Interview:"Gerechtigkeit ist mein Antrieb"

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Jutta Harrer hat zum Gespräch in der SZ-Redaktion ihre Willy-Brandt-Medaille mitgebracht. (Foto: Renate Schmidt)

Die Erdinger SPD-Politikerin Jutta Harrer ist mit der Willy-Brandt-Medaille für ihr jahrzehntelanges Engagement ausgezeichnet worden. Sie hat sich erfolgreich für ein Frauenhaus und eine Seniorenbeauftragte eingesetzt - und auch schon mal den Genossen Olaf Scholz in einem Seminar ermahnt.

Interview von Regina Bluhme, Erding

Das hat die Erdinger SPD-Politikerin Jutta Harrer nun wirklich nicht ahnen können: Dass der junge Genosse aus Hamburg, der mit ihr 1998 ein Rhetorikseminar besuchte, einmal Bundeskanzler werden würde. Dabei hat sie damals Olaf Scholz ermahnt, doch langsamer und betonter zu sprechen. Es hat ihr nicht geschadet. Vor kurzem hat die SPD die langjährige Stadt- und Kreisrätin mit der Willy-Brandt-Medaille für besondere Verdienste um die Sozialdemokratie ausgezeichnet. Zum Gespräch in der SZ-Redaktion erscheint die 67-Jährige in hellrotem Blazer und gut vorbereitet. Neben der Medaille hat sie auch Notizen in einer knallroten Mappe mit SPD-Logo mitgebracht.

SZ: Frau Harrer, zunächst einmal Glückwunsch zu der Auszeichnung.

Vielen Dank, ich bin schon stolz darauf. Seit zehn Jahren ist es die erste für jemanden aus dem Erdinger Ortsverband. Ich hoffe, ich habe diese besondere Auszeichnung auch verdient.

Willy Brandt, SPD-Bundeskanzler von 1969 bis 1974, war und ist für viele ein Vorbild. Wie ist das bei Ihnen?

Willy Brandt hat mein Interesse an der Politik belebt. Zur Zeit seiner Kanzlerschaft war ich Schülerin an einer Berufsfachschule für Hauswirtschaft in München. Wir Schülerinnen waren sehr an Politik interessiert, es gab damals hochpolitische Debatten.

Sie haben über den beruflichen Bildungsweg das Abitur gemacht und Hauswirtschaft und politische Wissenschaften studiert.

Ich war nicht auf dem Gymnasium, das war einfach die Zeit damals. Nach dem Realschulabschluss hab ich mein Fachabitur gemacht. Dass ich diese Möglichkeit hatte, das ist der sozialliberalen Koalition zu verdanken, die den Weg für den zweiten Bildungsweg geöffnet hat. Auch das Bafög wurde erhöht. Das waren wichtige Schritte zur Chancengleichheit, für alle, die nicht aus Akademikerhaushalten kamen.

Wie ging es beruflich weiter?

Nach meinem Referendariat war ich Studienrätin an einer Berufsschule in Regensburg. Einige der Schüler kamen aus der Nähe von Wackersdorf, der Kampf gegen die Wiederaufbereitungsanlage war für mich ein einschneidendes Erlebnis. Mein Mann und ich haben damals viele Sonntage vor dem Bauzaun verbracht, wir waren auf vielen Demos, Hubschrauber über unseren Köpfen. Da habe ich erlebt, was Staatsgewalt sein kann.

Und 1987 sind Sie in die SPD eingetreten. Da ging es im Erdinger Ortsverein gleich flott los.

Ja, ich wurde gleich Kreisdelegierte und bin dann auch bei der AsF eingestiegen, der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen. Wir waren damals in vielen Bereichen aktiv. Umwelt war ja ein großes Thema. Da hatten wir mal im Semptpark eine große Auspackaktion: Haben im Supermarkt alle Verpackungen an der Kasse abgegeben. Bei der Pizza war das meinem Mann nicht so recht!

Gleichstellung der Frau war auch Ihr Thema

Ja, wir haben für eine Gleichstellungsstelle gekämpft, die gab es damals noch nicht, da wurde dann eine Teilzeitstelle eingerichtet. In den Neunzigerjahren haben wir auch viele Veranstaltungen zum Thema "Gewalt gegen Mädchen und Frauen" organisiert. Eine Ausstellung im Frauenkircherl, eine ganze Woche lang mit Vorträgen. Ich weiß noch, das war damals ein richtiger Tabubruch. Einige Männer haben sehr erbost reagiert. Auch zum Thema Sextourismus hatten wir eine große Veranstaltung pünktlich zur Eröffnung des Flughafens im Erdinger Moos. 100 Leute kamen da, heute ist das Thema irgendwie in der Versenkung verschwunden.

Auch gegen die Einrichtung eines Frauenhauses regte sich Widerstand.

Ja, das stimmt. "Das braucht es nicht bei uns", hab ich mir anhören müssen. Dann ging es aber doch und wir haben ein Frauenhaus.

So wie hier auf dem Bild aus dem Jahr 2016 werden auch am 8. März am Internationalen Frauentag am ASF-Stand in Erding wieder Rosen verteilt. Das Archivbild zeigt (von links): Carina Bischke, Inge Ließ, Jutta Harrer, Katharina Hintermaier und Lotte Färber. (Foto: privat)

Seit Jahrzehnten fordern Sie die Gleichstellung der Frauen ein und verteilen Rosen am Internationalen Frauentag. Immer mit einem Lächeln. Wäre es nicht manchmal besser, einem Betonkopf die Rosen um die Ohren zu hauen - bildlich gesprochen.

Mir wurde im Rhetorikseminar schon gesagt, ich solle vor allem ernst schauen. Ich bin überzeugt, dass man mit einem bestimmten Auftreten und mit freundlichen Ton durchaus etwas erreicht. Das heißt ja nicht, dass ich mich nicht getraut hätte! Und wenn mich jemand schräg angesprochen hat, dann hab ich mich schon gewehrt.

Frauen sind heute gut ausgebildet und selbstbewusst. Warum sitzen dann nur neun Frauen im 40-köpfigen Erdinger Stadtrat?

Das wird sich immer weiter verbessern. Es liegt an der Quote. Die SPD hat ja zum Glück bei der letzten Kommunalwahl das Reißverschluss-System verwirklicht. Wobei Kommunalwahl ja immer eine Persönlichkeitswahl ist und da sind Männer - noch - im Vorteil, weil sie durch Beruf oder Vereinsämter einfach bekannter sind. Zudem haben nicht alle Parteien eine Quote. Ich möchte nur noch hinzufügen, dass im Kreistag bei der SPD-Fraktion mehr Frauen als Männer sind.

Wie schätzen Sie denn die Lage der SPD in Bayern und im Landkreis ein?

Wir hoffen, dass wir wieder stärker werden. Mit Florian von Brunn haben wir einen bayernweit sehr guten Kandidaten. Der traut sich auch angreifen und kümmert sich. Wegen des Hochwasserschutzes war er schon in Erding vor Ort und hat immer ein offenes Ohr. Und in Erding haben wir uns sehr verjüngt. Das freut mich sehr. Generell finde ich schade, dass die Verdienste der SPD, zum Beispiel beim Mindestlohn und der Grundrente nicht rüber kommen.

Sie waren elf Jahre im Kreistag und zwölf Jahre im Stadtrat Erding. 2020 sind Sie nicht mehr angetreten. Warum?

Ein Grund war auch, dass ich Jüngeren Platz machen wollte.

Aber Sie hatten sogar mal Ambitionen auf einen Sitz im Bundestag.

1997 war für mich klar: Nach 15 Jahren Regierung unter Helmut Kohl, da haben wir eine andere Regierung verdient und ich wollte für sozialgerechte Politik eintreten. Bei der Bewerbung um die Kandidatur habe ich mich gegen einen männlichen Bewerber aus Freising durchgesetzt. Von 1997 bis 2000 war ich Vorsitzende des Bundeswahlkreises 200, damals für die Landkreise Erding, Freising und Pfaffenhofen. Da hatte ich mich gegen einen Mann durchgesetzt. Der Wahlkampf war lange, heftig, mit vielen Terminen und Reden in vollen Bierzelten.

In Bierzelten? Da kann ich mir Sie gar nicht vorstellen.

Das hat mir nichts ausgemacht! Und dann habe ich 30 Prozent der Zweitstimmen geholt. Leider hat es nicht für den Einzug in den Bundestag gereicht. Aber die Zahl hat mich schon stolz gemacht.

Sie haben als Seniorenreferentin im Stadtrat vieles angestoßen.

Es ist mir geglückt, mit Unterstützung von Verbänden die Stelle der Seniorenbeauftragten zu schaffen und ich bin froh, über die erfolgreiche Arbeit von Silke Hörold-Ries. Leider ist es nicht gelungen, einen Seniorenbeirat zu etablieren. Das bedauere ich sehr. Und ich warte immer noch auf mehr Sitzbänke in der Langen Zeile und am Westufer des Kronthaler Weihers. Über eins habe ich mich sehr geärgert.

Was war das?

Dass bei der Diskussion um die Einführung einer Sicherheitswacht für Erding im Stadtrat gesagt wurde, die Senioren würden gerne eine solche Wacht haben. Dieser Wunsch ist mir von Senioren noch nie genannt worden! Die Sicherheit und Ordnung sollte in den Händen der Polizei liegen. Darf ich noch eins zum Schluss sagen?

Sehr gerne.

Auf der Rückseite der Willy-Brandt-Medaille stehen die Worte: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität: Gerechtigkeit ist für mich für vieles der Antrieb gewesen.

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