Eching hat bald 50000 Einwohner:Immer am Ball bleiben

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Mit der recht konsequenten Umsetzung seines in den 1970er Jahren installierten Gemeindeentwicklungsprogramms hat Eching einst für Furore gesorgt und sich von den "Schlafstädten" im Münchner Umland abgesetzt. Joachim Enßlin, damals Bürgermeister, rät nun zur Fortschreibung

Von Klaus Bachhuber, Eching

Der Oberbürgermeister bereitet sich gerade darauf vor, Echings 50 000. Einwohner zu begrüßen. Das Wachstum des Ortes hat, nachdem im Süden die Gemeindegrenze nach Garching erreicht war, mit seinen anonymen Hochhaussiedlungen längst schon nach Norden über Bahnlinie und Autobahn ausgegriffen, denn im Westen behindert der Standortübungsplatz der Bundeswehr die Entwicklung. Die Siedlungen im Süden - umgangssprachlich "Echings Neuperlach" - leiden freilich unter dem unablässigen Flugverkehr Tag und Nacht.

Diese Entwicklungsperspektive für das angehende 21. Jahrhundert war in den 1970er Jahren durchaus real. Seit 1960 hatte das einstige Bauerndorf mit gut 2000 Einwohnern um zehn Prozent an Bevölkerung zugelegt - jährlich. Diese Kurve linear fortgeschrieben, wären zur Jahrtausendwende etwa die 45 000 Einwohner erreicht worden. Stadt und Land planten im Münchner Norden, dem "Hinterhof" der Landeshauptstadt, unter anderem ein Klärwerk, den neuen Großflughafen oder den Schießplatz der Bundeswehr.

Die Trendwende hin zu der tatsächlichen - und in der Summe wohl verträglicheren - Entwicklung, die Eching in den vergangenen 50 Jahren tatsächlich genommen hat, wird markiert durch ein quadratisches Heftchen. Sein Inhalt war damals monatelang im ganzen Ort diskutiert und dann 1976 auf 64 Seiten als "Grundgesetz" des örtlichen Handelns jedem Haushalt zugestellt wurde: Das Gemeindeentwicklungsprogramm.

Darauf ausgelegt, in etwa alle 15 Jahre an veränderte Zeiten angepasst zu werden, wurde die verbindliche Leitschnur für die Ortsentwicklung 1983 und dann erneut 2003 fortgeschrieben. Eine Aktualisierung wäre angesichts der immanenten Selbstverpflichtung folglich an der Zeit; Bürgermeister Sebastian Thaler (parteilos) hat eine Art Willenserklärung dazu jüngst in einer Fußnote zur Vorbereitung der Gemeinderatsklausur anklingen lassen.

Der damalige Bürgermeister Joachim Enßlin (SPD), Spiritus Rector bei der Ersterstellung des Programms, hat den zarten Ansatz aufgegriffen und den Gemeinderat dringend zur dritten Fortschreibung ermuntert. "Nach über 15 Jahren wäre jetzt die Zeit", sagt Enßlin. Gerade auch vor dem Hintergrund der massiven Dissonanzen im Gemeinderat und einem anstehenden Wahlkampf um's Rathaus wäre "ein gemeinsam erarbeitetes Gemeindeentwicklungsprogramm für die Gemeinde ein Segen", glaubt der ehemalige Bürgermeister.

Zur Steuerung gerade des Raumes, der sich damals so massiv zu ballen begann, propagierte die Staatsregierung in den 1970ern neue Regelungsinstrumente, in Umgriff und Wertigkeit angesiedelt zwischen den großflächigen Regionalplänen und den rechtsverbindlichen Flächennutzungsplänen der Gemeinden. Enßlin griff das auf, weil er "eine Unzulänglichkeit der bestehenden Planungsinstrumente verspürt hatte". Ein Flächennutzungsplan legt fest, welche Nutzung auf einem Areal umgesetzt werden darf, ein Haushaltsplan zeigt die Ausgaben für das nächste Jahr auf. Aber das große Ganze, eine Entwicklungslinie, inhaltliche Schwerpunkte? Und viele Maßnahmen bedingen einander, entfalten Konsequenzen und Rückkoppelungen. Wo gab es eine Zusammenschau? Für alles, was langfristig wirken würde, "haben Entscheidungsgrundlagen gefehlt", erinnert sich Enßlin.

Eching definierte mit dem ersten Gemeindeentwicklungsprogramm seine Zukunft so, dass sich der Ort als "weitgehend geschlossener Lebenskreis" entwickeln solle, also Möglichkeiten zum Wohnen ebenso böte wie Arbeitsplätze, Einkaufsmöglichkeiten und eine soziale Infrastruktur - die Gegenposition zur "Schlafstadt". Eching solle "durch die Erhaltung schutzwürdiger Bereiche" ebenso wie durch die Schaffung "neuer typischer Einrichtungen" in seiner Individualität erhalten und gefördert werden - die Abkehr vom Siedlungsbrei der Vorstädte. "Der Wohnwert Echings", so der Zielpunkt 1.3, "ist durch die Abwehr und Verbesserung umweltfeindlicher Einrichtungen, die Gestaltung der Landschaft und die Schaffung verkehrsarmer, familiengerechter und kommunikationsfreundlicher Wohngebiete zu erhalten und zu verbessern".

Die grundsätzlichen Ziele sind dann in 16 Kapiteln mit weiteren Unterpunkten spezifiziert und jeweils mit konkreten Handlungsanleitungen hinterlegt, von der Strategie im Flughafenabwehrkampf bis zur Anreicherung der Flur mit Hecken und Gehölzen. Das Freizeitgelände war dann etwa so ein Ausfluss dieser langfristigen Entwicklungsplanung und seiner konkreten Umsetzung, der soziale Wohnungsbau an der Böhmerwaldstraße oder die vielen Baumpflanzungen im Ort. Basis aller Ziele und spürbarste Wirkung des Programms war die Deckelung des Wachstums, zunächst auf ein Zielwachstum von 3,5 Prozent jährlich, in der Fortschreibung dann auf zwei Prozent. Zur Jahrtausendwende hatte Eching gut 12 500 Einwohner, Anfang dieses Jahres 14 215.

Die Debatte der Entwicklungsziele in Gemeinderat und kompletter Bürgerschaft - jeder Haushalt bekam ein Arbeitsexemplar zur Mitwirkung - über Monate sei "ein wirklich schöner Prozess" gewesen, findet der frühere Rathauschef. Diese Art der gemeinsamen Beschäftigung mit dem Ort empfinde er auch als "wichtigen Akt in der Bevölkerung". Die Installation und dann die ziemlich konsequente Umsetzung des Gemeindeentwicklungsprogramms habe dann "Furore gemacht"; der Bundessieg in einem kommunalen Wettbewerb einige Jahre später, der Eching zur "Mustergemeinde" gemacht hat, wäre ohne das Papier undenkbar gewesen.

Ende der 1990er Jahre zog der Wissenschaftler und ehemalige Leiter der Bayerischen Obersten Landesplanungsbehörde im Wirtschaftsministerium, Konrad Goppel, eine eher durchwachsene Bilanz des planerischen Instruments - mit Eching als leuchtender Ausnahme. Die Gemeinde habe durch die Umsetzung des Gemeindeentwicklungsprogramms "inzwischen einen sehr hohen Wohn- und Freizeitwert mit guten Arbeitsbedingungen", urteilte der Experte 1998, "und eine sehr positive Wandlung vom dörflichen Ort zu einer gut strukturierten, lebendigen Gemeinde erfahren". Es seien mit dem Papier "bemerkenswerte, aufeinander abgestimmte Ergebnisse durch ein ständiges Am-Ball-bleiben aller Verantwortlichen über einen längeren Zeitraum erzielt worden".

Als Hemmschuh oder zu enges Korsett habe er das Programm nie erlebt, findet Enßlin, "so verbindlich ist's ja doch nicht". Aber auch wenn Details modifiziert oder über die Jahre bewusst korrigiert würden - "die Ideen, die da festgehalten sind, die haben schon bleibendes Gewicht".

© SZ vom 10.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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