Gefängnis:Ehemalige Gefangene beklagen Missstände in der JVA Erding

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Die Fenster in den Hafträumen sind so weit oben angebracht, dass man keinen Blick nach draußen werfen kann. (Foto: Peter Bauersachs)

Sie bezeichnen die Haftbedingungen in der Justizvollzugsanstalt als unwürdig und miserabel. Die Gefängnisleitung weist die Vorwürfe zurück.

Von Tahir Chaudhry, Erding

Vor einem Monat hat die SZ Erding über Ermittlungen gegen den Dienstleiter der Justizvollzugsanstalt (JVA) Erding, Georg Gaigl, wegen versuchter Körperverletzung berichtet. Das mutmaßliche Opfer ist ein 26-jähriger Australier, der von Ende 2015 bis Anfang 2016 in Erding inhaftiert war. Dieser hat inzwischen Gaigl und dessen Vorgesetzten Andreas Stoiber wegen Rechtsbeugung und Behinderung der Justiz angezeigt.

Er vermutet, dass die Aufzeichnungen einer Überwachungskamera, die den mutmaßlichen Angriff Gaigls auf ihn gefilmt haben müsste, bewusst gelöscht worden seien. Der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Landshut, Oberstaatsanwalt Klaus Ruhland, teilte unterdessen mit, das Ermittlungsverfahren laufe noch. Es hätten sich "noch weitere Ermittlungsansätze ergeben, denen derzeit nachgegangen wird".

Seit mehr als 50 Jahren beschäftigt sich der Jurist und Sozialwissenschaftler Bernd Maelicke mit dem Strafvollzug und der Resozialisierung von Straftätern in Deutschland. Er weiß, dass vieles, was aus dem Knast berichtet wird, nicht unbedingt glaubwürdig ist: "Die totale Institution des Gefängnisses und insbesondere die Subkultur der Gefangenen führen dazu, dass gern mit Gerüchten gearbeitet wird, um eigene Interessen durchzusetzen."

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Andererseits hätten es "Gefangene schwer, berechtigte Kritik zu äußern, damit ernst genommen zu werden und ihre Vorwürfe zu beweisen". Die Beamten im Strafvollzug hätten das Gewaltmonopol und die Gefangenen müssten ihren Anweisungen Folge leisten. "Beide Seiten sind rund um die Uhr Stresssituationen ausgesetzt und deshalb kommt es vereinzelt zu Übergriffen", sagt Maelicke.

Die Vorfälle hätten aber deutlich abgenommen, weil sich das Auswahlverfahren und die Ausbildung der Beamten wesentlich verbessert hätten: "Seit der Strafvollzugsreform 1977 gibt es eine positive Entwicklung, dennoch gibt es in vielen Justizvollzugsanstalten großen Nachholbedarf."

Ein 25-jähriger Brite, der elf Monate in der JVA Erding inhaftiert war, spricht von "unmenschlichen" Bedingungen im Erdinger Knast. "Weil ich kein Wort deutsch spreche, hat man mir keine Beachtung geschenkt", klagt er. Ob man Papierkram erledigen, gesundheitliche Probleme signalisieren oder die Essensration anfordern wolle - als Insasse ohne Deutschkenntnisse werde man allein gelassen.

Der Dienstleiter der JVA lehnt eine Stellungnahme ab

Der Umgang mit Flüchtlingen sei "rassistisch", sagt der ehemalige Häftling, weil die Vollzugsbeamten wüssten, dass "diese Leute ihre Rechte sowieso nicht kennen". Weiter berichtete er der SZ von täglichen Kämpfen zwischen den Häftlingen und mehreren Hungerstreiks von Gefangenen. Der Grund sei eine "ungerechte Behandlung und der schreckliche Zustand der JVA. Es ist nicht anders zu erwarten, wenn man mit Menschen wie Dreck umgeht".

Dienstleiter Gaigl, den die SZ mit den Vorwürfen konfrontierte, lehnte am Telefon eine Stellungnahme dazu ab. Sein Vorgesetzter Stoiber, der Leiter der Gefängnisse in Landshut, Erding und Mühldorf, schickte ein schriftliches Dementi: "Die Vorwürfe werden entschieden zurückgewiesen."

Ein weiterer ehemaliger Häftling, der Anfang 2016 entlassen wurde, berichtete der SZ ebenfalls über Missstände im Erdinger Gefängnis. Unter anderem sei Gefangenen, die sich bei bestimmten Vollzugsbeamten etwa über fehlenden Hofgang, verdorbene Lebensmittel oder die Verabreichung zu starker Medikamente beschwert haben, damit gedroht worden, sie "nach Taufkirchen in die geschlossene Psychiatrie" einzuweisen.

Wie sechs weitere ehemalige Gefangene, mit der die SZ gesprochen hat, beschwert er sich auch über die äußeren Haftumstände im Erdinger Gefängnis. Die Zellen seien zu klein und zu eng, die Fenster in den Hafträumen so weit oben angebracht, dass man keinen Blick nach draußen werfen kann: "Das ist alles Schrott, sehr veraltet, zu klein und eng."

Der Australier, der Dienstleiter Gaigl wegen versuchter Körperverletzung angezeigt hat, sieht in der JVA die Vorschriften missachtet, wie Hafträume beschaffen sein müssten: "Sogar Beamte der JVA haben mir gesagt, dass weder Einzel- noch Gemeinschaftszellen den Vorgaben entsprechen." So sei er selbst in einer Einzelzelle auf deutlich weniger als sieben Quadratmetern und eine Zeitlang mit fünf weiteren Gefangenen auf 20 Quadratmetern eingesperrt gewesen.

In einer Einzelzelle habe es zudem keine Möglichkeit gegeben, den Fenstergriff zu erreichen, außer, wenn man sich auf Zehenspitzen auf die schmale Bettkante stelle. Auch in der Gemeinschaftszelle sei das Fenster nur schwer zugänglich. Man müsse von der "oberen Bettkante des Hochbetts den Arm weit strecken, um den Griff zu erreichen", sagt der Australier.

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Ein weiterer ehemaliger Häftling der JVA Erding, der der SZ im Mai über den sehr einfachen Zugang zu harten Drogen im Gefängnis berichtete, bestätigt das: "Die Zellen waren extrem eng und die Fenster waren so hoch, dass man nicht einfach einen Blick nach draußen werfen konnte." Die Kapelle im Gefängnis sei ihm zufolge sogar als 18- Mann-Zelle benutzt worden.

Dienstleiter Gaigl antwortete im Mai dazu noch selbst: "Die Belegung der Kapelle ist seit Jahren beendet. Es finden dort wieder normale Freizeitveranstaltungen statt." In einer erneuten Stellungnahme versichert auch Stoiber: "Größe und Ausstattung der Hafträume entsprechen den Vorgaben der Rechtsprechung."

Die JVA Erding wurde vor mehr als hundert Jahren in Betrieb genommen. Ein so altes Gefängnis sei kein Einzelfall, sagt Strafvollzugsexperte Maelicke: "Leider gibt es immer noch baulich veraltete Anstalten aus Kaisers Zeiten und zum Teil auch Überbelegung der Hafträume, die nicht den Mindestanforderungen eines modernen Behandlungsvollzugs entsprechen."

Es müsse aber in jedem Fall zumindest der Maßstab der Menschenwürde gelten, bei Neubauten sogar der Maßstab des modernen sozialen Wohnungsbaus. In moderneren Gefängnissen könne man "geradeaus aus dem Fenster schauen und auch die Toilettenräume sind abgetrennt", sagt Maelicke. So wie in der erst acht Jahre alten JVA Landshut, mit deren Bau die mehr als hundert Jahre alte JVA Erding eigentlich überflüssig werden sollte, die dann aber doch nicht geschlossen wurde.

Das Problem der Überbelegung ist in Bayern besonders groß

Die Rechtsprechung geht von einem Regelwert von sieben Quadratmeter Grundfläche pro Gefangenen in einer Einzelzelle aus. In Gemeinschaftszellen müssen es vier Quadratmetern pro Gefangenem sein. Allerdings ist die unfreiwillige Gemeinschaftsunterbringung - insbesondere bei unzureichend abgetrennter Toilette im Haftraum - laut Bundesverfassungsgericht ein Verstoß gegen die Menschenwürde.

Aus einer statistischen Auswertung des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands wird ersichtlich, dass das Problem der Mehrfach- und Überbelegung in Bayern besonders groß ist. Mehr als 39 Prozent der Gefangenen litten demzufolge 2014 unter Platzmangel.

Viele Bürger finden es jedoch in Ordnung, wenn die Zustände im Gefängnis miserabel sind, nach dem Motto, "ist ja immerhin kein Urlaub". Maelicke hält dieses Denken für irrational und falsch: "Jährlich werden circa 50 000 Gefangene aus dem Strafvollzug entlassen. Da muss es in unserem Interesse sein, dass möglichst wenige Rückfälle stattfinden." Härte und Abschreckung würden aber nicht zu weniger, sondern zu mehr Rückfällen führen.

© SZ vom 01.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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