Installationen regen zur Reflexion an :Grenzen verschwimmen

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Wo Natur und Leben, Labor und gesellschaftlicher Raum aufeinandertreffen, dort entsteht biologische Kunst Dieser widmet sich eine Ausstellung im Freisinger Schafhof, die zum Nachdenken anregen soll

Von Thilo Schröder, Freising

Wo Natur und Leben, wo Labor und gesellschaftlicher Raum aufeinandertreffen, dort entsteht biologische Kunst. Dem widmet sich eine neue Ausstellung im Schafhof. Die Installationen regen an zur Reflexion, über Biotechnologie und Evolution; sie stellen Fragen, über menschliche Verantwortung, auch über den Tod hinaus. Sie entführen auf eine Reise in symbiotische Geflechte und sie lassen Grenzen zwischen Leben und Tod verschwimmen.

Der Aufbau erinnert an eine doppelte Membran: Auf zwei milchig-durchsichtige Kunststofffolien, jeweils so groß wie Kinoleinwände, wird ein Video projiziert. Es zeigt Mäuse- und Hefezellen, die unter dem Mikroskop vermischt werden. Oron Catts, Ionat Zurr und Tarsh Bates, die Urheber dieser Installation, arbeiten am SymbioticA, einem künstlerischen Forschungszentrum an der University of Western Australia. "Die Zellen verbinden sich und schaffen etwas Neues", erklärt Zurr.

Ihre Arbeit stützt sich auf eine Theorie, nach der sich die Arten nicht nur in Anlehnung an Darwin an ihre Umwelt anpassen, um zu überleben, sondern dass Evolution sich auch teilweise durch Kooperation vollzieht. Grenzen - ob solche zwischen Zellen, Menschen oder Kulturen - sind "nie vollständig geschlossen", sagt Zurr. "Wir leben in einer Zeit, in der biologische Erkenntnisse immer mehr in die Technologie einbezogen werden", sagt sie. "Da treten viele Fragen auf, wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen."

Hinter Erich Bergers Installation verbergen sich "drei desaströse Versuchsanordnungen", wie der Österreicher sagt. Sie veranschaulichen anhand des physikalischen Phänomens des Polsprungs, wie langsam fortschreitende Prozesse in einer Katastrophe enden. Berger verweist auf Parallelen zu Phänomenen wie dem Klimawandel oder dem Atommüll, "deren Auswirkungen wir nicht mehr erleben werden".

In seinen Versuchen sind die Auswirkungen dagegen sichtbar. Bei einem Polsprung, der alle 250 000 Jahre auftrete und "längst überfällig" sei, bricht über 1000 Jahre das Erdmagnetfeld zusammen, bis zur völligen Umkehr der Pole. Die Folgen können Forscher abschätzen und visualisieren. Berger, Direktor der BioArt Society in Helsinki, will mit seiner Installation die Gedankenwelt anregen: "Wie stehe ich zu Katastrophen? Wir müssen lernen, mit diesen Szenarien umzugehen."

Wer Johann Brandstetters Naturzeichnungen und die kaum leserlichen Kritzeleien daneben betrachtet, fühlt sich instinktiv an den Forschungsreisenden Alexander von Humboldt erinnert. Nein, die Welt vermessen wolle er bei seinen Streifzügen durch den Urwald nicht, sagt der Oberbayer, sehr wohl aber die Zusammenhänge zwischen Flora und Fauna erkunden. Ein Beispiel: Eine Pflanzenkanne bietet einer Fledermaus Schutz und verdaut zugleich deren ausgeschiedene Exkremente. Seine Werke veranschaulichten solche Symbiosen und Netzwerke, sagt Brandstetter.

Was auf den Zeichnungen nicht direkt sichtbar wird, zeigt sich umso deutlicher anhand zweier Aquarelle: die Kritik am Umgang mit einem sensiblen Ökosystem. Sie zeigen Szenen im Regenwald. Das eine ist auf Karton gemalt, das andere aus Sojamehl und Asche gefertigt. Die Materialien verweisen auf die Ausbeutung der Natur zu wirtschaftlichen Zwecken, sagt Brandstetter, auf die Zerstörung der Symbiosen und Netzwerke.

Die letzte Installation zeigt Aufnahmen einer Wärmebildkamera von erkaltenden Tierkörpern. Sie stammen von der finnisch-amerikanischen Künstlerin Terike Haapoja. Während die toten Körper nach und nach ihre Wärme an die Umwelt abgeben, verändert sich das Farbmuster, es entsteht etwas Neues. Die Bilder sollen sensibilisieren für den Umgang mit dem häufig tabuisierten Thema Tod.

Die Installationen vermitteln das Gefühl, am Scheideweg zu stehen: zwischen heute und morgen, zwischen dies- und jenseits, zwischen Harmonie und Zerstörung. Sie behandeln Themen, die aktueller nicht sein könnten, dabei jedoch "keine Modeerscheinung" sind, wie Schafhof-Leiter Eike Berg mit Verweis auf die mehrjährige Projektplanung sagt. Wer sich darauf einlässt, dem stellen sich unangenehme, aufwühlende Fragen, dem bieten sich andererseits Einblicke in zutiefst natürliche Prozesse.

Die Ausstellung hat dienstags bis samstags, 14 bis 19 Uhr geöffnet, sonntags und feiertags 10 bis 19 Uhr; Dauer: bis 1. Dezember; der Eintritt ist frei

© SZ vom 07.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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