Amtsgericht Erding:Späte Einsicht verhindert höhere Strafe

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In der Regel tagt im Sitzungssaal 1 im Amtsgericht Erding das Schöffengericht. (Foto: Stephan Görlich)

Nach mehreren Versionen vom Geschehen zieht der Angeklagte seinen Einspruch zurück. Er hatte den Notruf missbraucht.

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Wer den Notruf missbraucht oder vortäuscht, dass wegen eines Unglücksfalles oder einer Gefahr die Hilfe anderer erforderlich sei, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe bestraft. So steht es im Strafgesetzbuch. Das hatte indes ein 25-jähriger Angeklagter zunächst nicht einsehen wollen und gegen einen Strafbefehl Einspruch erhoben. Am Amtsgericht war er dann ohne Anwalt erschienen und als ihm Richterin Michaela Wawerla nach einiger Zeit in der Verhandlung nahe legte, dass er den Einspruch besser zurückziehen sollte, "sonst wird es noch teurer", kam die Einsicht, dass er vielleicht doch den Kürzeren vor Gericht zieht. Der Angeklagte akzeptierte die Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40 Euro.

Zunächst hatte der 25-Jährige bestritten, am 22. August 2022, um 8.46 Uhr, überhaupt einen Notruf getätigt zu haben, wie es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft stand. Er soll damals in der Nähe des Kauflandes in Erding die Notrufzentrale angerufen und gemeldet haben, dass er von einem Freund mit dem Messer bedroht werde. Dieser wolle ihn töten. Das hatte einen Einsatz mit sechs Polizeibeamten ausgelöst. Vor Ort trafen die Beamten den Angeklagten an. Ziemlich alkoholisiert. Laut Staatsanwaltschaft war er aber nicht so betrunken, dass seine Einsichtsfähigkeit völlig aufgehoben gewesen sei.

Die Story des Angeklagten änderte sich im Lauf der Verhandlung minütlich

Die Story des Angeklagten, der einen Dolmetscher benötigte, um der Verhandlung zu folgen, änderte sich im Lauf der Verhandlung minütlich. Zunächst behauptete er, dass er die Polizei nicht angerufen habe. Warum auch? Es habe ihn keiner bedroht. Es gebe keine Beweise, dass er den Notruf getätigt habe. Worauf die Amtsrichterin kurz erklärte, dass man den Notruf eindeutig seinem Handy zuordnen könne und auch den Standort: in der Nähe des Kauflands.

Worauf der Angeklagte zu einer anderen Geschichte schwenkte: Er habe in der Nacht zuvor mit einem Freund, der ihn besucht habe, bis in der Früh getrunken. Irgendwann sei er dann bewusstlos umgefallen, habe sich irgendwie zwei Rippen gebrochen und sei erst aufgewacht, als ein Rettungshelikopter gekommen sei. Auf die Frage von Michaela Wawerla, ob er sich an die Polizei erinnere, sagte der Angeklagte, ja, aber nicht richtig, da er ja bewusstlos gewesen sei.

Spätestens an dem Punkt wurde die Amtsrichterin deutlicher: "Sie waren weniger bewusstlos, sondern eher lustig drauf". Wobei sie sich auf eine Audioaufnahme der Notrufzentrale stützte, die allen Beteiligten vorgespielt wurde. Nach einem Erlass des Ministeriums für Inneres und Justiz vom 26. November 1998 ist die Aufzeichnung von Notrufen und sonstigen Telefongesprächen einheitlich geregelt worden. Notrufe über die Kurzrufnummern 110 und 112 werden seitdem automatisch mit Entgegennahme durch den Einsatzbearbeiter aufgezeichnet - was der 25-Jährige wohl nicht wusste.

Erst nach mehrmaligen Rückfragen sagte der 25-Jährige das Wort "Kaufland"

Die Aufzeichnung zeigte, dass die Notrufzentrale erhebliche Problem hatte, von dem Angeklagten etwas Sinnvolles zu erfahren. Erst nach mehrmaligen Rückfragen sagte der 25-Jährige - der zugab, dass es seine Stimme ist - die Wörter "Erding" und "Kaufland". Ansonsten war nur mehrmals zu hören, dass jemand ein Messer genommen habe und keinen "Scheiß" machen soll. Grund genug für die Notrufzentrale die Polizei zum Kaufland zu schicken.

Nach dem Vorspielen der Aufnahme gab es die dritte Version vom Angeklagten. Er habe mit seinem Freund viel getrunken, dann hätten sie gestritten. Auf dem Tisch in der Unterkunft habe ein Messer gelegen und das habe sein Freund an sich genommen. Er habe gedacht, er wolle ihm was antun und ihn aus der Wohnung geworfen. Anschließend habe er sein Portemonnaie vermisst. Es habe es zwar wieder gefunden, aber ohne 50 Euro und ohne Schlüssel.

Aber ob das der Grund für den Notruf war, wie die Amtsrichterin wissen wollte, darauf konnte er keine Antwort geben. "Ich war betrunken, ich weiß es nicht", sagte der 25-Jährige. Alternativ: bewusstlos. Letzteres "eindeutig nicht, sonst hätten sie nicht telefonieren können", sagte Wawerla. Sie riet dem Angeklagten, seinen Einspruch zurückzuziehen, sonst könnte es für ihn noch teurer werden, zumal im Strafbefehl schon berücksichtigt worden sei, dass er alkoholisiert war. Nüchtern wäre der "Blödsinn" nämlich viel teurer geworden.

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