Erding/Dorfen:Versteckter Lockdown

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Kulturveranstaltungen sind kaum noch möglich. Wieder einmal wird abgesagt und verschoben

Von Florian Tempel, Erding/Dorfen

Birgitt Binder leitet das städtische Kulturzentrum Jakobmayer in Dorfen. (Foto: Renate Schmidt)

Déjà-vu trifft es nicht so ganz. Natürlich wecken die neuerlichen Corona-Einschränkungen für Kulturveranstaltungen unschöne Erinnerungen. Aber, sagt Birgitt Binder, Chefin des Dorfener Jakobmayer: "So schwierig wie jetzt war es noch nie." Jutta Kistner, die Chefin der Erdinger Stadthalle, ahnt sogar mehr denn je fatale Folgen für Newcomer und wenig etablierte Künstler, die trotz aller Probleme bis jetzt durchgehalten haben und nun erneut brutal ausgebremst werden: "Das kann für viele durchaus der Todesstoß sein." Die scharfen Regelungen, die vorerst bis zum 15. Dezember gelten, greifen ins Kulturleben wieder einmal viel stärker ein als in andere Lebensbereiche.

Die neuste, die 15. bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung verlangt in Paragraf 4, dass das Publikum "geimpft, genesen und zusätzlich getestet" sein muss und dass in einer Kulturstätte "maximal 25 Prozent der Kapazität genutzt werden" darf. Das ginge ja noch so halbwegs, sagt Jutta Kistner, "aber der Teufel steckt im Detail".

Ihr teuflisches Beispiel ist dieses: Der schon vor Monaten geplante Auftritt der Kabarettistin Christine Eixenberger in der Stadthalle Erding war wegen Corona ausgefallen und auf den heutigen Donnerstag, 25. November verschoben worden. Jutta Kistner hatte den neuen Termin vorsorglich für nur etwa 180 Zuschauer geplant. Zwei bis vier Gäste sollten jeweils an einem Bistrotischchen sitzen, mit viel Abstand zu den anderen. Mit der normalen Reihenbestuhlungen gingen 800 Leute in die Stadthalle Erding. Die 25 Prozent-Grenze wäre bei Eixenbergers Auftritt also eingehalten gewesen, "die hätten wir nicht gerissen", sagt Kistner. Wobei sie eines klarstellt: "Wirtschaftlich ist das natürlich nicht." Es wäre mehr oder weniger ein Goodwill-Event gewesen, damit es für das Publikum überhaupt etwas zu erleben gibt. Die 2G plus-Kontrollen wären auch kein Problem gewesen. "Wir scannen das am Eingang, das geht ganz fix". Und doch musste sie Eixenbergers Auftritt absagen und in den März verschieben.

Jutta Kistner hat abgewartet, bis die bereits erwähnte neue Infektionsschutzmaßnahmenverordnung im Internet nachzulesen war. "In den Pressekonferenzen können die erzählen, was sie wollen", sagt sie, "die Infektionsschutzverordnung ist das, was für uns verbindlich ist". Und da steht, dass nur Personen aus dem gleichen Hausstand nebeneinander sitzen dürfen. Diese Regel ist "strikter, als es jemals war", sagt Jutta Kistner, und sie mache Christine Eixenbergers Auftritt schlicht unmöglich. Als die Karten verkauft wurden, hat sie wer weiß wer erworben, sicher nicht nur Menschen aus einem Hausstand. Die Auflage ist für Kistner nicht nachvollziehbar. Freunde, Kolleginnen, Eltern und erwachsene Kinder dürfen nicht am selben Bistrotisch Platz nehmen. Das sei deswegen so absurd, weil sie "zusammen im Auto herfahren dürfen, zusammen Essen gehen können, sie dürfen sogar in der Apotheke zusammen in der Schlange stehen, um den geforderten Corona-Test zu machen". Alles geht, nur nicht Kultur. "Diese Auflage ist ein versteckter Lockdown", sagt Jutta Kister, "von hinten durchs Auge". Das sei "keine faire und keine ehrliche Politik".

Im Jakobmayer ist man nun ebenfalls dabei, die Veranstaltungen zu verlegen und zu verschieben. Wie schon so oft. Es ist ermüdend und frustrierend, sagt Birgitt Binder. Die Unsicherheit sei größer als je zuvor. Bis zu 15. Dezember kann man eh fast alles vergessen. Im Jakobmayer könnte man den maximal 80 Zuschauern, die zu kleineren Veranstaltungen kommen, zur Not ja einzeln erklären, dass sie mit Abstand sitzen müssen, wenn sie nicht im selben Hausstand zusammenleben. Aber was ist mit einem so gut wie ausverkauftem Publikumsmagnet wie die "Die Heilige Nacht"-Lesung mit Monika Baumgartner, den Wellküren und Stofferl Well am 17. Dezember? Im vergangenen Jahr hatte man wegen Corona erst das Publikum halbiert und zwei Auftritte nacheinander angesetzt. Dann ging gar nichts und alles wurde auf 2021 verschoben. Die verkauften Karten wurden wieder zu einer Veranstaltung zusammengelegt. Nun sollte es also endlich so weit sein. Die Leute freuen sich schon seit mehr als einem Jahr. "Doch die Regeln sind von einem Tag auf den anderen anders", sagt Binder. Die neue Infektionsschutzordnung gilt bis 15. Dezember. Kommt dann wirklich nichts nach? Kommt noch der richtige Lockdown, weil die Inzidenz über 1000 geht? Könnte man "Die Heilige Nacht" dreimal im Jakobmayer zeigen, für jeweils nur 80 Leute? Auf Frühling oder Sommer verschieben geht nicht, das dürfte jeder einsehen. Werden die Leute ihre Eintrittskarten behalten, bis es 2023 so weit ist? Und was ist, wenn dann die sechste ode siebte Welle kommt?

© SZ vom 25.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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