Anfänge der Siedlung:Erdings Wiege stand in Pretzen

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Pretzen lag an einer überregionalen Handelsstraße. (Foto: Privat)

Historischer Verein präsentiert neuen Forschungsstand: Der Ortsname geht auf das keltische "Bratan" zurück, eine Bezeichnung für einen Gerichtsstand. Er lag an einer alten Handelsstraße, die dann Teil einer Römerstraße wurde.

Von Thomas Daller, Erding

Hans Bauer vom Historischen Verein Erding hat sich mit den Anfängen der Siedlung an der Sempt beschäftigt und sich auf die Suche nach dem Namen dieses präurbanen Erding begeben. In der Jahresschrift des Vereins erläutert er das Ergebnis: Demzufolge gab es eine Siedlungskontinuität bis in vorrömische Zeit. Die Römer nannten den Ort Bratanium, eine Adaption des keltischen Ortsnamens Bratan. Der Name habe sich dann über die Lautverschiebungen in das spätere Bretzen und schließlich Pretzen erhalten.

"Nach wie vor hängt Erding an alten und längst überholten geschichtlichen Vorstellungen, die vor teilweise mehr als einhundert Jahren veröffentlicht wurden und seither als gesicherte Fakten gelehrt werden", schreibt Bauer vorweg. Inzwischen habe sich das traditionelle Bild aber maßgeblich verändert.

Als zugrunde legende Faktoren verweist Bauer auf eine zweite römische Straße, die durch den Raum Erding entdeckt wurde und besondere Aspekte der historischen Verhältnisse in römischer und auch vorrömischer Zeit in den Fokus rückte. Schon zu vorrömischer Zeit habe es hier eine nichtagrarische Siedlung gegeben, deren Ursprünge sich bereits in keltischer Zeit fassen ließen.

Eine alte Karte der Römerstraße mit Angaben zu den heutigen Orten. (Foto: Privat)

Bauer griff bei seiner Forschung auf zwei alte römische Schriftquellen zurück: Die Tabula Peutingeriana, eine Kopie eines römischen Straßenplans, der das gesamte Imperium umfasste, sowie auf einen Ausschnitt aus dem Itinerarium Antonini. In diesen beiden römischen Straßentabellen aus der Zeit des ausgehenden 4. Jahrhunderts ist von Salzburg nach Augsburg nur eine einzige römische Fernstraße verzeichnet. Sie wurde in jüngster Zeit erneut einer wissenschaftlichen Auswertung unterzogen. Mit der Lokalisierung eines vergessenen Innübergangs im Raum Wasserburg habe man den weiteren Verlauf der Route sichern können: "Sie folgte einem alten, hochfrequentierten keltischen Fernhandelsweg von Salzburg nach Nordwesten zur Donau bei Manching und durchquerte auch den Raum Erding", schreibt Bauer. "Die Römer benutzten diese Straße unmittelbar nach der Besetzung des Landes."

Der Lebensunterhalt der Bewohner von Bratan fußte nicht auf rein agrarischer Tätigkeit

Nach dem Innübergang "Pons Aeni" folgt ein "Isinisca" (Isen am gleichnamigen Fluss). Danach nennt die "Tabula" dann einen Ort namens "Bratananium/Bratananio". Arthur Adam, ein Namenskundler an der Universität Heidelberg, sah in dem römischen Namen einen Bezug zu keltischen Ortsnamensbestandteilen: Das Wort "brat" stehe im Keltischen für "Gericht" oder "Gerichtsort", also für einen zentralen Ort mit besonderen Herrschafts- und Verwaltungsinstitutionen.

Der Forscher sah in dem latinisierten "Bratanium" die römische Adaption eines Ortsnamens "Bratan" und in der Endung eine Gruppenähnlichkeit mit keltischen Ortsnamen in Europa. Damit erklärte er die Benennung des hier existierenden keltischen Ortes mit dessen hohen Bekanntheitsgrads und seiner überregionalen Bedeutung. Das gab den Ausschlag, warum die Römer - entgegen dem üblichen Usus - für ihre Straßenstation am Übergang der Sempt nicht den Namen des Flusses verwendeten.

Eine Fibel aus dem Kletthamer Gräberfeld, die auf die keltischen Einflüsse hinweist. (Foto: Privat)

Bratan sei keine bäuerliche Ansiedlung gewesen. Wie die Grabausstattungen zeigen, gab es eine deutliche gesellschaftliche Schichtung in der Bevölkerung. Der Lebensunterhalt der Bewohner fußte nicht auf rein agrarischer Tätigkeit. Als Ort an einer überregionalen Handelsstraße liege ein ursächlicher wirtschaftlicher Zusammenhang mit Handel und Transport nahe.

Auffallend in diesem Zusammenhang sei, dass in dem berühmten merowingerzeitlichen "Kletthamer Gräberfeld" im Bereich der heutigen Parksiedlung im Westen der Stadt etwa ein Drittel der hier bestatteten Toten offensichtlich einer anderen Volksgruppe zugeordnet werden musste. Ihre Bestattungsweisen und ihre Grabbeigaben unterschieden sich deutlich von der anderen Gruppe der typisch germanischen Bestattungen.

Einzelne, möglicherweise geschlossene Gruppen dieser alteingesessenen Menschen wohnten demnach noch inmitten der im Zuge der Völkerwanderung eingewanderten germanischen Siedler mit eigenem Selbstbewusstsein und eigenen Traditionen. Eine dieser Ortsgemeinschaften, so Bauer, war in der Siedlung im späteren Pretzen zu Hause und konnte den ehemaligen Namen "Bratan" beibehalten, der sich später zu "Bretzen" stabilisierte. Erst im letzten Jahrhundert wurde daraus Pretzen.

Die Beibehaltung des alten keltischen Ortsnamens belegte nicht nur das Vorhandensein einer vorgermanischen Bevölkerung in diesem Raum, die Verwendung des keltischen Namens als römischer Straßenstation in dem Straßenverzeichnis der Tabula sichere damit auch erstmals den Namen der gesamten vorrömischen Siedlung im Raum der späteren Stadt Erding.

Der Ort war Kreuzungspunkt ("Quadrivium") mit einer weiteren römischen Straße

Bauer ist noch in einer weiteren Quelle fündig geworden: Er zitiert aus einem Aufsatz des Historischen Vereins der Oberpfalz aus dem Jahr 1834. Darin wird Bezug auf Teile dieses alten Forschungsstandes zur römischen Straße der Itinerare genommen: "Hier taucht erstmals - soweit erkennbar - unser Bretzen als römische Straßenstation in der alten Römerstraßenforschung auf." Dieser Beitrag enthalte eine bemerkenswerte Feststellung: Es werden nämlich die Stationsorte "Isunisca" und "Bratananio" als "Isen am Isenflusse" beziehungsweise als "Brezen bei Erding" genannt. "Es ist der bislang älteste schriftliche Beleg für die Nennung des Ortsnamens von Bretzen im Zusammenhang mit einer römischen Straße. Der Autor hatte die Erkenntnisse der frühen Römerstraßenforschung seit der Entdeckung der Tabula zusammengefasst und den damaligen Forschungsstand veröffentlicht."

Bereits 1834 befasste sich der Historische Verein der Oberpfalz mit Brezen bei der Römerstraßenforschung. (Foto: Privat)

Die genaue topografische Lage der römischen Straßenstation an der Sempt sei nicht geklärt. Eine Verbindung mit den hier wohnenden kelto-römischen Bewohnern sei aber nicht von der Hand zu weisen, schreibt Bauer. Der Ort sei zugleich Kreuzungspunkt ("Quadrivium") mit einer weiteren römischen Straße gewesen, deren Verlauf durch das Sempttal in Richtung Landshut seit längerer Zeit bekannt und archäologisch nachgewiesen sei. "Es kann also festgehalten werden: Die Route der Tabula Peutingeriana und des Itinerarium Antonini von Salzburg nach Augsburg ist nach den Erkenntnissen der alten Forschung über Wasserburg, Isen und den Raum Erding verlaufen. In dem Namen der Station können wir den Namen der hier existierenden Siedlung erkennen."

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