reihen, als das Publikum die Bilder von verstümmelten Leichen auf der Leinwand sieht. Oliver Peschel scheint das alles nicht mehr zu schocken. Der Rechtsmediziner aus Grafing, der an der LMU forscht und lehrt, hält im Trauerhaus Imhoff in Grafing-Bahnhof einen Vortrag zu seiner Profession und zum Thema ärztliche Leichenschau.

Die ganze Veranstaltung wirkt auf den ersten Blick ein bisschen makaber. Wahre Geschichten aus der Gerichtsmedizin in einem Trauerhaus? Passend dazu wird der Raum großzügig von Kerzenschein beleuchtet. Von deswegen getrübter Stimmung fehlt aber jede Spur. Schon vor Beginn der Veranstaltung herrscht beinahe Stammtischatmosphäre im Trauerhaus, die Gäste unterhalten sich angeregt und sind sichtlich gespannt darauf, was der Abend bringen wird. Nachdem sein Vortrag von Angela Imhoff als etwas "Schaurig-Schönes" für diese Jahreszeit angekündigt wurde, beginnt Oliver Peschel mit der Musik aus Tatort.

Normalerweise halte er Leichenschauabende für Ärzte, Standesbeamte und Polizisten, erzählt er, hier sei es diesmal ein weniger spezifisches, dafür umso mehr interessiertes Publikum. Er freue sich sehr, in seinem Heimatort von seiner Arbeit zu erzählen, sagt er und stellt dann direkt das Dauerproblem, um das es sich an diesem Abend handeln soll, vor: "Die ärztliche Leichenschau. Vom Gesetz verpflichtet, muss ein Arzt folgendes feststellen: Erstens: Ist der Mensch tot? Zweitens: Welche Umstände liegen vor beziehungsweise muss man nachuntersuchen?"

Dass diese scheinbar simplen Aufgaben manchmal alles andere als einfach sind, wird in den nächsten zwei Stunden viele Besucher erstaunen. Peschel zeigt die Ergebnisse der Görlitzer Studie zur Zeit der DDR. 1347 Menschen wurden innerhalb eines Jahres obduziert, dabei zeigte sich, dass die Ergebnisse der Leichenschau-Diagnose und der Obduktion nur in der Hälfte der Fälle übereinstimmten. Der Rechtsmediziner zeigt dazu ein Bild einer Leiche, die bäuchlings auf dem Seziertisch liegt. Er wendet sich an die Handvoll anwesenden Ärzte: "Woran stirbt der Mensch hier?" Als neben der Standardantwort "multiples Organversagen" und der medizinischen Lieblingsdiagnose "Kohlenstoffmonoxidvergiftung" auch die Polizisten in der Runde keine Lösung wissen, löst Peschel das Rätsel auf: Die Frau auf dem Bild war verblutet. Woher er das wisse? Peschel krempelt seine Hemdsärmel nach oben. Ganz entspannt, ohne jegliche Eile. Dass hinter dem Arzt währenddessen immer noch Eingeweide zu sehen sind, stört ihn nicht. Endlich bricht er das Schweigen: "Ich schneid halt auf und schau da rein." Anders als der Arzt bei der Leichenschau, könne er das nämlich.

In diesem charmant-witzigen und wortgewandten Charakter verläuft der restliche Vortrag. Die Leute schätzen wild umher, als es um Tötungsdelikte in Deutschland geht. Sind es 5000 im Jahr? Oder sogar 10 000? Hohe Zahlen schallen durch den Raum. Es sind in Wahrheit nur 700 bis 800 Fälle jährlich, erklärt Peschel, dass es aber normal sei, dass man so denke, da man ja abends im Fernsehen gefühlt ein Dutzend Morde sehe.

Dabei sei die Angst vollkommen irrational, Deutschland gehöre zu den sichersten Ländern weltweit. "Studien zeigen, dass man am meisten Angst haben sollte" - hier ruft es aus einer hinteren Reihe: "vor dem, der neben einem schnarcht!" - und Peschel nickt lachend, "Ja, vorm eigenen Ehepartner." Trotz der vielen Witze, die auch das Bestattungsinstitut Imhoff nicht verschonen, wird viel gelernt. Das Problem bei der ärztlichen Leichenschau bestehe ganz oft darin, dass die durchführenden Ärzte schlichtweg keine Übung darin hätten.

Das Bestattungsgesetz, das in jedem Bundesland anders ist, besagt, dass ein Arzt für wenige Tote zuständig ist, was dazu führe, dass die Routine fehle. Folglich machen betroffene Ärzte leicht mal falsche Diagnosen bezüglich Todeszeit, Todesursache und Todeszeichen, was Schwierigkeiten mit dem Gesetz mit sich bringen kann. Wichtig sei vor allem eines: "Sobald etwas an der Leiche gegen einen natürlichen Tod spricht, muss die Polizei eingeschaltet werden."

Mit einer ganzen Menge weiterer Leichen auf der Leinwand und schockierenden Geschichten, insbesondere aus dem Pflegebereich, macht der Professor, der sich übrigens auch um die Konservierung Ötzis in Bozen kümmert, deutlich, dass "einfach alle aufmerksamer sein müssten". Ärzte, Polizisten und Beamte. Damit unnatürliche Tode aufgeklärt werden und je nach Situation Prävention geleistet werden könne. Wenn man sie lasse, könne die Medizin nämlich wirklich viel erreichen.

© SZ vom 14.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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