SZ-Adventskalender:Frustrierende Entwicklung

Lesezeit: 3 min

Bei vielen Menschen geht die Angst um, dass sie ihre Wohnung verlieren. Die Caritas-Schuldnerberatung will dabei helfen, Obdachlosigkeit zu vermeiden

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Im Landkreis Erding sind nach einer Untersuchung des Wirtschaftsforschungsinstitut Creditreform 6,34 Prozent aller Erdinger überschuldet und weisen "nachhaltige Zahlungsstörungen" auf. Schon lange sind aber die Zeiten vorbei, dass Spielsucht, Alkoholismus oder finanzieller Leichtsinn der Grund dafür ist. Heute reicht auch Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Trennung. "Die Gefahr in die Überschuldung zu geraten hat mittlerweile die sogenannte Mittelschicht erreicht", sagt Brigitte Fischer, zuständig für soziale Beratung bei der Caritas in Erding. Häufiger sei eine andere Ursache: steigende Mieten.

"Wir spüren es sehr wohl, dass die Mieten so hoch sind", sagt Fischer, die bei der Caritas-Schuldnerberatung hilft Obdachlosigkeit zu vermeiden. Wer zu ihnen komme, dem stehe das Wasser bis zum Hals oder sogar noch höher. "Armut versteckt sich. Schulden die hat man bei uns, redet aber nicht darüber, weil man sich schämt. Schulden ist kein Thema für Small Talk. Da haben wir schon vieles erlebt. Der Klassiker ist, wenn bei Schulen Klassenfahrten anstehen, dass die Kinder krank gemeldet werden, weil sie nicht wegen der Kosten mitfahren können." Man schäme sich zum Amt zu gehen, wo man aber Beihilfen bekommen würde. "Was mit uns besprochen wird, bleibt bei uns. Viele haben Angst, dass in einem Amt dann alles gleich amtlich wird. Wir sind aber extern. Das schätzen viele, die sich nie in ein Amt begeben würden", sagt Schuldnerberater Ralf Lohrberg.

"Seit Jahrzehnten haben wir nach der Statistik Vollbeschäftigung im Landkreis, aber was unter dem Deckel gehalten wird ist, dass Vollzeitbeschäftigt nicht bedeutet, dass ich damit auch meine Familie versorgen kann", sagt Lohrberg. Drei Viertel der Beschäftigen rund um den Flughafen werde nicht nach Tarif bezahlt. "Bei 40 Stunden Arbeit nimmt man oft nur 1100 bis 1200 Euro nach Hause - bei Mieten von 800 bis 900 Euro aufwärts." Das wichtigste Instrument der Schuldnerberatung ist die Aufstellung eines Haushaltsplanes. "Zu sehen, was kommt rein und was braucht ihr für Wohnen, Fahrtkosten und Familie. Und wenn man sich das anschaut, erleben wir immer öfters, dass auch bei Normalverdienern das Geld für diese Bereiche schon drauf geht."

Bei vielen geht die Angst um, dass sie ihre Wohnung verlieren. "Die Leute trauen sich gar nicht mehr sich zu wehren, aus Angst vor einer Kündigung, wenn zu Beispiel Schimmel in der Wohnung ist", sagt Brigitte Fischer. "Man denkt, nur nichts sagen, ducken, sonst verliere ich meine Wohnung." Nach einer Kündigung wieder an eine bezahlbare Wohnung zu kommen sei fast unmöglich. "Ab und an gibt es noch bezahlbare Wohnungen auf dem Markt, aber die Konkurrenz ist gigantisch. Auf eine Wohnung kommen oft 100 bis 150 Leute. Unvorstellbar", sagt Lohrberg. Dazu komme, dass das Klientel der Beratung natürlich Schufa-Einträge habe, was die Chance auf dem Mietmarkt weiter senke.

"Trennung ist oft der Hauptgrund für eine Überschuldung. Wir haben inzwischen wieder wirtschaftliche Notgemeinschaften, wo Leute zusammen bleiben, weil sie es sich gar nicht leisten können auseinander zu gehen. Wir erleben verzweifelte Frauen, die sagen es geht nicht mehr, aber wo bekomme ich eine Wohnung her, und wie soll das zu finanzieren sein?", sagt Fischer. "Beispiel zwei Erwachsene, zwei Kinder. Zieht der Vater aus, kann sich die Mutter die Wohnung nicht mehr leisten, weil sie nur noch vom Unterhalt, Kindergeld und vielleicht von dem Einkommen lebt, das sie selber hat. Der Mann findet auch keine bezahlbare Wohnung mehr und wird zuletzt obdachlos und soll jedes zweite Wochenende die Kinder nehmen, kann den Kindern aber nicht mal einen Schlafplatz bieten. Es ist faktisch oft nicht möglich sich zu trennen", sagt die Sozialberaterin. Was Sorgen bereite ist, dass die normalen Existenzkosten steigen und die Einkommen nicht mehr nachkommen. "Das ist was die Leute sehr belastet. 50 Kilometer um München kann man vergessen eine bezahlbare Wohnung zu finden. Die Entwicklung ist frustrierend."

"Unsere Arbeit ist dementsprechen wertvoll, weil Obdachlosigkeit vermieden wird. 90 Prozent meiner Beratung ist Existenzsicherung, das heißt wir schauen erst mal, dass Miete bezahlt wird, Strom, Energiekosten und die Familie versorgt ist. Unsere größte Aufgabe ist der Kampf gegen die Angst. Angst die Miete nicht mehr zahlen zu können, für die Familien nicht mehr sorgen zu können. Wir bieten Hilfe zur Selbsthilfe, die Probleme können wir ja niemanden abnehmen. Wir sind so was wie der "Anwalt der Armen".

Um im Einzelfall ganz gezielt unterstützen zu können, zum Beispiel bei Schulausstattung, Mietkaution, Fahrtkosten zur kranken Muter oder für einen gebrauchten Kühlschrank, hofft die Schuldnerberatung auf Geld aus dem SZ-Adventskalender.

© SZ vom 01.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: