SZ-Adventskalender:Für alle da

Lesezeit: 3 min

Die Aktionsgruppe Asyl kämpft in Erding für die Integration der Flüchtlinge und deren Perspektiven. Die Helfer suchen Wohnungen, feiern Feste und organisieren jungen Menschen wie Ramiz einen Schulplatz

Von Sebastian Fischer, Erding

Vor ein paar Wochen war Ramiz in Sorge. Natürlich war der 18 Jahre alte Afghane glücklich, in Erding in Sicherheit zu leben und im Fußballverein zu spielen. So hat es Ramiz Anfang November erzählt, und er lächelte dabei. Er sagte, dass er Deutschland liebe, eigentlich. Doch dann legte er seine Stirn in Sorgenfalten, als er über seine Zukunft sprach. "Ich muss lernen, ich muss Geld verdienen", sagte er. Heute sagt er das stolz: Ramiz darf seit den Herbstferien zur Berufsschule gehen. Er würde am liebsten alle anderen Termine absagen, um zu lernen, sagt die ehrenamtliche Flüchtlingshelferin Maria Brand. Auch sie klingt stolz. Denn ohne ihre Aktionsgruppe Asyl hätte Ramiz wohl noch immer keinen Berufsschulplatz.

Brand könnte Dutzende Geschichten wie diese erzählen. Die Aktionsgruppe Asyl (AGA) gibt es seit 2013, sie ist mittlerweile eine Institution im Landkreis. Die AGA berät die Helferkreise in allen Kommunen im Asylrecht, koordiniert Sprachkurse, Arztbesuche und die Suche nach Schulplätzen, organisiert Ausflüge, Feste und Freizeitangebote. Helfer sammeln und verteilen Kleider. Suchen Wohnungen. Sind einfach nur da. Die Liste ist lang.

Dass Brand am Freitagnachmittag in ihrem Büro im Sonic-Jugendzentrum nicht alle Geschichten ausführt, liegt einerseits daran, dass sie vorsichtig ist mit der Namensnennung in schwebenden Asylverfahren. Und zum anderen daran, dass sie gar nicht so viel Zeit zum Erzählen hat. Laufend klingelt ihr Telefon, eine Helferin ruft an wegen Albanerinnen, die ins Abschiebelager nach Manching gebracht werden sollen. Die Abschiebung sei unausweichlich, klar, aber Manching? Ginge das nicht auch von Erding aus? Menschlichkeit, das ist eines der Anliegen der AGA. Die Container-Unterkunft am Korbinian-Aigner-Gymnasium zum Beispiel, die sei menschenunwürdig, sagt Brand. Eine hochschwangere Frau müsse dort täglich nach draußen durch die Kälte ins Bad.

Brand hat Ramiz selbst besucht, als er nach seiner Flucht in psychiatrischer Betreuung war. Sein Bruder und sein Vater sind in Afghanistan gestorben, mit seiner Mutter telefoniert er manchmal. Brand ist mit ihm spazieren gegangen, hat geredet. Die Fahrt mit ihrem Auto hat sie nirgendwo abgerechnet. Ihren Helfern möchte sie das aber eigentlich gerne bieten können: Dass sie für ihre freiwillige Hilfe und ihre Zeit nicht auch noch bezahlen müssen. Die tägliche Betreuung der Flüchtlinge, die Beschäftigung mit Einzelschicksalen wie dem von Ramiz - das ist in den vergangenen Monaten schon zum Alltag geworden. Darüber hinaus geht es der AGA aber vor allem um etwas, von dem die ganze Gesellschaft profitiert: Perspektiven.

Bevor Ramiz an der Berufsschule angenommen wurde, hat er im Jugendzentrum einen Deutschkurs besucht. Zwölf Stunden in der Woche unterrichten dort drei Lehrerinnen, die mit Spendengeld bezahlt werden. Für 20 Leute war der Kurs geplant, doch es sprach sich herum: Eines morgens saßen 40 da. Den Kurs bietet die AGA an, weil Plätze an den Volkshochschulen oft knapp sind. Eine Helferin ist eigens dafür verantwortlich, alle VHS-Zweigstellen im Umkreis wöchentlich auf freie Kursplätze abzufragen. Gibt es welche, beteiligt sich die AGA an den Kursgebühren. Finden sie in München statt, kommen die Helfer oft für die Fahrtkosten auf.

Vor allem Kurse für junge Erwachsene, die schon einen Anfängerkurs absolviert haben, seien rar, sagt Brand. Sie erzählt von einer jungen Tschetschenin, die ein Praktikum in einem Altenpflegeheim absolviert habe. Sie sei geeignet, empathisch, werde dringend gebraucht, sagten die Chefs. Nur fehlten die notwendigen Deutschkenntnisse. Kurse auf den Niveaus, wie sie die meisten Flüchtlinge besuchen können, würden nur für Jobs qualifizieren, wie sie die Flüchtlinge oft gezwungenermaßen annehmen, sagt Brand: "Küchenhilfe, Reinigungskraft."

Nicht nur deshalb ist die Arbeit der Ehrenamtlichen unverzichtbar. Oft habe Brand erlebt, sagt sie, dass eine Flüchtlingsunterkunft erst durch die AGA regelmäßig betreut wurde. Doch immer öfter muss Brand bei der Arbeit auch Kosten abwägen: "Es kommen so viele kleine Summen zusammen." Am Freitag telefoniert sie mit einer Helferin aus Winkl. Sie habe die Fahrtkosten der Helfer im vergangenen halben Jahr zusammengetragen: 800 Euro, 15 Cent pro Kilometer. Und das nur für die Betreuung einer Unterkunft allein. In Winkl lebt Biniam, 21, aus Eritrea. Er darf nicht zur Berufsschule, obwohl er unbedingt will. Nach 16 Monaten in Deutschland hat er nun mit der seiner Helferin von der AGA einen Termin bei der Berufsvorbereitung. Vielleicht darf er bald einen Kurs besuchen. Vielleicht hat er bald eine Perspektive.

© SZ vom 12.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: