Landkreis Erding:Immer mehr Frauen in Not - Geld wird zum Druckmittel

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Frauenhäuser bieten Schutz vor häuslicher Gewalt (Symbolbild). Das aktuelle Gebäude des Landkreises Freising ist längst an seine Kapazitätsgrenzen gestoßen. (Foto: Peter Steffen/dpa)

Das Frauenhaus, der Notruf und das Wohnprojekt Second Stage sind ausgelastet wie noch nie. Männer, die ihre trennungsbereite Partnerin nicht gehen lassen wollen, sperren ihr das Konto oder verstecken im Spielzeug der Kinder GPS-Tracker.

Von Thomas Daller, Erding

Das Frauenhaus, der Frauennotruf und das Wohnprojekt Second Stage sind so hoch ausgelastet wie noch nie. Das Frauenhaus war und ist 2022 komplett belegt, der Frauennotruf hat heuer die höchste Steigerungsquote und Second Stage läuft im Dezember 2022 aus, wenn keine staatliche Förderung kommen sollte. Der Kreistag hat daher beschlossen, die Unterdeckungen beim Frauenhaus und beim Frauennotruf für 2022 zu übernehmen und für 2023 höhere Summen anzusetzen. Steffi Irmscher-Grothen, Leiterin der Frauenbereiche beim Roten Kreuz Erding, berichtete dem Kreistag, dass der Migrationsanteil erstmalig bei 100 Prozent liege. Daher seien die Dolmetscherkosten "extrem hoch geschnellt" und auch der Beratungsbedarf habe sich geändert.

Männer verstecken GPS-Tracker im Kinderspielzeug, um die Frauen aufzuspüren

Irmscher-Grothen sagte, die Situation der Frauen, denen man helfe, habe sich geändert. Früher hätten vorwiegend Frauen wegen Fällen von "klassischer physischer Gewalt" mit blauen Flecken und Verletzungen um Hilfe ersucht. Mittlerweile habe man es überwiegend mit psychischer und ökonomischer Gewalt zu tun: Sobald die Frau den Trennungswunsch äußere, würden die Männer ihr den Zugang zum Konto sperren lassen, falls sie vorher überhaupt Zugriff darauf gehabt habe. Sie würden sie von der Krankenkasse abmelden und auch im Spielzeug der Kinder GPS-Tracker verstecken, damit sie sie im Fall einer Flucht aufspüren und stalken könnten.

"Unsere Mitarbeiterinnen müssen sich vermehrt mit Asylthemen befassen", sagte Irmscher-Grothen. Die Frauen würden mehr und längere Begleitung benötigen, sie benötigten Unterstützung bei Deutschkursen, in der Begleitung zum Jobcenter, zu Arztterminen oder bei der Kontoeröffnung. Seit das BRK Erding 2018 das Frauenhaus übernommen habe, sei die Belegung stetig nach oben gegangen.

Auch beim Frauennotruf habe man 2022 die größte Steigerung erlebt: "Das zeigt, wie hoch der Bedarf der Frauen im Landkreis ist", sagte Irmscher-Grothen. Seit November 2021 habe man in der Münchner Straße ein eigenes Beratungsbüro mit niedrigschwelliger Erreichbarkeit. Zudem biete man 365 Tage im Jahr telefonische Beratung an. Nicht nur die Zahl der Personen, sondern auch die Zahl der Beratungen sei weiter gestiegen. "Die Frauen kommen vermehrt zu uns und möchten engmaschiger beraten werden", berichtete die Leiterin der Frauenbereiche. Wie beim Frauenhaus spielten auch beim Frauennotruf soziale und finanzielle Aspekte eine große Rolle. Es gehe ums Geld und beispielsweise die Krankenkasse. "Wir haben das Beratungsspektrum extrem erweitert." Pro Person rechne man mit vier bis fünf Folgeberatungen, bis sie soweit stabil seien, dass man sie in ein eigenständiges Leben ohne Gewalt entlassen könne. Irmscher-Grothen wies zudem darauf hin, "dass es auch Täterinnen gibt": Man habe auch Männer heuer beraten.

"Es gibt Täterinnen": Man hat heuer auch Männer beraten

Sorge bereitet dem BRK auch die Situation beim Wohnprojekt Second Stage. Ohne staatliche Zuschüsse läuft das Projekt im Dezember 2022 aus. Das BRK verfügt aktuell über drei Schutzwohnungen, eine große und zwei kleine. In der großen sei eine Frau mit vielen Kindern untergebracht, die beiden kleinen habe man in der Pandemie zeitweise als Quarantäne-Wohnungen genutzt.

Der Kreistag gewährte dem Frauenhaus für 2022 einen Ausgleich für die Kostenunterdeckelung in Höhe von 39.500 Euro. Damit steigt der Kostenansatz für 2023 auf knapp 183.000 Euro. Beim Frauennotruf lag die Kostenunterdeckelung für 2022 bei 35.500 Euro. Auch das genehmigte der Kreistag, wodurch der Kostenansatz für 2023 auf knapp 145.000 Euro steigt. Für das Wohnprojekt Second Stage wurden bis zu 67.000 Euro eingeplant. Allerdings wurde der Beschluss zu Second Stage unter dem Vorbehalt gefasst, dass es dafür eine staatliche Förderung für 2023 geben wird. Letzteres missfiel Kreisrätin Helga Stieglmeier (Grüne): Sie verstehe die Problematik, sagte sie, aber Second Stage sollte nicht nur fortgesetzt werden, wenn es eine staatliche Förderung dafür gebe. Deshalb stimme sie dagegen.

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