Mitten in Erding:Zeitenwende am Amtsgericht

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Wenn die Digitalisierung plötzlich zuschlägt.

Von Gerhard Wilhelm

"Die Mühlen der Justiz mahlen langsam, aber gerecht", heißt es. Zumindest die erste Aussage hat so ihre Berechtigung. Damals beim Königlich Bayerischen Amtsgericht saß der Richter vorne, links und rechts vielleicht noch ein Schöffe und an der Seite gab es noch eine Protokollführerin oder einen Protokollführer. Auf dem Tisch lagen Akten und Gesetzesbücher. Links und rechts saßen der Angeklagte, sein Anwalt vielleicht noch, und gegenüber der Vertreter der Staatsanwaltschaft. So war es in der "guten, alten Zeit" des Königreichs Bayern vor 1914.

Zeitsprung. Rund 100 Jahre später sitzt der Richter vorne, links und rechts eventuell ein Schöffe und man ahnt es: auch der Rest ist wie anno dazumal. Nur dass die Protokollführerin - keine Ahnung warum das wohl nur Frauen können - inzwischen vor einem Monitor sitzt und einen PC hat. 2020 sollte dann am Amtsgericht Erding die Zeitenwende sein. Scholz war da noch nicht Bundeskanzler. Auch im Sitzungssaal 1 im Gericht sollte aufgerüstet werden. Nein, nicht mit Leopard-Panzern, sondern mit einem großen Wandmonitor. Damit auch für Zuschauer eine komplette Öffentlichkeit hergestellt werden kann und um dem großen Ziel einer papierlosen Zukunft dank elektronischer Akte näher zu kommen.

Und obwohl Scholz tatsächlich noch nicht Kanzler war, passierte erstmal nichts - abgesehen davon, dass die Wand aufgestemmt wurde, um die Kabel für den Monitor zu verlegen. Doch dann kam Corona, der Justizetat reichte nicht mehr und statt 65 Zoll Monitor gab es einen kleinen Dokumenten-Beamer, der Richtern eher Frust statt Lust bereitete, ihn zu benutzen. Ob es dann an Scholz lag, der ein Justiz-Sondervermögen ausrief, ist nicht bekannt, doch plötzlich war er da, der große Monitor und hing als großes, schwarzes Rechteck hinter dem Richtertisch. Und kurze Zeit später schlug die Zeitenwende erneut zu: Statt einem PC mit Monitor und einem Wandmonitor stehen plötzlich sechs (!) Monitore unterschiedlicher Größen am Richtertisch. Wie die Zinnen einer Burg ragen sie auf.

Ob sie funktionieren? Weiß man nicht. Zumindest nicht, wenn Strafsachen verhandelt werden. Die elektronische Akte wird zuerst im Bereich Familienrecht am Amtsgericht Erding eingeführt. Es soll im März der Bereich Zivilrecht folgen. Die E-Akte soll viel Zeit und vor allem auch Papier einsparen. Manchmal zu viel, wie jüngst Amtsrichter Michael Lefkaditis feststellen musste, als er einem Angeklagten einen Ausdruck über die Rechtsmittel in die Hand drucken wollte. Es waren keine da. "Die sind wohl der Digitalisierung zum Opfer gefallen", vermutete Lefkaditis. Der 19-jährige Angeklagte hätte sich bestimmt nicht beklagt, wenn er sie auf Whatsapp bekommen hätte. Digital. Aber so schnell mahlen die Mühlen nun auch wieder nicht.

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