Ruhestand:Zum gleichen Ziel in der gleichen Zeit

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Deutsch und katholische Religion waren die Fächer die Josef Grundner unterrichtete. (Foto: Stephan Görlich)

Josef Grundner ist Realschullehrer mit großer Überzeugung. Seine Schulart ist für ihn der Königsweg zum Fachabitur. Für den Direktor der Erdinger Mädchenrealschule endet seine persönliche Realschulzeit nach mehr als vier Jahrzehnten

Interview von Florian Tempel

Es ist Ende Juli, und die Schule ist endlich aus - das bedeutet für Josef Grundner, den Direktor der katholischen Mädchenrealschule Heilig Blut in Erding, in diesem Jahr etwas anderes als all die Jahre zuvor. Der 65-Jährige geht in den Ruhestand. Zum Abschied ein Gespräch über vergangene Zeiten, die mal länger her sind, mal gerade eben erst vorbei.

SZ: Wenn Sie sich zurückerinnern an den Sommer 1966. Die Ferien standen an. Wie ging es weiter?

Josef Grundner: Im August 1966 hatte ich die Grundschule in Schwindkirchen beendet und wusste, dass ich nach den Ferien aufs Ruperti-Gymnasium in Mühldorf gehen würde.

Wie sind Sie dahin gekommen?

Das war gar kein Problem. Wasentegernbach liegt an der Bahnlinie und der Zug nach Mühldorf hat damals noch dort gehalten. In Dorfen gab's damals noch kein Gymnasium.

Wie viele Klassenkameraden fuhren nach den Ferien mit Ihnen nach Mühldorf ins Gymnasium?

Wir waren zu zweit. In der Grundschule waren wir etwa 40 in der Klasse, die aber eine gemeinsam dritte und vierte Klasse war. Ich war aus meinem Jahrgang der einzige, der es bis zum Abitur geschafft hat.

Nur wenige Kinder kamen damals aufs Gymnasium. Wie war die Einstellung Ihrer Eltern zur höheren Bildung?

Wir hatten eine kleine Landwirtschaft daheim und mein Vater war Arbeiter bei Himolla. Ich glaube nicht, dass wir ans Gymnasium überhaupt gedacht hätten, wenn nicht der Pfarrer in Schwindkirchen meine Eltern immer wieder darauf angesprochen hätte, ihr müsst den Buben aufs Gymnasium schicken.

Wieso der Pfarrer und nicht Lehrer?

Ich weiß nicht. Es war halt damals so, dass der Pfarrer das Sagen hatte.

Auch in Bildungsfragen?

Ich kann mich erinnern, dass der Pfarrer zu uns ins Haus gekommen ist und gesagt hat, tut doch den Buben ins Gymnasium.

Das ist schon erstaunlich. Noch Mitte der 1960er Jahre traf der Pfarrer die Auswahl, wer auf welche Schule ging.

Es mögen die Lehrer schon auch das Entsprechende dazu getan haben, das kann schon sein. Aber ich weiß ja, dass der Pfarrer im Haus war.

Wie war es mit Ihren Geschwistern?

Ich habe einen drei Jahre jüngeren Bruder. Er ist auf die Realschule in Waldkraiburg gegangen und anschließend nach Altötting in die FOS.

Ein Weg zum Abitur, der auch heute sehr beliebt ist, vielleicht sogar beliebter denn je. Aber bleiben wir noch ein bisschen bei der Rückerinnerung. Was war für Sie prägend?

Mein einschneidendes Erlebnis war 1968. Ich war zwölf Jahre alt, knapp 13, und habe in den Ferien im Raiffeisen-Lagerhaus in Schwindkirchen gearbeitet. Es war im August. Ich war wie immer mit dem Rad zum Mittagessen heim gefahren. Wir saßen beim Mittagessen und im Radio kam die Meldung, dass die Russen in Prag einmarschiert sind, um den Prager Frühling niederzuschlagen. Und da sagte meine Mutter: 'Du fährst jetzt nicht mehr ins Lagerhaus, du bleibst da - wenn wir sterben, dann sterben wir gemeinsam.'

Und dann?

Ich habe mich durchgesetzt und bin doch zur Raiffeisen gefahren. Aber es war ein einschneidendes Erlebnis. Ich habe zum ersten Mal bewusst mitgekriegt, dass die Weltpolitik einen auch selber betrifft. Das hat mich sehr beschäftigt, ich habe begonnen, Nachrichten zu lesen und mich politisch zu interessieren.

Für andere ist 1968 stärker mit ganz anderen Erlebnisse verknüpft. Schwabing und die Hippies im Englischen Garten waren nicht weit, eine Stunde Zugfahrt.

Ich war von diese Szene weit weg. Ich war einer, der nach dem Abitur als Student schnell fertig werden und Geld verdienen wollte. Mein Vater war auch einer, der immer gesagt hat, wir müssen schauen, dass wir es zu was bringen. Als ich 1975 meine letzte Abiturprüfung hinter mir hatte, ist am gleichen Tag daheim der Bagger vor der Tür gestanden und wir haben das Hausbauen begonnen.

Ein Haus für Sie?

Ja, ich hatte mein ganzes Bafög schon seit Jahren in Bausparverträge gesteckt und in den Ferien immer gearbeitet und gespart. Wir hatte vereinbart, wenn ich das Abitur habe, dann fangen wir mit dem Haus an. Bis es fertig war, hat es dann vier, fünf Jahre gedauert, schön langsam. 1978 habe ich geheiratet und wir sind eingezogen.

Und da wohnen Sie immer noch?

Nein, 1992 habe ich ein zweites Mal gebaut.

Wie lief es beruflich?

Ich habe Germanistik und Theologie an der LMU München studiert, Lehramt Realschule. Im Referendariat war ich in Bad Kissingen, mein ersten Dienstjahr hatte ich in Dachau, danach war ich 19 Jahre in Taufkirchen. Von 2000 an war ich in Wasserburg zuerst zweiter Konrektor und ab 2005 Schulleiter. Vor zehn Jahren bin ich hierher gekommen.

Katholische Mädchenrealschule Heilig Blut, das hört sich nicht nur konservativ, sondern direkt altmodisch an. Aber die Schule ist äußerst beliebt. Was macht sie aus?

Die Tatsache, dass hier nur Mädchen sind, heißt, hier herrscht ein anderes Klima. Mädchen sind ruhiger, aber sie sind auch ehrgeiziger. Was wir in diesem Jahr wieder für einen Notenschnitt haben, trotz Corona! Es ist fast nicht zu glauben. 40 Schülerinnen haben einen Abschluss von 1,5 oder besser, 75 haben einen Einser vor dem Komma. Das kann man in einer gemischten Schule mit Buben nie und nimmer erreichen.

Gibt es irgendwelche Beschränkungen bei der Aufnahme der Schülerinnen?

Wir sind eine Angebotsschule für alle Mädchen, die dieses Angebot annehmen wollen. Ob die aus dem Landkreis Erding sind oder sonst wo her. Wer zu uns kommen will, kann kommen. Wir weisen niemanden ab.

Die Schule ist beliebt, fürs kommende Jahr sind sehr viele Mädchen angemeldet. Dabei gab es mal Prognosen, dass es drastisch weniger werden.

Das ist zehn Jahre her, genau als ich hier angefangen habe. Eine Studie der privaten Fachhochschule in Erding hat uns damals prognostiziert, dass wir im Jahr 2020/21 nur noch 600 Schülerinnen haben statt 1000. Damit hat man uns natürlich sehr viel Angst gemacht. Die Existenz der Schule schien auf dem Spiel zu stehen.

Die Prognosen lagen grob daneben. Wie viele Schülerinnen hat die Schule heute?

Wir hatten in diesem Schuljahr 1000 Mädchen an der Schule. Heuer hatten wird zudem mit 175 Einschreibungen extrem viele Neuanmeldungen. Ich denke, dass die Corona-Situation dazu geführt hat, dass viele Eltern einfach Angst hatten, ihre Kinder aufs Gymnasium zu schicken. Von den 175 neuangemeldeten Mädchen hätten 110 auch ans Gymnasium gehen können.

Wie erklären Sie das?

Die Corona-Zeit ist eine unsichere Zeit. Man weiß nicht, wie es weitergeht, überhaupt und mit der Schule und ob die Kinder Fuß fassen. Und da sagen sich die Eltern, die Realschule ist der sicherere Weg, er führt zum gleichen Ziel wie das Gymnasium, und das in der gleichen Zeit.

Sie haben einmal erzählt, dass auch Mädchen mit drei Einsern in Mathe, Deutsch und HSU auf Ihre Schule kommen. Wo ist da der Pfarrer, der sagt, das Mädchen soll aufs Gymnasium gehen?

Wir haben deswegen gesagt, wir müssen diese Schülerinnen besonders fördern. Wir bilden deshalb ab der siebten Klasse jedes Jahr eine Talent-Klassen, in der wir das kaufmännische Profil und die zweite Fremdsprache Französisch hineingepackt haben. Mit der Konsequenz, dass die Mädchen mehr Unterricht haben, mehr Schulaufgaben und ein weiteres Prüfungsfach. Vor zwei oder drei Jahren hat die FOS den neuen Zweig "internationale Wirtschaft" eingeführt. Der baut direkt auf unsere Talentklasse auf, so dass dieser Weg eine totale Einheit wird.

Wie viele wechseln nach der 10. Klasse an die FOS?

Der Anteil liegt immer knapp unter 50 Prozent. Mittlerweile gibt es aber auch die Möglichkeit, ans Gymnasium zu wechseln. Da haben wir auch jedes Jahr zehn bis zwölf. Insgesamt geht also mehr als die Hälfte den Weg zum Abitur.

Aber Schule ist auch Stress für Schüler und Lehrer - ganz gewiss in diesem Jahr. Wie sehr freuen sich alle auf die Ferien?

Da freuen sich alle mehr denn je. Wir hätten uns alle auch auf die Faschingsferien gefreut. Aber man muss unterscheiden. Für die Lehrer war dieses Jahr mit einem ganz erheblichen Mehraufwand verbunden. Im Distanzunterricht muss man ganz andere Methoden anwenden. Es war doppelt und dreimal so viel Arbeit wie normal.

Nach dem Lockdown ging das im Wechselunterricht noch eine Zeit lang weiter.

Wechselunterricht ist Mist - hoffentlich kommt der nie, nie wieder.

Wie war das Jahr für die Schülerinnen?

Wenn man es rein vom Pädagogischen betrachtet, ist es doch so: Man kommt im Distanzunterricht weit. Man kann den Unterricht durchziehen und den Lernstoff durchbringen.

Es gibt aber auch Kinder und Jugendliche, die im Distanzunterricht total rausgefallen sind und völlig abgeschaltet haben.

Das ist richtig. Das Pädagogische, das Lernen ist nur das eine, die psycho-soziale Seite ist das andere. Das haben wir von Anfang an - nicht nur wir, sondern ich glaube, das betrifft alle Schulen - zu wenig erkannt. Die Kinder, die von den Eltern erwarten, dass sie ihnen helfen. Die Eltern, die im Homeoffice sind, die arbeiten und die Familie versorgen müssen. Das war oft sehr schwierig. Die Eltern waren in vielen Fällen überfordert und die Kinder waren es auch.

Damit es im kommenden Schuljahr unbedingt im Präsenzunterricht weitergehen kann, sollen alle Schule sich mit Luftfiltergeräten ausstatten. Wie schaut es hier aus?

Wir haben uns nach den Weihnachtsferien in Absprache mit unserem Träger zunächst gegen Luftfilter ausgesprochen. Wir haben gesagt, lüften müsse wir eh immer. Dann kam die Situation, dass der Landkreis seine Schule komplett mit Luftfiltern ausgestattet hat, und ich habe natürlich Druck erhalten, von Eltern und Lehrern. Wir haben dann Fachleute zu Rat gezogen und am Ende haben wir für zwölf Klassenzimmer im Nordbau, die sich wegen kleinerer Fenster nicht so effektiv lüften lassen, Luftfiltergeräte angeschafft. Aber: Sie sind schrecklich laut. Ich bin froh, dass ich mich um dieses Thema nicht mehr kümmern muss.

© SZ vom 31.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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