Interview:"Wie bei einer Großveranstaltung"

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"Ich wünsche den Menschen, dass sie sich trotzdem gut empfangen fühlen", sagt Maria Brand. (Foto: Renate Schmidt)

Maria Brand von der Aktionsgruppe Asyl hofft trotz der Notsituation auf eine angemessene Betreuung der Flüchtlinge

interview Von Sebastian Fischer, Erding

Maria Brand, 68, ist seit 24 Jahren in der Arbeit mit Flüchtlingen aktiv: zunächst hauptamtlich bei der Caritas, seit sechs Jahren ehrenamtlich für Amnesty International. Sie ist Sprecherin der Erdinger Aktionsgruppe Asyl (AGA), die in Erding die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe koordiniert und um langfristige Perspektiven für Asylbewerber in Deutschland bemüht ist.

SZ: Frau Brand, bis zu 5000 Flüchtlinge sollen in einem sogenannten "Warteraum" auf dem Fliegerhorstgelände in Erding untergebracht werden. Haben Sie eine Maßnahme dieser Größenordnung schon einmal erlebt?

Maria Brand: Nein. Ich habe schon 1992 bei der Caritas gearbeitet, als in ganz Deutschland mehr als 400 000 Menschen ankamen. Das war damals eine unglaubliche Zahl. 5000 auf einen Schlag, das habe ich nicht erlebt.

Ist aus Ihrer Sicht eine angemessene Betreuung der Menschen möglich?

Es wird nicht viel mehr als ein Durchschleusen stattfinden. Den Menschen wird eine Schlafgelegenheit geboten, bis sie nach zwei Tagen weiterreisen können. Ich glaube auch nicht, dass eine vollständige Registrierung bei so vielen Menschen wirklich möglich ist, geschweige denn eine psychologische oder medizinische Betreuung. Das kann man nicht erwarten. Es wird sicher nicht darauf geachtet werden können, ob Traumatisierte dabei sind. Da wird auf angesteckte Krankheiten geschaut, eine Notfallversorgung bereitgestellt, sonst nichts . Wie bei einer Großveranstaltung.

Gibt es denn aus Ihrer Sicht Alternativen zu diesem Vorgehen?

In so einer Größenordnung kann man das in der Kürze der Zeit logistisch nicht anders lösen. Den Verantwortlichen bleibt nur die Hoffnung, dass die Arbeit woanders richtig beginnt. Bei der Zahl kann man nichts gut machen, aber man kann auch nicht mehr viel falsch machen. Ich wünsche den Menschen, dass sie sich trotzdem gut empfangen fühlen. Es wird nicht so sein wie in München, wo die Leute den Flüchtlingen die Hände geschüttelt haben. Sie werden durch ein Tor hereinfahren und durch das Tor wieder rausfahren, ohne dass sie etwas anderes gesehen haben. Die Flüchtlinge haben die Bilder aus München ja gesehen - jetzt werden sie ander Grenze abgefangen. Das ist nicht einfach.

Örtliche Hilfsdienste wurden in die Planung kaum einbezogen, die Lokalpolitik bemängelt, unzureichend informiert worden zu sein. Wird die AGA aktiv?

Die Nachricht ging in unserem E-Mail-Verteiler zwar wie ein Lauffeuer um, aber wir waren uns einig: Wir können bei 5000 nichts machen, wir werden nicht gefragt werden, ja: gar nicht reinkommen. Das läuft hinter verschlossenen Türen ab. Wir sind froh, wenn wir in den ständigen Unterkünften ordentlich arbeiten können und in die Planungen miteinbezogen werden.

Sind Befürchtungen berechtigt, die mit einer solch großen Zahl an Menschen auf einem Ort einhergehen?

Das Klima kommt der Situation zugute, es ist noch warm, das ist ein Glück: Dann kommen die Leute ins Freie. Wenn es kalt wird, wenn es regnet und die Leute zusammengepfercht sind auf einem Raum mit 50, 100, 300 anderen - da kann es verständlicherweise zu Aggressionen kommen.

Landrat Martin Bayerstorfer geht davon aus, dass durch die Bereitstellung des Warteraums "Erding aus der Pflicht genommen" ist. Liegt er damit richtig?

Ich denke, dass die Rechnung nicht aufgeht. Ich fürchte, dass es eine Trennung gibt: Das eine ist eine Maßnahme der Regierung, das andere die Verantwortung des Landkreises. Es ist nicht sinnvoll, vom "erfüllten Soll" zu sprechen.

© SZ vom 22.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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