Dorfen:Krähenkolonie verlässt Dorfen

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Die Vögel geben unerwartet einen Standort auf, den sie mehr als zehn Jahre genutzt haben. Drei Gründe könnten die Ursache dafür sein.

Von Thomas Daller, Dorfen

Krähenkolonien werden in den beiden Städten des Landkreises von manchen Anwohnern und Anwohnerinnen als Plage empfunden. Man muss mit Lärm rechnen und mit Kot. Die Kolonie im Erdinger Stadtpark mit 880 Brutpaaren gilt als die drittgrößte in Bayern, am westlichen Dorfener Stadtrand wuchs die Population in den vergangenen Jahren auf rund 80 Brutpaare heran. Doch letztere ist heuer ganz unerwartet verschwunden. Was bewegt die Vögel, plötzlich einen Koloniestandort aufzugeben, dem sie jahrelang treu geblieben sind? Rabenvögel sind zwar enorm schlaue Tiere, ihre kognitiven Leistungen sind bekannt, aber für eine Kommunikation mit dem Menschen über ihre Motive reicht es dann auf beiden Seiten doch nicht. Aber es gibt mögliche Ursachen, die über eine bloße Spekulation hinausgehen. Der Dorfener Naturfotograf Andreas Hartl und Wolfgang Lipp, Eigentümer des Grundstücks, auf dem sich die Pappeln befinden, in denen die Krähen genistet haben, sind beide gut mit den Tieren vertraut und haben sich ihre Gedanken gemacht.

Die Population in den Dorfener Isenauen hat vor mehr als zehn Jahren überhand genommen. Die Kolonie wuchs und wie in Erding wurden die Vögel zum Politikum, über das auch im Stadtrat beraten wurde. Die Klagen sind nachvollziehbar: Ein Anlieger der Kolonie hat beispielsweise eine Gärtnerei. Wie die Gewächshäuser dort aussehen würden, wenn man den Putzaufwand nicht erhöht hätte, kann man sich vorstellen. Eine andere Anliegerin monierte ihren dritten Mieterwechsel, weil der Lärm eine Zumutung sei.

Aber wie in Erding fand man auch in Dorfen nicht die ultima ratio. Wie auch? Das Problem ist menschengemacht: Rabenvögel wie Elstern oder Rabenkrähen teilten sich früher ihre Territorien in überschaubaren Familienverbänden und verteidigten sie auch. Im 20. Jahrhundert wurden sie dann so effizient bejagd, dass große Territorien frei wurden, die die Saatkrähen dann wiederum in großer Zahl besetzen konnten. Zehn Elstern in der Nachbarschaft sind sehenswert zu beobachten, 100 Saatkrähenbrutpaare, die mit ihrer gefiederten Nachbarschaft streiten, können Nervensägen sein. Ein gutes Beispiel dafür gibt es in Dorfen selbst: Im Isenauenpark mit seinen hohen Bäumen hat sich noch keine Krähe angesiedelt. Aber es gab schon einige Versuche. Dort lebt allerdings eine Elsternsippschaft, die ihr Territorium vehement verteidigt. Mit Flugmanövern wie bei einer Luftfahrtschau. Erfolgreich.

In Dorfen ist es verwundert wahrgenommen worden, dass die Krähen plötzlich verschwunden sind. Ein mögliches Motiv könnten die Nachtfröste im Mai vergangenen Jahres sein. Darin sind sich Naturfotograf Hartl und Grundstückseigentümer Lipp einig, denn im Mai 2021 hat es sieben oder acht Frostnächte gegeben. Die frisch geschlüpften Krähenküken hatten noch kaum wärmende Flaumfedern und die Brut erfror. Warum ist das damals nicht auch in der Erdinger Kolonie geschehen? Das Mikroklima inmitten einer größeren Stadt mit mehr versiegelter Fläche, die sich tagsüber aufheizen kann, ist anders als am Rand von Dorfen im Isental. "Über Leben und Tod entscheiden dann oft zwei bis drei Grad", sagt Hartl.

Hartl hat noch einen zweiten Verdacht, warum das Leben der Krähen in Dorfen nicht ständig Friede, Freude, Eierkuchen war: die Störche. Der Storch, dieser sympathische Symbolvogel, der die Kinder bringt? Hartl nennt ihn "einen der größten Predatoren, die wir noch haben". Störche fressen so ziemlich alles, was in ihren langen Schnabel passt. Natürlich auch Frösche, wie in Bilderbüchern dargestellt, aber vor allem Heuschrecken. Das haben Magenuntersuchungen an toten Störchen ergeben. Aber Heuschrecken gibt es kaum noch. Die nötigen Proteine holen sich Störche dann bei Eidechsen, jungen Ringelnattern, Wühlmäusen oder eben Vogelküken. Die Dorfener Störche haben in den vergangenen Jahren immer wieder Krähenbrut aus den Nestern geholt und verputzt. Hartl hat das oft genug beobachtet. Einem so schlauen Vogel wie der Saatkrähe wird es wohl auch zu denken geben, wenn wochenlang rundherum die Küken gefressen werden.

Dieser Misserfolge bei der Brut hat einen Großteil der Tiere wohl bewogen, heuer nicht mehr an diesen Standort zurückzukehren. Dennoch: Ein paar kamen zurück. "Es waren wenige", sagte Lipp. Doch die Kolonie war wie ausgestorben. Eine Geisterstadt der Nester. Diese wenigen Vögel haben auch nicht gebrütet. Und dann war da noch die Sache mit dem Laser: Angeblich seien die verbliebenen Krähen nachts mit starken Laserpointern angeleuchtet worden; fatal für die Vögel, wenn das Licht auf die bei Nacht geweitete Iris trifft. Vögel sind mehr als andere Tiere auf ihr Augenlicht angewiesen, eine Erblindung ist für sie ein Todesurteil.

Unter Krähenhassern, die sich im Internet über Vergrämungsmethoden austauschen, ist dieser Effekt bekannt. Es gibt auch Youtube-Videos, die zeigen, wie tagsüber Schwärme von Vögeln auffliegen, wenn sich der Lichtpunkt eines Lasers dem Landeplatz der Tiere nähert. In der Regel ist dazu aber die Einwilligung der örtlichen Naturschutzbehörde erforderlich, die hinsichtlich der Lichtstärke meist restriktiv ausfällt, damit die Vögel nicht erblinden.

Hartl und Wolfgang Lipp haben das Laserlicht nicht in der Kolonie gesehen, wohl aber Lipps Schwester: "Sie wohnt direkt gegenüber und hat es als blauen Punkt beschrieben", sagte Lipp. Danach seien auch die letzten Saatkrähen verschwunden und seither nicht mehr wiedergekehrt.

Erst die räuberischen Störche, dann die für die Brut tödlichen Nachtfröste und schließlich noch der Laser: Das alles hat den Saatkrähen wohl den Rest gegeben.

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