Erding:Ganz oder gar nicht

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Herbert Knurs Entscheidung, bei der Kommunalwahl im März nicht mehr zu kandidieren, trifft Freund und Feind wie ein Donnerschlag. Den eigenen Anspruch zu erfüllen, das war dem Berglerner Bürgermeister bei allen seinen Ämtern immer das Wichtigste

Von Wolfgang Schmidt

Am Rosenmontag beginnt der Umzug ins neue Berglerner Kinderhaus. Weil die Außenanlagen nicht rechtzeitig fertig werden, wird Herbert Knur ein letzter großer Auftritt in seiner Gemeinde als Bürgermeister verwehrt bleiben. Die Einweihungsrede wird schon sein Nachfolger halten. Knur hätte während der feierlichen Zeremonie dieses immer leicht spöttische Lächeln um die Mundwinkel und ein Stückchen Papier mit den wichtigsten Daten des von ihm initiierten Millionenprojekts in der Hand gehabt. Dabei konnte er zeitlebens auf einen Spickzettel getrost verzichten, denn Zahlen und Fakten kann er wie kaum ein zweiter im Kopf speichern. Das zeigt sich bei jeder Sitzung des Berglerner Gemeinderates, das war in allen Ämtern so, die Herbert Knur inne hatte und hat. Du musst immer besser vorbereitet sein als die anderen, lautet sein Anspruch an sich selbst.

Ohne penibles Aktenstudium ist so ein Pensum nicht zu leisten, da eifert Knur seinem Vorbild Hans-Jochen Vogel nach, dem früheren Münchner Oberbürgermeister, der, versteckt hinter einer dicken Hornbrille, in den sechziger Jahren den Ruf des peniblen Aktenfressers kultivierte. Mit Liebe zu Paragrafen oder Aktenzeichen hat das aber rein gar nichts zu tun. Wer das auch nur für möglich hält, riskiert einen scharfen Knur-Blick. Das sei eine reine Notwendigkeit, und zwar für jeden, der eine Aufgabe übernimmt. Der Mann, der in so vielen Sätteln saß und immer noch sitzt, kann der Vorstellung überhaupt nichts abgewinnen, in eine Sitzung zu gehen und nicht zu wissen, wo die Diskussion hingehen soll. Ämter gab und gibt es zuhauf. Knur war Pressesprecher, geschäftsleitender Beamter, Leiter der Akademie der Bayerischen Presse, kaum zu zählen sind die ehrenamtlichen Tätigkeiten, die sich der 67-Jährige neben seinem Bürgermeister-Job parallel dazu auch noch aufgebürdet hat. Ein bisschen viel für einen einzigen Menschen, möchte man meinen. Wenn er "Ämterhäufung hört, dann fällt mir Herbert Knur ein", sagt er selbst. Doch was soll daran schlimm sein? Den Vorwurf, sich zu verzetteln, den habe er nie gehört. Zwei Jobs, die er unbedingt haben wollte, hat Knur nicht bekommen. Landrat wollte er werden und Landtagsabgeordneter. Die damaligen CSU-Parteifreunde haben ihm Martin Bayerstorfer und Jakob Schwimmer vorgezogen. Das sei Demokratie, sagt Knur schulterzuckend. "Auch wenn's mir nicht passt und auch wenn ich die Entscheidung für falsch gehalten habe."

Den eigenen Anspruch zu erfüllen, das war Knur wichtig in seinem Werdegang. Das zieht sich als roter Faden durch seine Vita. Wenn diese Vorgabe nicht zu erfüllen war, dann geht er eben. Wohlgemerkt: Er wird nicht gegangen. Er geht.

Herbert Knur wird am 15. September 1946 in München geboren und erlebt in seiner Kindheit eher magere Jahre. Seine Schullaufbahn beendet er in der städtischen Wirtschaftsaufbauschule in der Ridlerstraße mit der Mittleren Reife. Vage Überlegungen, bis zum Abitur weiter zu machen, stoppt die Mutter. Die befindet kurzerhand: "Jetzt wird's Zeit, dass Du einmal ein Geld verdienst". Und der Vater weiß auch schon wie und wo: "Du wirst Beamter." Knur setzt sich also auf sein Fahrrad, fährt zum Marienplatz, geht im Rathaus zur Personalstelle und ist auf einmal Inspektoranwärter. Es dauert nicht lange, bis der 19-Jährige, unterstützt von einigen doppelt so alten Mitarbeitern, die Kasse der Amtsvormundschaft mit 6500 Mündelkonten leitet.

Nach der Ernennung zum Inspektor kommt er als Adlatus des kaufmännischen Direktors zu den städtischen Verkehrsbetrieben und kniet sich in die neue Aufgabe, den Münchner Verkehrs- und Tarifverbund vorzubereiten. Mit dem Umzug des Münchner Verkehrs- und Tarifverbunds in das Obletterhaus am Stachus wird Knur 1970 Mitarbeiter in der Stabsstelle für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Bereich Public Relations. Als es seinen damaligen Stabsstellenleiter Fritz Wiedemann mit Macht wieder zum Bayerischen Rundfunk zurückzieht, "will Knur die Karriereleiter eine Stufe höher klettern. Weil die Geschäftsführung das anders sieht, "war ich beleidigt", sagt er - und geht.

Privat schmiedet der junge Mann zu diesem Zeitpunkt mit seiner künftigen Ehefrau Zukunftspläne. Es trifft sich gut, dass den Schwiegereltern in Berglern ein baureifes Grundstück gehört. Noch besser ist es, dass just zur gleichen Zeit im Staatsanzeiger eine Stellenanzeige erscheint: Die Krankenanstalten des Landkreises Erding suchen einen Leiter der Personalabteilung und stellvertretenden Verwaltungsleiter. Knur bewirbt sich, und vom 15. Juni 1972 an - das neue Erdinger Krankenhaus war gerade am Fertigwerden - hat er die Aufgabe, das Pflegepersonal zu akquirieren.

Landrat Simon Weinhuber wird auf den jungen Mann aufmerksam und fragt ihn ein halbes Jahr später, ob er sich vorstellen könne, geschäftsleitender Beamter im Landratsamt zu werden - selbstverständlich hat er Ja gesagt. Nicht einmal 28 Jahre alt, übernimmt Knur am 1. April 1974 die Stelle und hat es mit Sachgebietsleitern zu tun, die teilweise mehr als doppelt so alt waren. Vom ersten Tag an wird er praktisch auch Weinhubers Pressesprecher. Zu diesem Zeitpunkt gehört Knur keiner Partei an. Bis 1972 besitzt er vier Jahre lang das Parteibuch der SPD, nicht zuletzt deshalb, weil er "ein Fan von Hans-Jochen Vogel" ist, den er auch heute noch für einen der "integersten und tüchtigsten Politiker der Nachkriegszeit" hält. Als die unter Rudolf Schöfberger und Christian Ude nach links außen gerutschte Münchner SPD Vogel als Oberbürgermeister-Kandidat für die Kommunalwahlen 1972 absägt, tritt Knur bei den Genossen aus.

Bei Landrat Weinhuber, der der Bayernpartei angehört, ist Knur inzwischen zur rechten Hand avanciert, aber auch zum damaligen stellvertretenden Landrat Hans Zehetmair von der CSU baut sich ein Vertrauensverhältnis auf. Als sich abzeichnet, dass Zehetmaier 1978 als Favorit bei der Landratswahl ins Rennen gehen wird, bahnt sich für Knur ein Loyalitätskonflikt an. Er steht vor der Entscheidung, als "Wendehals" dazustehen, wenn er sich erst nach einem Wahlsieg Zehetmairs in der CSU engagiert oder seinem Förderer Weinhuber "sehr weh tun zu müssen". Dass die Entscheidung pro CSU fällt, erfährt Weinhuber von Knur im Januar 1977 auf dem Krankenbett. Der fragt seinen Ziehsohn: "Was glauben Sie, was Franz-Josef Strauß mit seinem engsten Mitarbeiter machen würde, wenn der ihm erklären würde, er sei bei der SPD eingetreten". Die Antwort lautet: "Wahrscheinlich wird er ihn einen Kopf kürzer machen und ihm den Job entziehen." Heute sagt Knur, "ich weiß nicht, ob ich mich da nicht zu groß mache, aber vielleicht hat meine Entscheidung dazu beigetragen, dass Weinhuber nicht mehr kandidiert hat". Dessen Verzicht hat jedenfalls eine Kettenreaktion ausgelöst - so einige Würdenträger haben den Weg in die CSU genommen.

Vier Landräte hat Knur erlebt, "dreien davon habe ich gedient". Weinhuber, sagt er, habe er menschlich viel zu verdanken. Von ihm habe er auch gelernt, wie man in der Politik steht, auch wenn einem der Wind entgegen bläst. Achteinhalb Jahre arbeitet Knur mit Zehetmair zusammen, der ihm als Chef mehr oder weniger freie Hand lässt - der spätere Kultusminister war damals kulturpolitisch schon viel unterwegs. Knur sagt, "ich wusste wie Zehetmair tickt und ich bildete mir ein, an seiner Stelle Presseanfragen beantworten zu können, ohne mich selbst in den Vordergrund zu stellen". Vize-Landrat Alfred Dreier hat ein Interregnum von Anfang November 1986 bis zum 5. Februar 1987. Dreier zählt Knur zu den engen persönlichen Freunde innerhalb der Partei - "das gibt's ja nicht so oft". Und dann "kam der Xaver Bauer und dann bin ich gegangen". Knur empfindet es als bewussten Affront, dass Bauer den ihm versprochenen Posten als dessen Stellvertreter im Amt an einen an Jahren und Dienstjahren Jüngeren vergibt.

Es gibt einige Job-Angebote für ihn. Die Akademie der Bayerischen Presse aber reizt Knur am meisten. Er betritt das Neuland der neuen Medien und begreift es als Riesenherausforderung, eine Einrichtung von Grund auf zu konzipieren. Der Akademie einen Namen und eine Adresse zu geben, das ist sein Auftrag. Am 1. November 1988 beginnt seine Arbeit im Hinterzimmer einer Münchner Anwaltskanzlei. Als Knur am 31. Dezember 2011 aufhört, werden die Kurse und Seminare von annähernd 30 000 Teilnehmern besucht, die Einrichtung ist national und international vernetzt. Er bilde sich ein, "ich habe den Auftrag erfüllt", sagt Knur.

Parteipolitisch hält sich Knur nach seinem Eintritt in die CSU auf Kreisebene noch einige Zeit im Hintergrund. Der Chef, Landrat Zehetmair, muss den Medien und den gesellschaftlichen Gruppierungen angemessen verkauft werden. "So habe ich jedenfalls mein Amt verstanden," sagt Knur. Für die eigene Profilierung bleibt also wenig Raum. Allerdings fungiert er im Landkreis Erding als Kreisvorsitzender des Bayerischen Landes-Sportverbandes und ist dadurch in der öffentlichen Wahrnehmung stark verankert. Mit Ausnahme von Kirchberg, sagt Knur, hätte er allen Landkreis-Gemeinden bei der Finanzierung ihrer Sportstätten mit Rat und Tat zur Seite gestanden.

Der Aufstieg innerhalb der CSU beginnt mit dem Wechsel zur Akademie der Bayerischen Presse. Für Knur ist die Loyalitätspflicht nicht mehr gegeben. Er reüssiert im Kreisvorstand, wird dort Pressesprecher, gibt das Amt aber auf, als er 2001 gegen Martin Bayerstorfer den internen Wettbewerb um die Landtagskandidatur verliert. 2002 wird er in den Kreistag gewählt, 2008 wird er CSU-Fraktionsvorsitzender und bleibt das dreieinhalb Jahre lang - bis die Geschichte mit der dritten Startbahn hochkocht. Knur steht in Berglern im Wort. Er hat angekündigt, wenn diese dritte Startbahn kommt, dann gibt es das Parteimitglied Herbert Knur nicht mehr. Er führt Gespräche mit Edmund Stoiber, Günther Beckstein und Horst Seehofer, er will die Herren überzeugen, dass die vom Flughafen gewählte Lage für die dritte Start- und Landebahn "unzumutbar ist für die Gemeinde". Seehofer verspricht Knur, vor einer Entscheidung werde es auf jeden Fall noch ein Gespräch geben. Als dann im Juli 2011 in Traunreut Ilse Aigner zur Bezirksvorsitzenden gewählt wird, wird Knur bei Seehofers Ansprache hellhörig, als der verkündet, dass der Planfeststellungsbeschluss bald bekannt gegeben werde. Wenige Tage später wird er veröffentlicht, am gleichen Tag kommt eine Presseerklärung aus der Staatskanzlei, dass der Ministerpräsident den Bau der Startbahn wie vom Flughafen gewünscht befürwortet. "Da ist bei mir schon etwas zusammengebrochen", sagt Knur. Mit ihm tritt die ganze Vorstandschaft in Berglern zurück. Den Austritt bereut Knur bis heute nicht, allerdings lässt er sich zu einer Geste hinreißen, die ihm als medienerfahrenen Menschen nie und nimmer hätte passieren dürfen, ärgert er sich noch heute. Die Leute vom Privatfernsehen bringen Knur dazu, symbolhaft seinen Mitgliedsausweis "runterflattern zu lassen - und ich Esel hab das gemacht". Wenigstens stand Berglerns Bürgermeister mit dieser Aktion in der New York Times.

In seiner Wahlheimat Berglern beginnt Knurs politische Karriere etwas holprig. 1986 scheitert er bei seinem ersten Anlauf auf das Bürgermeisteramt. Nach einem "ziemlich üblen Wahlkampf" fehlen ihm in der Stichwahl neun Stimmen. Als er 1990 dann Bürgermeister wird, besteht in Berglern ein totaler Baustopp. Den zu überwinden sieht er als seine wichtigste Aufgabe an - für ihn steht fest, dass das Unterfangen nur über die zentrale Regelung einer Abwasserentsorgung gelingen kann. Als der Beitritt zum Abwasserzweckverband nach schier endlosen Streitereien endlich Realität wird, droht neues Ungemach. Das Landratsamt fordert die Nachrüstung der Kläranlage mit einer dritten Reinigungsstufe. Die Kostenschätzung liegt bei 120 Millionen Mark, was im Ort auf völliges Unverständnis trifft, schließlich war die Anlage wenige Jahre zuvor als eine der modernsten in Europa in Betrieb gegangen. Als dann auch noch die Zuwendung des Freistaats um 28 Millionen Mark gekürzt werden sollte, wird Knur in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Abwasserzweckverbandes beim damaligen Innenminister Stoiber vorstellig. Vielleicht ist es die Drohung Knurs, man könne sich sofort einen neuen AZV-Vorsitzenden suchen, wenn den Bürgern die 28 Millionen aufgebürdet würden, vielleicht ist Stoiber aber auch an seinem 51. Geburtstag in Spendierlaune, vielleicht überzeugen aber auch die Argumente. Tatsache ist: Berglern, Eitting und Moosinning können als vom Flughafen betroffene Gemeinden vorzeitig mit dem Bau ihres Ortskanals beginnen. Damit, sagt Knur, waren das Hindernis für Wohnungsbau beseitigt.

Viele Berglerner, das weiß ihr Noch-Bürgermeister, haben in ihm immer den nüchternen Verwaltungsbeamten gesehen. Dazu passt es überhaupt nicht, dass Knur als Höhepunkt seiner fast 25 Jahre als Bürgermeister nicht etwa die schwierige Organisation der Großdemo gegen die dritte Start- und Landebahn ansieht, sondern ausgerechnet ein Fest, wenn auch ein ganz besonderes. 1993 ist das Jahr der 1200-Jahr-Feier. Damals, sagt Knur, sei seine Vision, die immer zerstrittene Gemeinde Berglern zu einer Einheit zusammenzuführen, fast Realität geworden. Da hätte die Gemeinde vom 1. Januar bis zum 31. Dezember zusammengehalten.

Seine Entscheidung, in Berglern bei der Kommunalwahl im März nicht mehr zu kandidieren, trifft Freund und Feind wie ein Donnerschlag. Knur macht kein Hehl daraus, dass die Art, wie über das Kinderhaus im Gemeinderat beraten wurde, der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, "um die blöde Metapher zu missbrauchen". Er hält den Zeitpunkt für gut gewählt. Knur sagt, er gehe auf einem Höhepunkt, der mit dem Neubau des Kinderhauses noch einmal dokumentiert wird. Und was ganz wichtig für ihn ist, er bestimmt seinen Abgang selbst. Seinen Hobbys Fußball und Radfahren und Wandern will er nachgehen. Bei Gelegenheit wieder in einem anspruchsvollen Chor mitwirken, geschichtliche Literatur studieren. Und im Wohnzimmer steht ein Klavier, das einige Jahre nicht bespielt wurde. Sein Licht unter den Scheffel zu stellen, das ist Herbert Knurs Sache nicht. Er sagt denn auch: "Ich gehe als Berglerner Bürgermeister mit erhobenem Haupt und in dem Bewusstsein, dass ich vieles geleistet habe."

Was bleibt der Öffentlichkeit von Herbert Knur? "Wenn es nach mir geht, dann kann es ganz enden," sagt er. So ganz kann man das dem Mann nicht glauben und liegt damit bestimmt nicht ganz falsch. Die Führung des Abwasserzweckverbandes ist etwas, was zur Entscheidung ansteht, "aber wie gesagt, ich dränge mich nirgends auf". Knur hat auch schon Signale, dass man ihn gerne weiter in der Fluglärmkommission sähe - und zwar als deren Vorsitzender. Gerade wegen der dritten Start- und Landebahn - ob sie nun kommt oder nicht. Klar, dass er sagt: "Ich werde mich nicht gegen das Angebot wehren."

© SZ vom 01.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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