Markt Schwaben:Die Normalität des Vergessens

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Theaterverein bringt eine berührende und kluge Inszenierung von "Honig im Kopf" auf die Bühne - auch dank der überzeugenden Darsteller

Von Ulrich Pfaffenberger, Markt Schwaben

Sich mit "Honig im Kopf" auf die Bühne zu begeben, darf man getrost als Wagnis bezeichnen. Nicht nur wegen des anspruchsvollen Stoffs, der Alzheimer thematisiert, eine für viele Menschen bedrohliche Krankheit, und sie in genau jenem Wechselspiel der Gefühle von Heiterkeit bis Trauer, von Liebe bis Zorn zeigt, der Betroffene oft schier zerreißt. Sondern auch, weil die Bilder des Fernsehfilms mit Dieter Hallervorden und Til Schweiger sich tief eingeprägt haben; immerhin zwei überaus markante Schauspieler im Lande. Der Theaterverein Markt Schwaben hat sich dennoch nicht abhalten lassen und das Stück in der Fassung von Florian Battermann eingereiht in seine bunte Folge ernster und heiterer Werke, mit der sich das Ensemble in jüngster Zeit vom Weiherspiele-Image emanzipiert.

Dass wegen des jüngsten Urteils des Bundesgerichtshofs zur künstlichen Lebensverlängerung - "Das Leben ist kein Schaden" - die Aufführung von brennender Aktualität ist, bekräftigt die Entscheidung, der die Premiere in allen Aspekten gerecht wurde: Die Dramaturgie der Aufführung war anregend und spannend, der Umgang mit dem Thema einfühlsam, das schauspielerische Niveau auf der obersten Stufe dessen, was man einer Laienbühne zutrauen möchte - phasenweise sogar deutlich darüber.

Dazu haben vor allem die beiden Titelrollen beigetragen. Wie Andrea Kopietz die elfjährige Enkelin Tilda spielt, deren Umgang mit dem vergesslich-tollpatschigen Opa der Dreh- und Angelpunkt des Stücks ist, ist mustergültig für eine Situation, in der eine Erwachsene in die Rolle eines Kindes schlüpft. Kopietz vermeidet alle pseudokindlichen Albernheiten, wirkt unverkrampft und geradeheraus, wenn sie neugierige Fragen stellt und den Zustand ihres Großvaters erkundet. Gleichzeitig schiebt sie an den Stellen, in denen sie als Erzählerin an den Bühnenrand tritt und das Publikum direkt anspricht, alles Altkluge oder Belehrende beiseite, das ihr Text hergäbe.

Franz Hermannsgabner als Opa Amandus begegnet ihr - und uns - als einer, für den das Suchen und Vergessen zur Normalität geworden ist, dem man die gespielte Naivität genauso abnimmt wie die Verzweiflung, dessen Versuch, an lieben Erinnerungen aus dem Fotoalbum festzuhalten, einen so mitnimmt, als wär es der eigene Großvater. Nicht zuletzt seinetwegen, dem das Bild der wirklich schönen Momente im Leben ein letzter Rettungsanker ist, drängt sich einem der Gedanke auf, welcher Halt der heutigen, von Bildern überschwemmten Generation einmal bleiben wird, wenn sie ihr Gedächtnis verliert.

Nicht ganz so tief angelegt wie Tilda und Amandus ist das Elternpaar, was aber nicht an der Interpretation von Claudia Maulwurf und Markus Palmié liegt. Das Textbuch, die Konzentration auf die Situation des Großvaters und eine vertretbare Länge der Inszenierung geben einfach nicht mehr her. Dennoch liefern die beiden mehr als nur Momentaufnahmen der Konflikte, Zweifel und Zerrissenheit innerhalb einer aufgewühlten Familie, in der von Tag zu Tag weniger so ist, wie es einmal war. Sie geben jenen Gesicht und Stimme, denen der gleiche Honig, der zäh das Gehirn Amandus' verklebt, den familiären Kitt zum mühsam zu durchquerenden Alltagsschlamm verwandelt.

In multiplen Nebenrollen haben Julia Mehltretter und Ferdinand Maurer die anspruchsvolle Aufgabe angenommen, die Schnittstellen des innerfamiliären Geschehens mit der Außenwelt sichtbar zu machen und einen schlüssigen Erzählstrang durchs Bühnengeschehen zu spinnen. Schwiegermutter und Arzt, Polizist und Nonne, Hotelpersonal und Wegbegleiter auf dem Enkelin-Opa-Ausflug nach Venedig sind bei ihnen in sehr guten Händen. Zumal sie es verstehen, so professionell ihre Rollen zu gestalten, dass die Personalunion sogar noch als verbindend wirkt, nicht als störend.

Sabine Bogenrieder hat als Regisseurin bei dieser Aufführung alles richtig gemacht. Die Rollen sind mit glaubwürdigen Darstellern besetzt, unterschiedliche Typen, zwischen denen sich Spannungen entwickeln und entladen. Die nachempfundene Schnitttechnik des Films spiegelt sich in häufigen, aber unaufgeregten Auf- und Abgängen der Schauspieler, in einer erkennbaren, aber unaufdringlichen Verlagerung der Spielflächen, in einem klug integrierten Kulissenwechsel. Das Defizit der Bühne, die dem Zuseher den nahen Blick ins Gesicht der Figuren verbietet, gleicht sie mit einer intelligenten Bewegungsregie aus, bei der die Schauspieler die verschiedenen Formen von Nähe untereinander und zur Außenwelt sehr natürlich umsetzen. Ein reduzierter Einsatz von Kulissen schließlich erzeugt ein Bühnenbild, das einen Rahmen erzeugt - und keine Ablenkung.

Mag das Markt Schwabener Publikum bei der Premiere von der Zahl her eher zurückhaltend gewesen sein, beim Applaus ließ es seiner Begeisterung freien Lauf. Der lange, anhaltend kräftige, mit Bravo-Rufen durchsetzte Beifall hätte auch bei voller Halle kaum intensiver sein können - und war gerechter Lohn für eine außergewöhnliche Ensemble-Leistung. Ein Besuch der beiden verbleibenden Aufführungen am 12. und 13. April ist unbedingt empfehlenswert.

"Honig im Kopf" wird nochmals gespielt am Freitag und Samstag, 12./13. April, jeweils um 20 Uhr im Theater am Burgerfeld, Münterstraße 5 in Markt Schwaben. Einlass ist von 19 Uhr an. Karten zu 13 Euro gibt es unter www.theater-marktschwaben.de oder an der Abendkasse (15 Euro). Jeweils ein Euro kommt der Deutschen Alzheimerstiftung zugute.

© SZ vom 08.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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