Mitten im Recyclinghof:Friedhof der Sachen

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Wenn Garage und Keller überquellen, ist das Entrümpeln ein Genuß

Von Wolfgang Schäl

Sind wir allesamt konsumgetrieben? Man muss es wohl vermuten, denn wo sonst sähe man so frohe Mienen wie in den Läden und Kaufhäusern, jenen Stätten, an denen sich Träume zu Sachen verdichten. Daran ist im Prinzip nichts auszusetzen, doch sobald wir die Objekte der Begierde erworben haben, beflügeln uns schon wieder neue Träume von ganz anderen neuen noch viel schöneren Dingen, und nicht lang, da quellen Keller und Garage über, es naht der Tag, an dem die verwirklichten Träume zum Alptraum werden. Es ist der Tag, an dem wir nach Quarzbichl fahren. Hochbeladen.

Was dort geschieht, ist mehr als ein bloßes Wegwerfen, es ist ein kollektiver Akt der Befreiung. Dort sieht man nicht die erfreuten Wühltisch-Mienen, dort sieht man leuchtende Augen, hier herrscht die pure Euphorie, ja wir übertreiben nicht: Es ist geradezu eine Form von Wollust, die sich in dieser wilden Wuselei der Entsorger zwischen den Tonnen und Containern entfaltet. Es macht ja auch Spaß, nach langen, quälenden inneren Auseinandersetzungen seine alten Schätzchen endlich zum zentralen Entsorgungsplatz zu schaffen, die überfällige Trennung ohne Reue zu inszenieren: Das erste Tastentelefon der Post, hui, da fliegt es samt Kabelsalat in den Elektronikschrott-Container, die marode Kaffeemaschine in hohem Bogen hinterher, dann diese grauslige Goldrandvase, ein Achtung gebietendes Erbstück, der schwere Murano-Aschenbecher, weg damit nach dreißig Nichtraucherjahren, klickeradomms, alles klirrend in den Bauschutt. Jetzt nur noch fort mit den Lackdosen und den Pillenschachteln aus den Gründerjahren der Pharmazie, die ein Mitarbeiter der WGV ohne Murren in Empfang nimmt, und schon sind wir innerlich wie äußerlich saniert.

Wir spazieren stolz vorbei an Waschmaschinen, die in Reih und Glied wie Grabsteine auf dem Müllplatz stehen, auf dem Friedhof der Sachen. Bei uns daheim, da herrscht wieder Platz in den Regalen. Wie genussvoll empfinden wir die Leere, die man jederzeit neu füllen könnte, wenn man es nur wollte. Wollen wir es? Wir schweigen verschämt und äußern uns bei Gelegenheit mal drüber.

© SZ vom 19.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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