Taufkirchen:Wickeltalent

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Nur den "Wellness-Faktor" muss er noch lernen: Majid (l.) mit Friseurmeisterin Irmgard Bergmann. (Foto: R. Schmidt)

Majid, ein 16 Jahre alter Flüchtling aus Syrien, macht ein Praktikum bei einem Friseur in Taufkirchen. Seine Chefin ist begeistert

Von Sebastian Fischer, Taufkirchen

Majid greift den Haarschopf, sprüht etwas Wasser drauf, kämmt ihn einmal durch und dreht den Lockenwickler ein. Irmgard Bergmann steht ihm gegenüber und nickt zustimmend. "Er hat die richtige Handhaltung", sagt die Friseurmeisterin, "den richtigen Griff und keine Berührungsängste", eindeutig: "Er hat Talent."

Gut, das mit den Berührungsängsten ist gerade nicht so wichtig, Majid frisiert ja bloß einen Puppenkopf. Aber dass er Talent hat, hört er gerne, er lächelt. Majid, 16, aus Syrien ist ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling, der seit ein paar Wochen in Taufkirchen an der Vils lebt. In diesen Tagen macht er ein Praktikum in Bergmanns Salon "Haarmonie". Wobei: Ein richtiges Praktikum ist es noch nicht, er hat nur mal reingeschnuppert, an zwei Tagen in der vergangenen Woche. Ende August bleibt er eine ganze Woche. "Das ist wichtig für meine Zukunft", sagt Majid. Gerade macht es ihm aber vor allem erst einmal ziemlich viel Spaß. Schnell hat er die zweite, dritte, vierte Rolle in das braune Haar gewickelt.

Wie wichtig es ist, dass Majid Locken wickeln kann und junge Flüchtlinge in Deutschland Arbeitserfahrung sammeln können, hat zuletzt auch die Bundesregierung erkannt. Das Kabinett beschloss Ende Juli eine Neuregelung, wonach Asylsuchende künftig keine Genehmigung der Bundesagentur für Arbeit mehr brauchen, um ein Praktikum zu absolvieren.

Weiterhin braucht es dafür aber Menschen wie Irmgard Bergmann. Sie hörte von einer Kundin, dass die jungen Flüchtlinge, die in Taufkirchen im früheren Gasthof zur Post leben, Praktikumsplätze in den Ferien suchen, wenn sie nicht wie Majid die Berufsschule besuchen oder Sprachkurse absolvieren. Bergmann, 50, zweifache Mutter, lud Majid ein. "Wir haben ja öfter Praktikanten", sagt sie. Alles ganz selbstverständlich.

Bergmann und ihre vier Mitarbeiterinnenhaben Majid dann ein paar Begriffe erklärt. Er versteht ja viel, aber was eine Farbschale oder eine Watteschnur sind, mussten sie ihm schon zeigen. Bergmann hat ihn ein wenig getestet, er durfte ihre Haare nachfärben, einer Kundin die Haare waschen und den Puppenkopf bearbeiten. Die Friseurmeisterin ist beeindruckt. Man erkenne, sagt sie, dass Majid in Syrien schon als Friseur gearbeitet habe, in einem Salon für Damen. Er würde neben ihr stehen und schon das Haarspray holen, bevor sie überhaupt daran denke: "Das müsste ich anderen fünfmal erklären." Allerdings muss er auch noch dazulernen, die kreisenden Bewegungen beim Haarewaschen zum Beispiel: "Er hat den Wellness-Faktor noch nicht so drauf."

Majid ist froh, dass die "Leute hier alle so nett" sind, mag die modernen Geräte. Früher wollte er Arzt werden. Bergmann findet, er habe "unglaublich viel Wissen". Doch Majid will nun frisieren, Menschen schöner machen, das gefalle ihm an dem Beruf, er will eine Ausbildung beginnen. Und vielleicht würde Irmgard Bergmann ihn sogar einstellen. Dass es damit nichts wird, scheitert an einem bürokratischen Problem, das aber ausnahmsweise mit Flüchtlingspolitik nichts zu tun hat. Im Salon "Haarmonie" gibt es nur eine Toilette. Deshalb dürfen dort eigentlich nur Frauen arbeiten.

© SZ vom 10.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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