Dorfen: Vieregg-Variante zu teuer:Ausrangiert

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Als im Juni 2017 eine Delegation des Petitionsausschusses des Bundestags wegen des umstrittenen Bahnausbaus nach Dorfen kam, keimte die zarte Hoffnung in der Stadt, es werde eine verträgliche Lösung geben. (Foto: Stephan Görlich)

Der Gesamtprojektleiter der Ausbaustrecke München - Mühldorf erteilt der Dorfener Wunschlösung eine Absage. Es gibt kaum Hoffnung, das der Bund es anders sieht. Die Stadt will nun wenigstens Verbesserungen im Detail

Von Florian Tempel, Dorfen

Die Dorfener Wunschlösung zum Bahnausbau in der Stadt ist so gut wie tot. Die vom Münchner Verkehrsplaner Martin Vieregg vorgelegte Tieferlegung "ist nicht baubar", sagte Klaus-Peter Zellmer, der Gesamtprojektleiter der Ausbaustrecke München - Mühldorf - Freilassing (ABS 38), am Mittwochabend im Dorfener Stadtrat, "ohne Wenn und Aber". Die Überprüfung von Viereggs Kostenschätzung habe ergeben, dass die Vieregg-Variante mit 113 Millionen Euro sehr viel teurer wäre als der von der Bahn geplante weitgehend ebenerdige Ausbau. Vieregg reagierte irritiert und sagte, er sei "erschüttert". Er habe bis zuletzt geglaubt, "wir hätten uns geeinigt", dass seine Variante keineswegs teurer sei. Zellmer wies das schroff zurück und sagte, das sei nur "heiße Luft" und er sei seinerseits "völlig enttäuscht" von Vieregg. Der Stadtrat beschloss, in Gesprächen mit Zellmer bis Anfang Dezember wenigstens noch einige Verbesserungen des ungewollten, ebenerdigen Bahnausbaus zu erreichen. In der Dezembersitzung wird über das endgültige weitere Vorgehen entschieden.

Die Situation in der Stadtratssitzung war nicht nur durch die absolut konträren Darstellungen Viereggs und Zellmers zugespitzt. Zellmer machte zudem klar, dass es auch keine neutrale Aufklärung zu den diskrepanten Kostenrechnungen geben werde. Wenn die Dorfener Viereggs Kostenschätzung zum Bundesverkehrsministerium in Berlin schickten, werde man sich zwar auch dort die Frage stellen, "welche Zahl ist richtig?" Das Ministerium werde aber ganz sicher seiner Expertise vertrauen, machte Zellmer deutlich.

Zugleich wäre er gezwungen, einen voraussichtlichen Baupreis für die Realisierung der Ausbaupläne der Bahn anzugeben, sagte Zellmer weiter. Er würde den Betrag von 61,2 Millionen Euro nennen und wäre fortan darauf festgelegt. Ob es unter dieser festen Bedingung dann noch Sinn machen würde, mit der Stadt Gespräche über Detailverbesserungen zu führen "weiß ich nicht", sagte Zellmer, auf alle Fälle "wird es schwerer".

Mehr als einige kleinere Veränderungen der Bahn-Planung sind offenbar eh nicht drin. Zellmer sagte, es gebe keine Chance für einen Kompromiss - "ein ganz klares Nein." Eine Gleistieferlegung wie bei Vieregg werde es mit ihm nicht geben, nur ein relativ kurzes Stück unter der Bundesstraße B 15. Er werde auch nicht, wie ebenfalls in Dorfen gewünscht, die Strecke nach Süden verschieben. Größere Veränderungen seien nicht verhandelbar. Es gebe für ihn gar keinen Grund die bisherigen Planungen zu ändern, denn "ich habe eine Vorzugsvariante, und die beplanen wir".

Bürgermeister Heinz Grundner (CSU) sah die Gefahr, dass sich die Stadt in die denkbar schlechteste Lage bringen könnte, wenn sie nunmehr nicht selbst die Vieregg-Planung aufgebe. "Dass der Stecker gezogen wird, ist klar." Also sei es besser, es selbst und sofort zu tun, um die Verhandlungen um Detailverbesserungen nicht zu gefährden. "Es ist hart, aber irgendwann muss man der Wahrheit ins Gesicht sehen." Außerdem habe er, "keine Lust mich in Berlin noch einmal vorführen zu lassen".

Viele Stadträte plädierten dafür, trotz allem bei der Vieregg-Variante zu bleiben und das so auch ans Bundesverkehrsministerium zu melden. Die Fraktionen der GAL, SPD, ÜWG und der Landlisten hatten dazu - und zum Missfallen der CSU - einen gemeinsamen Antrag formuliert, der auch die weitere "enge Zusammenarbeit mit der Bahn" beinhaltete und die Forderung nach einer Überprüfung durch einen "unabhängigen Gutachter".

Ulrike Frank-Mayer (GAL) sagte, man vergebe sich wenig: "Schlimmstenfalls verlieren wir in Berlin, aber dann ist es immer noch so, dass wir keine Tieferlegung und keine Südverschiebung bekommen." Andreas Hartl (GAL) sagte, ihm missfalle die Drohung, "schickt es nicht nach Berlin, sonst kriegt ihr keine Zugeständnisse". Man setzte den Dorfenern damit "die Pistole auf die Brust". Wenn die Stadt aber nicht bei ihrer Wunschlösung bleibe, erhalte man auch "keine Rückmeldung" aus Berlin, wie man die Sache dort sehe. Sven Krage (ÜWG) bemängelte, die differierenden Kostenrechnungen seien bislang "nicht neutral bewertet worden". Heiner Müller-Ermann (SPD) räumte ein, dass "die Stadt die schlechteren Karten" habe. Er wolle aber nicht so ohne weiteres das Vertrauen in Viereggs Rechnung aufgeben. Vieregg habe bei anderen Verkehrsprojekten die Kosten sehr präzise und besser als die Deutsche Bahn geschätzt. Es wäre angebracht, wenn ein Gutachter unvoreingenommen kläre, ob Viereggs Planung wirklich "ein Fantasiegebilde" sei.

Vieregg verteidigte seine Berechnungen noch einmal vehement. Er sei "aus allen Wolken gefallen", als er in der SZ gelesen habe, dass die Bahn für seine Variante 113 Millionen Euro Kosten ansetze. "Ich kann das überhaupt nicht nachvollziehen, ich habe gemeint, wir haben uns geeinigt", sagte Vieregg, "wir haben alle strittigen Punkte sauber geklärt." Zwei Tage lang waren beim sogenannten Faktencheck in Mühldorf die Kostenschätzungen Punkt für Punkt durchgegangen worden. Vieregg ging schließlich von 74 Millionen Euro für seine Variante und 76,7 Millionen Euro für die Bahn-Planung aus. Zellmer zählt wiederum einige Kostenpunkte auf, die Vieregg fehlten und versicherte, er habe die Endsumme von 113 Millionen Euro "für mich ganz klar verifiziert".

Zellmer sagte der SZ nach der Stadtratssitzung, dass er und sein Team Vieregg nicht darüber informiert hatten, dass sie seine Variante bei 113 Millionen Euro sehen. Er habe dazu keine Veranlassung gehabt, denn Vieregg sei nicht sein Ansprechpartner, sondern die Stadt.

© SZ vom 13.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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