Poing:Gedenken von daheim aus

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Zum 75. Mal jährt sich an diesem Montag das Massaker an KZ-Häftlingen in Poing. Eine öffentliche Veranstaltung ist aktuell nicht möglich

Von Johanna Feckl, Poing

An diesem Montag ist es 75 Jahre her, dass es in Poing zu einem Massaker an KZ-Häftlingen gekommen ist. Wie in jedem Jahr wird auch an diesem 27. April den zahlreichen Opfern der grausamen Tat gedacht - wenn auch in abgewandelter Form: Die obligatorische öffentliche Gedenkveranstaltung um 17 Uhr kann heuer wegen der Corona-Krise nicht stattfinden. Stattdessen wird Bürgermeister Albert Hingerl (SPD) alleine vor dem Mahnmal in der Bahnhofstraße eine Blumenschale niederlegen, wie er auf Nachfrage sagt. Die Bevölkerung ruft Hingerl dazu auf, der Opfer trotzdem um 17 Uhr zu gedenken - dieses Mal eben nur von Zuhause aus.

Ende April 1945 verließ ein Zug von der Außenstelle des KZ Dachau in Mühldorf den Bahnhof. Im Inneren der Viehwaggongs zusammengepfercht: 3600 Häftlinge. Im KZ-Außenlager in Mühldorf waren laut dem Internationalen Auschwitz Komitee etwas mehr als 5000 zumeist ungarische Juden gefangen, die zuvor im KZ Auschwitz inhaftiert waren. Die Mühldorfer Lagergruppe nun sollte aufgelöst werden. Deshalb wollte man die Gefangenen weg von dort transportieren. Am 26. April, nach einem Tag und einer Strecke von gerade einmal 60 Kilometern, machte der Evakuierungstransport Halt in Poing, wie aus Prozessakten des Zugführers zu erfahren ist. Aufgrund eines Schadens an der Lok konnte der Zug nicht weiterfahren. Einen Tag später, am 27. April, ist es dann unter den entkräfteten und teilweise erkrankten Häftlingen, die ohne Wasser und Essen auf engstem Raum in den Waggons ausharren mussten, zu einem Aufstand gekommen. Wohl aus Überforderung, weil sie nicht wussten, wie sie die Situation anders unter ihre Kontrolle bringen sollten, öffneten die Wächter die Waggons.

Die Häftlinge versuchten daraufhin zu fliehe. Einige schafften es, sich bei Bewohnern in der Umgebung bis zum Kriegsende wenige Tage später zu verstecken. Die meisten aber nicht. Mindestens 50 der Gefangenen überlebten den Fluchtversuch nicht, sie wurden erschossen. Mehr als 200 Häftlinge wurden teilweise schwer verletzt, viele starben in den darauffolgenden Tagen. SS-Leute, Wehrmachtssoldaten und auch einige Zivilisten trieben die Häftlinge mit Gewalt zurück in den Zug. Noch am selben Abend konnte dieser seine Fahrt schließlich fortsetzen. In München wurde der Zug geteilt; ein Teil fuhr nach Tutzing, der andere nach Seeshaupt wenige Kilometer entfernt. Drei Tage später wurden die Gefangenen beider Zugteile, die als "Todeszug von Poing" eine traurige Berühmtheit erlangten, durch die Alliierten befreit.

Neben den Opfern des 27. April 1945 ruft die Gemeinde Poing dazu auf, ebenso Brigitte Dinev zu gedenken. Als Zeitzeugin erlebte sie das Massaker um den Todeszug als damals Siebenjährige mit. Im Rahmen der jährlichen Gedenkfeier berichtete sie regelmäßig davon. Die Poingerin starb im Oktober vergangenen Jahres mit 81 Jahren.

© SZ vom 27.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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