Folge 6:Der Himmelsweiher

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Aus dem Deuschlweiher in Grafing wurden bis nach dem Zweiten Weltkrieg Eisblöcke zum Kühlen von Bier geschnitten. Heute zieht der idyllische Teich im Wald vor allem Spaziergänger und im Winter Eisläufer an

Von Barbara Mooser, Grafing

Für die Buben waren es aufregende Tage, wenn die Arbeiter mit ihren Ochsenkarren am Deuschlweiher anrückten. Mit Handsägen schnitten die Männer im Winter große Eisblöcke aus dem Weiher, zogen sie über Rampen auf die Wagen und brachten sie in die Stadt. Dort hielten sie - auf isolierenden Binsen gelagert - auch im Hochsommer das Bier der Grandauer Brauerei in den tief verzweigten Kellerräumen so, wie es sein musste: frisch und kalt.

Günter Ettenhuber, der dienstälteste Naturschutzwächter im Landkreis Ebersberg, kann sich an diese Zeit noch gut erinnern, er war damals, in den Fünfzigerjahren, noch ein Kind. Sein Bruder liebte es, wie er erzählt, mit den Schlittschuhen von Eisscholle zu Eisscholle zu springen. Inzwischen sind die Zeiten der Eisernte längst vorbei, jede Brauerei verfügt über moderne Kühlanlagen. Den Deuschlweiher, versteckt in einem Wäldchen auf einem Hügel über Grafing gelegen, gibt es aber noch. Heute ist er ein Refugium für Libelle und Teichfrosch - und ein beliebtes Ziel für die Grafinger Spaziergänger.

Als Naturschutzwart Günter Ettenhuber ein Kind war, diente der Deuschlweiher noch als Eislieferant für Brauereien und als Badesee für die Grafinger. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Seinen Namen hat der Deuschlweiher von einer Brauersfamilie, die allerdings in der reichen Geschichte der Grafinger Brauereien nur ein kurzes Intermezzo gegeben hat, wie Stadtarchivar Bernhard Schäfer erzählt. Seit 1855 war die vormalige Grandauer Brauerei, die ihre Wurzeln im späten 16. Jahrhundert hatte, im Besitz der Familie, erst leitete Georg Deuschl die Brauerei, dann übernahm sein Sohn Alois. Doch die wirtschaftliche Situation war schwierig, und als Alois 1926 starb, fand sich kein Nachfolger mehr in der Familie. Zwar lebten laut Schäfer damals noch elf der Kinder von Alois Deuschl, doch der neue Brauereichef hätte deshalb auch erst einmal zehn Geschwister auszahlen müssen. Das wollte sich niemand antun, die Brauerei wurde zunächst an die Brauereigenossenschaft "Zum Grandauer" verkauft, im Jahr 1993 übernahm dann der örtliche Konkurrent, der Wildbräu, das Unternehmen. Der Name allerdings hat sich über die Jahrhunderte gerettet, noch heute wird in Grafing das Grandauer Volksfest gefeiert.

Ob der Deuschlweiher eigens als Eisweiher für die nahe gelegene Brauerei angelegt wurde oder ob er auf natürlichem Wege entstand, darüber gibt es laut Johann Taschner, Chef der Naturschutzbehörde im Landratsamt, keine Aufzeichnungen. "Amtsbekannt" sei der Weiher jedenfalls seit 1910, als Naturdenkmal unter Schutz gestellt wurde er inklusive eines etwa 30 Meter breiten Uferstreifens im Jahr 1976. Welcher Schatz dort im Wald versteckt war, wurde in einer Biotopkartierung Anfang der Neunzigerjahre nochmals deutlich: Mehr als ein Drittel der Wasserfläche war damals von Nymphaea alba bedeckt, der Weißen Seerose, die heute auf der Roten Liste der gefährdeten Pflanzen in Bayern steht. Auch heute können Naturliebhaber den Anblick der weißen Blüten auf der grün schimmernden Wasseroberfläche genießen, obwohl der Bestand deutlich abgenommen hat. Warum, das weiß auch Johann Taschner nicht: Befürchtungen, dass sich Graskarpfen - die auch als "Unterwasserkühe" berüchtigt sind - im Weiher angesiedelt haben, haben sich jedenfalls bislang nicht bestätigt.

Heute darf man nicht mehr in den Teich, dafür ist sein Wasser Heimat für seltene Tiere und Pflanzen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Seit 2008 ist der Weiher Eigentum des Landkreises, der damals von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch machte und dabei auch einen Prozess vor dem Verwaltungsgericht ausfechten musste. Viel tun müsse man für den Unterhalt heute nicht, sagt Taschner. Außer Seerosen, Sumpfdotterblumen und verschiedene Binsenarten findet man am Weiher Seltenheiten wie den Wasserschlauch, eine fleischfressende Wasserpflanze, die im Frühsommer an ihren gelben Blüten zu erkennen ist. Wer die Pflanze genauer betrachtet, sieht die winzigen Fangbläschen zwischen den zarten Blättchen. In diese wird durch Unterdruck Plankton eingesaugt, das der Pflanze als Nahrung dient. Auch wenn es dem Weiher gut geht, eine Sorge hat Naturschutzwächter Günter Ettenhuber doch. Er steht am Ufer und deutet auf ein paar Erlen, deren abgebrochene Äste in das Wasser hängen. "Dadurch verlandet der Weiher immer mehr", befürchtet der 78-Jährige, der auf seinen Kontrollgängen immer wieder bei dem kleinen Gewässer vorbeischaut. Ein paar zu trockene Jahre hätten dem Weiher ohnehin zugesetzt, sagt er. Ein "Himmelsweiher" sei es, fast nur durch Regen gespeist und nur durch wenige Zuflüsse.

Schon jetzt ist der Weiher nicht mehr ganz so groß wie damals, als Ettenhuber und seine Freunde im Sommer badeten und zu der kleinen Insel mitten im Teich schwammen. Nur die Ringelnattern, die sich neben den Schwimmern ins Wasser gleiten ließen, verleideten ihnen das Vergnügen etwas. Die Ringelnattern gibt es noch, baden darf hier lange schon niemand mehr. Im Winter aber ist am ehemaligen Eisweiher immer noch eine Menge los. Zwar sind die Ochsenkarren längst Vergangenheit - dafür kommen jetzt die Eisstockschützen und die Schlittschuhfahrer.

Die Weiße Seerose gehört ebenfalls zu den Pflanzen, die am Weiher gedeihen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

In der Wochenendausgabe geht es um den Biedersteiner Kanal in Nymphenburg.

© SZ vom 11.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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