Erding:Braune Bedrohung

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In Ebersberg berichten Jugendliche aus dem Umfeld von JUZ und Kreisjugendring (KJR) von immer offensiver auftretenden Rechtsextremen - und legen eine Dokumentation der Vorfälle aus den vergangenen Wochen vor

Von Thorsten Rienth

Von etwa 20 Personen aus der rechtsextremen Szene ist die Rede. Rechte Parolen rufend ziehen sie vom Ebersberger Bahnhof in Richtung Jugendzentrum, wo ein Teil der Gruppe spätabends ins Gebäude kommen will. Der Sicherheitsdienst, der wegen einer größeren Veranstaltung im Einsatz ist, verhindert das zwar - aber die Situation eskaliert. Am Ende liegt einer der Angreifer von der Polizei fixiert am Boden. Selbst dem Sicherheitsdienst ist die Sache am Ende so heiß, dass er den Einsatz abbricht und wegfährt.

Dies ist die Kurzversion der Geschichte, die mehrere Besucher und Vorstandsmitglieder aus dem selbstverwalteten Jugendtreff und Kreisjugendring-Umfeld über den Abend des 20. September berichten. Die Szene mag - auch was die Größe der rechten Gruppe angeht - ein Extremfall sein. Ein Einzelfall ist sie offenbar nicht.

Ein Vorstandsmitglied des Ebersberger Kreisjugendrings gibt am Laptop Einblick in eine Dokumentation der vergangenen Wochen. Auf die Szene vom 20. September folgen weitere Einträge über Vorfälle am 5., 19. und 25. Oktober. Die Notizen beschreiben Rechtsextreme, die Jugendliche aus dem Treff auf dem Heimweg einschüchtern, "Sieg Heil" brüllen und den Hitlergruß zeigen. "Da wird aufs Übelste gepöbelt", berichtet er.

Am 27. Oktober soll es zu einem Vorfall in Steinhöring gekommen sein. "Da haben uns Leute berichtet, dass ihnen Neonazis mit Stirnlampen am Steinhöringer Weiher aufgelauert und sie danach mit dem Auto durchs Dorf verfolgt haben", gibt der 21-Jährige den Doku-Eintrag wieder. Vor den Sommerferien hätte ein Rechtsextremer versucht, einen Jugendlichen mit einer abgebrochene Flasche anzugehen.

Natürlich lassen sich Augenzeugenberichte nur schwer nachprüfen. Gleichwohl geben sie mehrere Jugendliche aus unterschiedlichen Perspektive und teilweise unabhängig voneinander nahezu gleichlautend wieder. Auffallend ist auch die Detailebene der Notizen. Etwa, dass einer der Rechtsextremen einen Pullover mit dem Aufdruck einer bestimmten Rechtsrock-Band aus dem neonazistischen Milieu getragen hätte.

"Wir halten die Berichte für authentisch, gerade auch, weil die Vorfälle sehr präzise beschrieben sind und sich auch mit unseren eigenen Erkenntnissen decken", ordnet Matthias Lorenz von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus ein. Die an den Bayerischen Jugendring (BJR) angedockte Einrichtung konnte die Dokumentation ebenfalls einsehen und steht mit den Jugendlichen in Kontakt.

Neben den unmittelbaren Bedrohungen dokumentieren die Jugendlichen Schmierereien mit, so beschreibt sie Lorenz, "teils neonazistischer und dezidiert rassistischer und antisemitischer Ausrichtung". Wie in einer Online-Galerie zappen die Jugendlichen mittlerweile durch selbst geschossene Fotos. Der "Drecks Jude raus"-Schriftzug in der Nähe der Ebersberger Altstadtpassage, "SS"-Anspielungen im Umfeld eines Steinhöringer Bauwagens, Sticker der "Identitären Bewegung" am Grafinger Stadtbahnhof.

In der digitalen Welt setzt sich diese Art der Reviermarkierung fort. Die Jugendlichen zeigen Screenshots von posierenden Neonazis. Eines der Pseudonyme ist die Kombination aus Vornamen und der Zahl "88". Sie steht in der rechten Szene als Kürzel für "Heil Hitler". Der junge Mann hinter dem Pseudonym, auch das ist sichtbar, gehört zu den Mitgliedern der Online-Gruppe des rechtsextremen Netzwerks "Reconquista Germanica".

Gibt es im Landkreis eine organisierte Naziszene? Die Antwort auf diese Frage variiert, je nachdem, wer sie beantwortet.

Frage an die Jugendlichen, ob die Personen aus dem näheren Umfeld stammten? Grob gesagt könne man von einer Achse Kirchseeon-Ebersberg-Steinhöring sprechen. Teilweise seien ihnen Spitz- oder Vornamen bekannt, manchmal auch komplette Namen. Bei größeren Gruppen, etwa bei dem Vorfall vom 20. September, hätten sie auch zahlreiche bislang unbekannte Gesichter gesehen. "Die sind organisiert, keine Frage."

Von einer rechtsextremen Ebersberger Szene möchte Ulrich Milius, Chef der Ebersberger Polizeiinspektion, allerdings noch nicht sprechen. "Glücklicherweise gibt es keine Fakten, die für einen Anstieg der Präsenz Rechtsradikaler sprechen." Im laufenden Jahr seien seiner Inspektion elf Fälle rechtsradikaler Straftaten bekannt, drei mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. "Schwerpunkt der Delikte liege in den Bereichen Ebersberg und Grafing."

Wegen der geringen Zahlenbasis dürfe man den rechnerischen Anstieg um knapp 40 Prozent jedoch nicht überbewerten. "Zudem sind uns keine körperlichen Übergriffe oder persönlichen Bedrohungen im rechtsradikalen Kontext gemeldet worden." Stattdessen gehe es um die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung.

"Wir können aber nur eigene Feststellungen oder konkrete Meldungen für ein polizeiliches Lagebild verwenden", erläutert Inspektionsleiter Milius. Gerade deshalb sei es so essenziell, dass die Polizei bei jedweden Umtrieben unmittelbar informiert würde. "Nur so können Straftaten ermittelt und Verbindungen transparent gemacht werden."

So wichtig polizeilicher Ermittlungsdruck bei rechtsextremen Vorfällen auch sei, erklärt Lorenz von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus: "Mindestens genauso wichtig ist es jetzt, dass Zivilgesellschaft, Lokalpolitik und Schulen den betroffenen Jugendlichen den Rücken stärken." Deren Engagement gegen Rassismus und Antisemitismus sowie für eine demokratische Kultur müsse dringend unterstützt werden.

Im Ebersberger Rathaus nimmt man die Berichte der Jugendlichen "absolut ernst", laut Jugendpfleger Christian Zeisel bis hoch ins Bürgermeisterzimmer. "Es ist jedem hier klar, dass es da eine deutliche Reaktion braucht", sagt er. Wie die aussehen kann, sei am Montagabend Hauptthema eines Treffens von Vertretern der Stadt, JUZ und Polizei.

Kontakt mit der Polizei scheinen die Rechtsextremen jedenfalls tunlichst vermeiden zu wollen. "Keine Aussage, sonst schlagen wir euch zusammen", sollen sie der Dokumentation zufolge unlängst einigen JUZ-Besuchern nachgerufen haben.

© SZ vom 30.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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