SZ-Schulratgeber:War oder wahr?

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Nicht nur Schüler und Lehrer sind in der Pflicht. Bei einer Lese-Rechtschreib-Schwäche sind auch die Eltern gefragt. Ein paar Minuten am Tag reichen, um die Wörter mit den Kindern zu üben, sagen Experten.

Von Gianna Niewel, Erding

Es ist die Eselsbrücke, die der Unsicherheit ein Ende bereitet: "Wer nämlich mit h schreibt ist dämlich". Hundert Mal gehört, hundert Mal konnte der Fehler vermieden werden. Was aber, wenn die Unsicherheit weiter reicht? Wenn selbst bei einem Wort wie "in" die Hand über dem Blatt verharrt. Mit einem n? Mit zwei - inn?

Jeder Mensch hat Wörter, über die er stolpert, ein kurzes Zögern, dann sind sie aber doch richtig notiert. Was sich bei den meisten im Rahmen hält, ist nach Schätzungen des Verbands für Legasthenie und Dyskalkulie bei etwa vier bis sieben Prozent der Gesamtbevölkerung die Regel: Sie leiden unter Legasthenie oder - in abgeschwächten Form - an einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS). Gerade Schulen, wo es darum geht, Rechtschreibung zu lehren und zu bewerten, stellt es vor Herausforderungen, wenn ihre Schüler ein Problem damit haben, richtig zu schreiben.

Cornelia Feldkamp ist stellvertretende Rektorin am Anne-Frank-Gymnasium in Erding. Dort unterrichtet sie Französisch und Deutsch. "Normal kann man sagen, dass wir einen bis drei Schüler mit Legasthenie oder LRS in einer Klasse haben", sagt sie. Derzeit unterrichtet sie Deutsch in einer fünften Klasse mit 18 Schülern, fünf davon hat ein Schulpsychologe oder Kinderpsychiater Legasthenie oder LRS bestätigt. Konkret bedeutet das: Deren Diktate kann sie nicht werten, in den Klassenarbeiten zählen zwar Inhalt, Idee und sprachlicher Ausdruck der Schüler, nicht aber die orthografische Korrektheit.

"Der wohl größte Unterschied zwischen Legasthenie und LRS ist die Dauer", sagt Tanja Scherle. Sie ist die stellvertretende Vorsitzende vom Landesverband für Legasthenie und Dyskalkulie in Bayern. Während ein vererbter Gendefekt Legasthenie verursache, sei LRS oft nur eine vorübergehende Schwäche. Legasthenie, erklärt Scherle, könne man im Ansatz behandeln, aber eben nicht austherapieren. LRS würde meist von einem Schicksalsschlag in der Familie oder eine Stresssituation ausgelöst werden. Sei diese Phase überstanden, verbessere sich häufig auch die LRS.

Anja Ebrecht trainiert mit den Schülerinnen an der Mädchenrealschule Heilig Blut im Förderunterricht. 83 von 1054 haben hier entweder Legasthenie oder LRS. Ebrecht diktiert einmal pro Woche Wörter wie "vielleicht", "war" und "wahr", "interessant", "Leichtathletik". Bei ihr basteln die Schülerinnen ihr Unwort und ihr Lieblingswort, beides wird angemalt und aufgehängt. Wer Förderbedarf hat und wer nicht, ermittelt ein Screening. Das dauert etwa zwei Stunden. Die Richtlinien für diesen sprachfreien Intelligenztest gibt ein Gutachten vor, die Tests sind standardisiert. Konkret bedeutet das: Die Schülerinnen müssen Zahlenreihen logisch ergänzen und ausgefaltete Würfel vor dem inneren Auge zusammenbauen. Weicht die Rechtschreibleistung stark von den hier erzielten Ergebnissen ab, steigt die Wahrscheinlichkeit einer LRS.

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Wenn einem Kind LRS attestiert wird, muss es sich alle zwei Jahre prüfen lassen. Legasthenie muss nicht regelmäßig nachgewiesen werden. In beiden Fällen erhalten die Betroffenen einen Nachteilsausgleich, einen Zeitzuschlag von bis zu 50 Prozent. Während die Mitschüler also still malen oder im Nebenraum beschäftigt werden, dürfen die betroffenen Mädchen noch an den Klassenarbeiten schreiben. Die Mitschülerinnen hätten Verständnis hierfür, Neid brandete nicht auf.

Am Ende des Schuljahrs wird im Zeugnis vermerkt, dass die Schülerinnen eben diesen Nachteilsausgleich bekommen haben und vor allem: wie stark die Rechtschreibung gewertet wurde. "Wer das auf dem Abschlusszeugnis nicht möchte, kann die Bemerkung in der achten Klasse abstellen lassen", sagt Ebrecht. Das wieder in Abstimmung mit einem Psychologen, selbstredend. Ebenso selbstredend entfällt dann auch der Zeitausgleich.

Doch nicht nur Schüler und Lehrer seien in der Pflicht, gerade bei LRS seien die Eltern gefragt. Ein paar Minuten am Tag reichten, um die Wörter mit den Kindern zu trainieren, die sie in Diktaten oder Aufsätzen regelmäßig falsch schrieben. Von der Pflicht der Eltern spricht auch Scherle. " Schulpsychologen können lediglich eine Rechtschreibschwäche testen", sagt sie. Um Legasthenie festzustellen, bedürfe es einem Kinder- oder Jugendpsychiater. "Vielen Eltern reicht der Gang zum Schulpsychologen, die Kinder kommen mit dem Nachteilsausgleich klar", sagt sie. Dennoch sei es wichtig, genau hinzuschauen, wie schwer die Schwäche ist.

© SZ vom 11.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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