Asylpolitik im Landkreis Erding:Bloß keine einfache Lösung

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Die Flüchtlings-Geldkarte Kommunal Pass funktioniert seit Juni 2020 nicht mehr. Trotz Corona bekommt es das Landratsamt aber nicht hin, geflüchteten Menschen die Sozialleistungen auf ein Bankkonto zu überweisen. Hunderte müssen jeden Monat - Pandemie hin oder her - persönlich zur Bargeldauszahlung erscheinen

Von Florian Tempel

Im Internet gibt es ja einiges zu entdecken. Zum Beispiel die Seite www.fernsehserien.de. Auf dieser findet sich doch glatt ein Eintrag für Landrat Martin Bayerstorfer (CSU). Seine Filmografie beschränkt sich zwar auf einen Auftritt in der ZDF-Talkrunde von Maybrit Illner. Aber immerhin. In Folge 655 mit dem Titel "Chaos in der Flüchtlingskrise - verliert Merkel die Kontrolle?" durfte Bayerstorfer am 12. November 2015 neben Peter Altmaier (CDU), damals Kanzleramtsminister, Cem Özdemir (Grüne), damals Parteivorsitzender, Franziska Giffey (SPD), damals Bezirksbürgermeisterin von Neukölln, seine Sicht der Dinge darlegen. In der Anmoderation stellte ihn die Stimme aus dem Off als einen vor, der die "Willkommenshysterie" kritisiere. Sein persönlicher Lieblingssatz lautet damals: "Bargeld schafft falsche Anreize." Bayerstorfer ist noch immer Landrat, sein Satz von damals noch immer plump und einfältig und seine Einstellung hat sich nicht geändert.

Dabei ging es Bayerstorfer noch nie um Bares, sondern um staatliche Zahlungen an geflüchtete Menschen an sich. Seine Überzeugung ist, dass man es Geflüchteten in Geldangelegenheiten möglichst schwer machen sollte. Diese Grundhaltung zieht sich, in immer neuen Variationen, wie ein roter Faden durch seine höchstpersönliche Asylpolitik, die er immer wieder neu ausgestaltet.

Früher ließ er den Flüchtlingen in seinem Landkreis jeden Monat 34 Euro Kleidergeld abziehen. Die Menschen mussten an demütigenden Einkleidetage in Schulhallen teilnehmen, um sich aus Ramschware, die extra von einem Händler aus dem Odenwald angefahren wurde, Klamotten und Schuhe auszusuchen. Später gab es dann vom Landratsamt selbst kreierte Kleidungsgutscheine. Ein ebenfalls unnütz großer Aufwand, der alle nervte, die damit zu tun hatten. Als ihn das bayerische Sozialministerium endlich zurückpfiff und die volle Auszahlung der Sozialleistungen vorschrieb, hatte Bayerstorfer eine noch radikalere Lösung: Geflüchtete in seinem Landkreis erhielten überhaupt kein Bargeld mehr, sondern die teure und unpraktische Geldkarte Kommunal Pass des Unternehmens Sodexo, einer börsennotierten französischen Holding. Nach heftiger Kritik erlaubte Bayerstorfer Bargeldabhebungen mit der Karte, zunächst aber nur von einem Teilbetrag. Das passende Ende des Kommunal Pass kam im Juni 2020: Da die Karte von Wirecard abgerechnet wurde, funktionierte sie nach der betrügerisch verursachten Firmenpleite nicht mehr.

Das alles hätte doch - sollte man meinen - endlich dazu führen können, die Sozialleistungen für Flüchtlinge per Überweisung auf Bankkonten auszuzahlen. Im Landkreis Freising wird das so seit mehr als fünf Jahren gemacht, ohne jedes Problem, wie das dortige Landratsamt auf Nachfrage mitteilt. Seit fünf Jahren gibt es zudem das Zahlungskontengesetz, in dem klipp und klar steht, dass jeder ein Konto eröffnen darf, auch "Asylsuchende sowie Personen ohne Aufenthaltstitel, die aber aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abgeschoben werden können". In Erding aber geht seit Monaten nichts voran. Asylsuchende und Geflüchtete mit Duldung müssen jeden Monat zur Barauszahlung des Landratsamts nach Erding fahren - Corona hin oder her, für Hunderte ist das persönliche Erscheinen am Schalter Pflicht. Es ist absurd. Dieselbe Behörde, die für die Eindämmung der Pandemie zuständig ist und in Allgemeinverfügungen über Kontaktvermeidungen bestimmt, verlangt seit Monaten Präsenz bei der Auszahlung staatlicher Leistungen.

Im Dezember hat Landrat Bayerstorfer in seinem Pressegespräch gesagt, dass 56,5 Prozent der Leistungsberechtigten ein Konto hätten und man ihnen die monatlichen Zahlungen künftig voraussichtlich überweisen werden. Im Februar aber hat man den Menschen ein Blatt in die Hand gedrückt, in der es heißt, die Auszahlung auf ein Konto sei nur "eine mögliche Alternative". Weiter heißt es, das Landratsamt könne es sich "vorstellen, die monatlichen Geldleistung ab Juni" zu überweisen, aber nur wenn "90 Prozent aller erwachsenen Leistungsberechtigten uns eine eigene Bankverbindung mitteilen". Warum bei einem Ehepaar nicht eine Kontoverbindung ausreicht, wird nicht erklärt. Es ist halt wieder einmal so eine Idee aus dem Hause Bayerstorfer.

Beim Jobcenter Erding, das für Hartz IV-Empfänger zuständig ist, gibt es eine solche Extraverfügung nicht. "Aufteilungen auf mehrere Leistungsberechtigte (zum Beispiel bei einem Ehepaar) erfolgen normalerweise nicht", bestätigt Jobcenter-Geschäftsführerin Monja Rohwer.

Aber warum verlangt Bayerstorfer von geflüchteten Ehepaaren mehr als ein Konto? Da ist er wieder, der dauerhafte rote Faden des einmaligen Fernsehserien-Gastes, der es Geflüchteten in Geldangelegenheiten einfach grundsätzlich schwerer als nötig macht. Als vermeintliche Rechtfertigung hat er schon vieles angeführt: Flüchtlinge würden ihr Geld zum Kauf von Stereoanlagen zweckentfremden oder, dass es Missbrauch von Sozialleistungen sei, wenn sie etwas Geld an die Familie daheim überweisen. Die neue Forderung, dass Ehepaare zwei getrennte Konten brauchen, stammt noch aus alten Kommunal Pass-Zeiten. Bayerstorfer erklärte seinerzeit, es sei ein Vorteil der Geldkarte, dass jeder Ehepartner eine bekomme, da so Frauen vom Zugriff dominanter Männer aufs Geld geschützt werden. Perfekte Rhetorik: Bayerstorfer gibt den Feministen und bedient gleichzeitig - paternalistisch, abwertend und stereotyp - Vorurteile gegen Nicht-Deutsche. Fortsetzung folgt.

© SZ vom 13.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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