Ebersberg/Steinhöring:Nie so wichtig wie jetzt

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Ende Oktober starten die "Wochen der Toleranz im Landkreis Ebersberg". Die Veranstalter wenden sich gegen Verschwörungstheorien und warnen vor dem Einfluss der Rechten

Von Karin Pill

Wehende Reichskriegsflaggen, Nazi-Symbolik und Menschen, die aggressiv die Absperrungen zum Reichstag in Berlin durchbrechen, um dort gewaltsam die Stufen zu besetzen. Diese Szene war vor wenigen Wochen, Ende August 2020, zu beobachten. Die Bilder gingen um die Welt und lösten in vielen Deutschen ein Gefühl der Beklommenheit, Angst und auch Beschämung aus. Aber auch die Bilder von George Floyd und seinem grausamen Tod durch Polizeigewalt in den USA gingen um die Welt und befeuerten erneut die Diskussion über strukturelle Diskriminierung von Minderheiten. Alles weit weg? Ja, aber auch im Landkreis Ebersberg leben Reichsbürger, man hört von Verschwörungstheorien oder begegnet Demonstranten, die gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie wettern.

Die "Wochen der Toleranz im Landkreis Ebersberg" 2020 fallen also genau in eine Zeit, in der es in der Gesellschaft brodelt wie lange nicht mehr. Von Ende Oktober bis Ende November setzen sich Veranstalter wie das Katholische Kreisbildungswerk Ebersberg (KBW), das Bündnis gegen Rechtsradikalismus "Bunt statt Braun", der Kreisjugendring (KJR) oder die Volkshochschulen ein gegen Verschwörungstheorien rund um Covid-19 und warnen vor dem Einfluss der extremen Rechten. "Das Thema Toleranz war vielleicht noch nie so aktuell und wichtig wie jetzt", sagt Jennifer Becker, Geschäftsführerin des KBW. 2018 wurden die Wochen der Toleranz ins Leben gerufen, Anlass war damals der 80. Gedenktag der Reichspogromnacht. "Die Veranstaltungen wurden damals so gut angenommen, dass wir die Reihe 2019 wiederholt haben. Dabei wurden es immer mehr Kooperationspartner und Termine, sodass wir dieses Jahr wirklich ein breit gefächertes Programm anbieten können", freut sich Becker. Es gibt Workshops, Vorträge, Diskussionen, Filmvorführungen und mehr.

Die Themen hat die KBW-Chefin mit den anderen Veranstaltern nach Beginn der Corona-Pandemie festgelegt. Die Reihe strotzt also nur so von Aktualität. Ein klares Ziel der Toleranz-Wochen ist es demnach auch, sich kritisch mit Inhalten und Veranstaltern der sogenannten Hygiene-Demonstrationen auseinanderzusetzen und auf Abstand zu gehen von Rechtsradikalen und Aluhüten. Die Veranstaltungsreihe steht im Zeichen des Verbindenden, des Überbrückens von Grenzen und des Enttarnens von Verschwörungstheorien.

Den Auftakt macht ein Vortrag von Heribert Prantl am Donnerstag, 29. Oktober, um 19.30 Uhr im Sparkassensaal in Ebersberg. Der bekannte SZ-Journalist, der als kritische Beobachter des Zeitgeschehens gilt, nimmt die Gäste mit auf eine Gedankenreise. Prantl möchte die Kluft in der Gesellschaft wieder schmälern und ruft zu einer demokratischen, rechtsstaatlichen und sozialen Offensive auf. Die Veranstaltung wird vom Youngsters Music Club begleitet. Weiter geht es am Freitag, 30. Oktober, in der KZ-Gedenkstätte Dachau: Der Historiker Markus Göttfert führt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch diesen geschichtsträchtigen Ort und möchte auf Fragen eingehen.

Vom 31. Oktober bis 29. Januar gibt es im Caritas-Zentrum in Grafing eine Ausstellung mit selbstgemalten Bildern von Kindern mit Flucht- und Migrationshintergrund zu sehen. Die Kinder leben nun im Landkreis Ebersberg. Bei einem "Werkstattgespräch zu Investigativem Journalismus" erzählen die SZ-Redakteure Leila Al-Serori und Korbinian Eisenberger von ihrer Arbeit. Dabei gehen sie auch auf die Frage ein, was man glauben und wem man trauen kann. Die Veranstaltung findet am Donnerstag, 12. November, im Jugendzentrum Zorneding statt. Am selben Abend referiert der Leiter der Landeszentrale für Politische Bildung, Daniel Can, bei der VHS Ebersberg über Verschwörungstheorien. Unter dem Motto "Von Aluhüten, Echsen und Co." klärt er auf, wie man fehlgeleitete Weltbilder erkennt. Beginn 19.30 Uhr.

Verschwörungstheorien sind auch Thema am Samstag, 14. November, denn sie stehen immer wieder im Zusammenhang mit rechter Gesinnung. Doch wie bietet man rassistischen Aussagen die Stirn? Das lernen Interessierte beim "Argumentationstraining gegen Stammtischparolen" in Grafing. Der Geschäftsführer des Kreisjugendrings, Philipp Spiegelsberger, erklärt im Workshop, wie man rechtes Gedankengut nicht einfach so stehen lässt, sondern widerspricht, so dass es einem nicht mehr die Sprache verschlägt. Spiegelsberger gibt Strategien an die Hand, die es ermöglichen, der Hetze Paroli zu bieten. Zusammen werden gängige rechte Positionen untersucht, und die Teilnehmer üben, das Wort zu ergreifen, um für solidarische Alternativen zu streiten.

Neue Leute kennenlernen, sich austauschen und Vielfalt erfahren: Das können junge Menschen ab 16 Jahren am Freitag, 13. November, bei einem Workshop im Betreuungszentrum Steinhöring. Das Kennenlernen bietet die Chance, im Gespräch mit Bewohnerinnen und Bewohnern der Gemeinde gemeinsame Vorlieben zu entdecken und sich darüber auszutauschen.

Eine weitere Veranstaltung in Steinhöring am Samstag, 28. November, behandelt das Thema "Lebensbornheim". Auf dem Gelände des Einrichtungsverbundes Steinhöring betrieben die Nationalsozialisten eine Einrichtung, die ihre rassistische Ideologie umsetzte. Während im damaligen "Haus Hochland" zumeist ledige Frauen, die dem arischen Bild entsprachen, bei der Geburt ihres Kindes unterstützt und völkisch gebildet wurden, wurden Menschen mit Behinderung aus den heute benachbarten Einrichtungen im Rahmen der Aktion "Tiergarten 4" ermordet. Bei einem Vortrag mit Rundgang erfahren alle interessierten mehr über das Lebensbornheim.

Den jüdischen Opfern der NS-Zeit gedenken - das können Interessierte am Montag, 9. November, von 19 bis 20.30 Uhr in Ebersberg im Bürgersaal im Klosterbrauhof. Anschließend gibt es einen Vortrag, bei dem Parallelen zur heutigen Zeit gezogen werden sollen. Philipp Spiegelsberger, Geschäftsführer des KJR, moderiert. Auch bei der Lesung mit Michael Stacheder begeben sich Interessierte auf die Spuren der Nazi-Vergangenheit. Stacheder, Schauspieler und Regisseur, liest aus Max Mannheimers "Spätem Tagebuch". Es ist der Zeitzeugenbericht eines Mannes, der Demütigung, Vertreibung, Internierung im Ghetto, Tod fast der ganzen Familie in der Gaskammer, Arbeitslager und KZ, Hunger, Krankheit und Misshandlung durchmachen musste. Wie durch ein Wunder hat Mannheimer die Hölle überlebt. Bis zu seinem Tod im September 2016 engagierte er sich unermüdlich für die Erinnerungsarbeit.

"Wochen der Toleranz im Landkreis Ebersberg", von 28. Oktober bis 30. November. Eine Übersicht gibt es unter https://www.kbw-ebersberg.de. Oft gibt es einen Livestream, Anmeldung erforderlich.

© SZ vom 23.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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