Amtsgericht Erding:"Nichts gefallen lassen und einfach seine Meinung sagen"

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Derzeit werden Ehrenamtliche für die Schöffenwahl gesucht. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Es werden wieder Schöffen an den Amts- und Landgerichten gesucht. Mit dem Ehrenamt sollen Lebens- und Berufserfahrung in die Urteile der Berufsrichter einfließen. Diese können sogar überstimmt werden.

Von Gerhard Wilhelm, Erding

In Bayern gibt es etwa 4700 ehrenamtliche Schöffen, die jeweils für eine Amtsperiode von fünf Jahren gewählt werden. Sie kommen bei den Strafkammern und Jugendkammern der Landgerichte sowie bei den Schöffengerichten, beziehungsweise Jugendschöffengerichten der 73 Amtsgerichte in Bayern zum Einsatz. Sie haben die gleichen Rechte und Pflichten wie ein Berufsrichter und entscheiden darüber, was Recht und Unrecht ist bei bei einem Verbrechen oder einer anderen schwerwiegenden Tat. Für die nächste Amtsperiode vom 1. Januar 2024 bis 31. Dezember 2028 hat jetzt die Bewerbungsphase begonnen. Die Kommunen suchen nun Tausende Bewerber - nicht immer jedoch mit Erfolg.

Anna Gfirtner aus Maria Thalheim ist schon lange Schöffin. Seit mehr als 20 Jahren. Zuerst war sie Jugendschöffin und danach mehrere Perioden am Strafgericht. Zum Ende des Jahres endet ihre Zeit als Laienrichterin, da sie inzwischen 70 Jahre alt ist. Wer Schöffe werden will, muss nämlich zu Beginn der Schöffenperiode das 25. Lebensjahr vollendet haben und darf nicht älter als 69 Jahre sein. Gfirtner wurde damals aus der Gemeindeverwaltung angesprochen, ob man sie nicht als Schöffin vorschlagen dürfe, da sie damals schon länger im Gemeinderat Fraunberg saß und sich dazu sozial engagierte. "Die Rechtsprechung in Deutschland hatte mich schon immer grundsätzlich interessiert. Ich habe mich dann noch über das Schöffenamt informiert. Der damalige Leiter des Amtsgerichts hatte zudem alle Interessenten durch das Amtsgericht und das Gefängnis in Erding geführt, damit wir ein Gefühl bekommen, was es heißt, im Gefängnis zu sitzen", sagt Gfirtner zur Motivation, tatsächlich Schöffin zu werden.

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Auf einer Vorschlagsliste für Schöffen zu stehen, ist nicht gleichzusetzen mit auch ein Schöffe zu sein - auch wenn es manche Kommune schwer hat, genügend Interessenten zu finden. Vor allem, wenn sie die Liste alle Gruppen der Bevölkerung nach Geschlecht, Alter, Beruf und sozialer Stellung angemessen berücksichtigen soll. Die Schöffenwahlausschüsse der Amtsgerichte wählen später aus den Listen der Gemeinden erst danach die Schöffen für Erwachsenenstrafsachen und aus den Listen der Jugendämter die Schöffen in Jugendstrafsachen. Wer Schöffe werden will, muss - neben dem richtigen Alter - die deutsche Staatsbürgerschaft haben.

Jeder Schöffe hat im Schnitt zehn bis 15 Hauptverhandlungen pro Jahr zu absolvieren

Ausgeschlossen sind unter anderem Personen, denen ein Gericht die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter aberkannt hat oder die wegen einer vorsätzlichen Tat rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt worden sind. Auch verfassungstreu sollen die Bewerber sein. Jeder Schöffe hat im Schnitt zehn bis 15 Hauptverhandlungen pro Jahr zu absolvieren. In dieser Zeit muss der Arbeitgeber den Schöffen von seinem eigentlichen Job freistellen. Und: Jeder Staatsbürger ist zur Übernahme dieser ehrenamtlichen Tätigkeit verpflichtet.

In der Regel tagt im Sitzungssaal 1 im Amtsgericht Erding das Schöffengericht. (Foto: Stephan Görlich)

Beim ersten Mal als Schöffin am Gericht sei sie "fast andächtig" gewesen, sagt Gfirtner. "Ich habe mir erstmal ein Bild machen müssen, wie alles abläuft. Theoretisch weiß man alles, aber die Realität ist trotzdem anders, wenn man Personen vor sich hat." Und auch jeder Richter verhalte sich anders. Man müsse sich auf vieles erst einstellen. "Am Anfang war ich mir nicht so sicher, ob es zwischen dem Richter und uns Schöffen eine Gleichberechtigung gibt, aber ich habe relativ schnell gelernt, dass man einfach seinen Mund aufmachen soll. Ob man auf Augenhöhe ist, hängt auch vom Richter ab", sagt die langjährige Schöffin. Ihr Credo: "Nichts gefallen lassen und einfach seine Meinung sagen." Etwas Selbst- und Verantwortungsbewusstsein sollte man schon mitbringen.

Man lerne auch, dass das deutsche Rechtssystem funktioniere, sagt die Schöffin

Sie kann jedem nur empfehlen, das Ehrenamt auszuüben. Jeder habe eine gewisse soziale Verantwortung, die er dort wahrnehmen könne und man lerne, dass man Sachen nicht nur von einer Seite betrachten soll, sondern von mehreren. Und man lerne auch, dass das deutsche Rechtssystem funktioniere. Zudem, dass vor allem bei Drogendelikten "unheimlich viel gelogen" werde, vor allem im Jugendgericht. "Dort steht ja der Erziehungsgedanke, die Chancen, die man den Jugendlichen bieten will, im Fokus. Aber manchmal weiß man schon wenn der Angeklagte aus der Tür rausgeht, dass er eigentlich schon mit der nächsten Klage wieder rein kommt. Das ist fast demoralisierend."

Es komme durchaus vor, dass Schöffen eine andere Meinung haben als der Berufsrichter, sagt Gfirtner. Vor allem, wenn es um das Strafmaß gehe. Ihrer Erfahrung nach tendieren Laienrichter dazu, höhere Strafen zu verhängen. Die Schöffen können den Berufsrichter sogar überstimmen, was in der Praxis aber eher selten vorkommt. "Wo ich immer dahinter war, ist, dass die Angeklagten ihre Auflagen spüren müssen. Das ist ein Punkt, wo ihnen vielleicht vor Augen geführt werden kann, was sie getan haben."

"Das Schöffenamt ist ein sehr bedeutsames Amt", sagt Amtsgerichtsdirektorin Kaps

Dass es manchmal wichtig ist, für Urteile mehrere Meinungen einzubeziehen, findet auch die Direktorin des Erdinger Amtsgerichts Ingrid Kaps: "Das Schöffenamt ist ein sehr bedeutsames Amt. Ich bin sehr froh, dass sich immer wieder Menschen als Schöffen zur Verfügung stellen. Ein Schöffe oder eine Schöffin bringt seine oder ihre Expertise und Lebenserfahrung ein, die für die Urteilsfindung wichtig ist." Eine Ansicht, die auch in der Broschüre "Das Schöffenamt in Bayern" geteilt wird: "Die Mitwirkung juristischer Laien an der Rechtsprechung ist gerade deshalb gewollt, weil Ihre Lebens- und Berufserfahrung, Ihr Urteil, Ihr Gemeinsinn und Ihre Bewertungen in die Entscheidungen der Gerichte eingebracht werden sollen."

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