Ebersberg:Bisse und Hiebe für Gerichtsvollzieher

Lesezeit: 2 min

Seniorin wird am Amtsgericht zu einer Bewährungsstrafe verurteilt

Von Wieland Bögel, Ebersberg

So ganz ist nicht klar, ob die Angeklagte wirklich versteht, was im Gerichtssaal vor sich geht. Zum einen weil sie ihren eigenen Angaben nach extrem schwerhörig ist, zum anderen aufgrund einer psychischen Erkrankung. Trotzdem musste die 73-Jährige auf der Anklagebank Platz nehmen, denn die alte Dame hatte zwei Gerichtsvollzieher tätlich angegriffen inklusive Krückenschwinger und Biss in die Hand. Was nicht nur Körperverletzung ist sondern auch als Angriff auf Vollstreckungsbeamte gewertet wird - auch bei verminderter Schuldfähigkeit.

Dass eine solche vorliegt, darüber sind sich Staatsanwalt und Verteidigung einig. Die Angeklagte leidet seit Jahren an einer bipolaren Störung mit, so der Wortlaut des psychiatrischen Gutachtens, "psychotischer Ausprägung". Mit der Folge, dass bei der alten Dame "das Erregungsniveau deutlich erhöht" sei und es zu aggressiven Stimmungen kommen könne. Trotzdem sei die 73-Jährige nicht komplett schuldunfähig, da sie trotz ihrer extremen Stimmungsschwankungen grundsätzlich über eine "Einsichtsfähigkeit in Unrecht" verfüge. Also etwa wisse, dass man andere Leute nicht in die Hand beißen darf.

Wie es dazu kam schilderten die beiden Gerichtsvollzieher als Zeugen. Die Gebissene berichtete, wie sie und ihr Kollege im vergangenen November bei der nun Angeklagten "Widerstand brechen" sollten - die Formulierung ist in der Verhandlung noch öfter zu hören. Konkret ging es darum, dass in der Wohnung der 73-Jährigen ein Wasserschaden vorlag, offenbar von einiger Größe, denn später in der Verhandlung ist die Rede davon, dass es bei der darunterliegenden Wohnung durch die Decke getropft habe. Darum hätten in der Wohnung der nun Angeklagten Trocknungsgeräte aufgestellt werden sollen, doch die Frau ließ niemanden herein, weshalb der Fall den Gerichtsvollziehern übergeben wurde.

Als den beiden nach mehrmaligem Klingeln nicht geöffnet wurde, seien sie mit dem Schlüssel des Vermieters in die Wohnung gegangen, schilderte die Zeugin. Doch weit kamen sie nicht, noch bevor sie die Schwelle ganz überschreiten konnten sei die Angeklagte schreiend auf sie zugekommen. Sie habe es noch mit Reden versucht, sagte die Zeugin, und erklären wollen, dass doch nur die Geräte aufgestellt werden sollten. Doch die Angeklagte habe mit ihrer Krücke nach den beiden geschlagen, allerdings ohne zu treffen. Als ihr Kollege die Krücke zur Seite stellte, habe die 73-Jährige eine Dose Haarspray gegriffen, offenbar in der Absicht, dieses den ungebetenen Gästen ins Gesicht zu sprühen. Als man ihr auch die Dose abnahm, griff sie wieder zur Krücke. Auch diesmal ging der Schlag zwar ins Leere, weil die Zeugin die Krücke festhalten konnte. Nur befand sich ihre Hand dann in Mundhöhe der Angeklagten, die die Gelegenheit nutzte und herzhaft zubiss.

Aber ohne ernsthafte Verletzungen zu verursachen, sagte die Zeugin. Die Zahnabdrücke seien noch einige Zeit deutlich zu sehen gewesen, der Biss habe jedoch nicht geblutet. Allerdings war die Gebissene sicherheitshalber ins Krankenhaus gegangen, wo sie eine Tetanusspritze und Antibiotika bekam. Längerfristige Schäden habe der Biss aber nicht verursacht, so die Zeugin. Ihr Kollege bestätigte die Geschichte, beide erklärten übereinstimmend, die Angeklagte habe sich kurze Zeit nach der Attacke bei ihnen entschuldigt.

Was die 73-Jährige auch im Gerichtssaal erneut tat, wo sie gar nicht aggressiv wirkte, eher etwas verwirrt. Fragen von Richterin Vera Hörauf verstand sie oft nicht auf Anhieb oder verirrte sich bei ihren Antworten in komplett andere Geschichten. Dieser Zustand ist auch der Grund, warum sich die alte Dame derzeit in stationärer Behandlung befindet. Laut der Betreuerin der 73-Jährigen, habe sich deren Zustand allerdings in den vergangenen Wochen sehr verbessert, demnächst soll sie in eine betreute Wohnung übersiedeln.

Angesichts dieser Gesamtsituation regte der Verteidiger an, das Verfahren einzustellen - was der Staatsanwalt aber entschieden ablehnte. Wohl auch, weil die Angeklagte bereits 2017 wegen "Diebstahl mit Waffen" vorbestraft ist. Letztlich wurde sie von Richterin Hörauf zu einer Bewährungsstrafe von fünf Monaten verurteilt, eine Geldauflage, wie von der Staatsanwaltschaft beantragt, verhängte das Gericht allerdings nicht.

© SZ vom 29.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: