Landshut:Kripo suchte nach einem Tatzeitfenster

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Das letzte Lebenszeichen von Brigitte B. war ein kurzes Telefongespräch, das sie mit ihrem Sohn führte

Von Florian tempel, Landshut

Im Prozess gegen den wegen Totschlags an seiner zweiten Ehefrau angeklagten Erdinger Frauenarzt Michael B. stand zuletzt sein dramatisch zerrüttetes Verhältnis zu seinen vier Kindern aus erster Ehe im Mittelpunkt. Es ist ein psychologisch interessanter Punkt, weil er ein hohes Konfliktpotenzial in der Beziehung des Angeklagten und seiner zweiten Ehefrau bedeutet haben kann. Staatsanwalt Klaus Kurtz muss, wenn er nachweisen will, dass der Angeklagte der Täter ist, eine überzeugende Erklärung dafür finden, wie und warum es am 4. Dezember 2013 zwischen Michael B. und seiner Frau Brigitte B. zu einem tödlichen Streit gekommen sei. Der Angeklagte bestreitet jede Schuld und hat seine Ehe als bis zuletzt harmonisch dargestellt.

Doch kann Michael B. überhaupt der Täter gewesen sein? Er hat den Ablauf des Tattages so beschrieben, dass er schon aus Zeitgründen ausscheide. Seiner Darstellung nach hat er sein Reihenhaus in Pretzen kurz nach 12.30 Uhr verlassen und war mit dem Fahrrad in die Erdinger Innenstadt geradelt. Am Schrannenplatz habe er einige Zeit auf seine Frau gewartet. Die habe mit dem Auto in die Stadt fahren wollen und er hätte für sie das Einparken des großen Kombis übernehmen sollen. Als sie nicht eintraf, sei er schließlich kurz nach 13.15 Uhr in seine Praxis in der Landgestütstraße geradelt, wo er um 13.30 Uhr angekommen sein will.

Zur Aufgabe der Kripo Erding gehörte es, ein "mögliches Tatzeitfenster des Beschuldigten" zu ermitteln. Das letzte Lebenszeichen von Brigitte B. war ein kurzes Telefongespräch, das sie mit ihrem Sohn führte. Er hat sie am 4. Dezember 2013 um 12.35 Uhr aus Frankfurt am Main angerufen. Aus Sicht der Ermittler muss Michael B. mehr oder weniger unmittelbar danach seine Frau angegriffen und getötet haben - laut dem Obduktionsergebnis wurde sie zunächst schwer verprügelt und schließlich erstickt. Danach sei er, aus Sicht der Ermittler, wohl ohne Umweg gleich in seine Praxis geradelt.

Die Ermittlungsakten füllen mehrere Ordner. In einem Indizienprozess kann jeder noch so unscheinbare Aspekt entscheidende Bedeutung haben. (Foto: Renate Schmidt)

Kripobeamte radelten den Weg vom Reihenhaus zur Praxis ab. Mit dem Ergebnis: Wenn man mit hohem Tempo fahre, gehe das in weniger als zehn Minuten. Das "Tatzeitfenster" wäre demnach etwa 40 Minuten groß.

Die Kripobeamten fuhren auch den Weg, den der Angeklagte beschrieben hatte. Er hatte dabei angegeben, er habe an den Schranken in der Haager Straße minutenlang warten müssen, da zwei S-Bahnen durchgefahren seien. Die tatsächlichen Fahrzeiten aller S-Bahnen sind bei der Deutschen Bahn minutengenau protokolliert. Demnach müsste Michael B. um 12.59 Uhr an den Schranken angekommen sein. Da die Fahrzeit mit dem Rad von Pretzen bis zu den Bahnschranken jedoch kaum mehr als elf Minuten betrage, so die Kripo, müsste er zu Hause erst nach 12.45 Uhr gestartet sein. Das wäre jedoch später, als er angegeben hatte.

Die Vorsitzende Richterin Gisela Geppert vermeldete außerdem einen weiteren interessanten Punkt. Auf ihre Anordnung haben Polizeibeamte im Reihenhaus in Pretzen leere, aber wieder zugeschraubte Mineralwasserflaschen gesucht. Dabei fanden sich zwei Flaschen, aus denen Alkoholgeruch wahrzunehmen war. Hochprozentigen Schnaps in Wasserflaschen zu tarnen, ist eine bekannte Methode von Alkoholikern, die ihre Trunksucht verbergen wollen. Die Ehefrau des Angeklagten war alkoholkrank. Er hat angegeben, er habe das lange nicht gewusst und erst wenige Tage vor der Tat entdeckt.

© SZ vom 21.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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