Historie:Individuen und ihre Lebensgeschichte

Lesezeit: 2 min

Christine Fößmeier rekonstruiert anhand der Bilder und Tagebucheinträge des Künstlers Alfred Gaspart den Alltag im Stalag VII A. Sie stellen einen scharfen Kontrast zur Chronik des Lagerfotografen Josef Schmid dar

Von Till Kronsfoth, Moosburg

Ihre Aufgabe als Kunsthistorikerin sei es, Bilder zu kontextualisieren, sagt Christine Fößmeier vom Verein Stalag Moosburg. Und so machte sie sich daran, die Zeichnungen des seiner Zeit im Kriegsgefangenenlager Stalag VII A inhaftierten französischen Künstlers Alfred Gaspart (1900 bis 1993) auszuwerten. Das Ergebnis präsentierte Fößmeier mit Hilfe einer Power-Point-Präsentation in dem Vortrag "Gelacht, gelebt, gelitten, gestorben. Gesichter sowjetischer Gefangener in Fotografie und Kunst", den sie kürzlich vor rund 50 Zuhörern hielt.

Gasparts Bilder stellte Fößmeier den Fotografien des Lagerfotografen Josef Schmid entgegen. Schmid hatte 1978 zwei Bildbände zusammengestellt, in einem feierlichen Akt entgegengenommen vom damaligen Moosburger Bürgermeister Oscar Hertel. Dieser, so Fößmeier, wurde in der Moosburger Zeitung bei diesem Anlass mit den Worten zitiert, die Fotochroniken bewiesen, dass es im Moosburger Lager "nicht so schlimm" gewesen sei. Christine Fößmeier präsentierte den Zuhörern Bilder Schmids, die Inhaftierte beim Theaterspielen und Musizieren sowie einen lächelnden sowjetischen Gefangenen in der lagereigenen Strohschuhwerkstatt zeigten. "Obwohl Schmids Bildbände die Normalität des Lagerlebens dokumentieren sollten, entlarven sie doch die rassistische Ideologie des Autors", sagte Fößmeier.

So ist auf einem Bild zu sehen, wie ein Lagerarzt einem Afrikaner den Schädel vermisst. Schmids Bildunterschrift dokumentiert unverblümt: "Ein Lagerarzt beschäftigt sich aus Passion mit Rassenforschung." Die Zeichnungen des Künstlers Alfred Gaspart hingegen "zeigen das Lagerleben, wie es wirklich war. Sie zeigen Individuen und ihre Leidensgeschichte", sagte Fößmeier. So zeigen die Bilder Gasparts einen völlig ausgezehrten Russen, der in der Dusche zusammenbricht. Andere, die im Winter das Stroh aus ihren Schlafstätten reißen und es anzünden, um nicht zu erfrieren. Aufschlussreich für die Rekonstruktion des Lagerlebens waren auch die Tagebucheinträge Gasparts, der schilderte, wie sowjetische Gefangene sich um ein Stück Brot prügelten. "Gaspart beobachtete die Menschen beim Sterben", sagte Christine Fößmeier.

Eine Schilderung des Künstlers sorgte im Anschluss an den Vortrag für Diskussionsstoff. Gaspart beschrieb in einem Tagebucheintrag die Verbrennung von Leichen durch die Lagermannschaften. Die Nachfrage, ob angesichts dieser Schilderung und der Zustände im Lager, die Zahl vom 2000 Toten bei einer Gesamtzahl von 80 000 Gefangenen nicht zu niedrig angesetzt sei, zumal man sich bei den Nachforschungen hauptsächlich auf die Friedhofslisten des Lagers stützte, verneinten sowohl Christine Fößmeier als auch Historiker Karl Rausch.

Auch die Identität jener Opfer, die nicht in den Friedhofslisten des Lagers auftauchten, habe man rekonstruiert. Zudem habe für die Lagerkommandantur keine Notwendigkeit bestanden, Leichenverbrennungen anzuordnen, da man den Lagerfriedhof im Moosburger Ortsteil Oberreit genutzt habe. Einschränkend könne man jedoch ins Feld führen, dass bei der Exhumierung in manchen Gräbern mehr als eine Person gefunden worden sei, so Rausch. Daher habe man eventuell bis zu 2300 Opfer zu beklagen.

© SZ vom 05.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: