Asylbewerber:Im Takt der Eieruhr

Lesezeit: 2 min

Die Flüchtlinge in der Noterstaufnahme Berufsschulturnhalle haben weder in München noch in Erding Gutscheine oder Geld für Bekleidung erhalten. Nun stürmen sie soziale Kleiderkammern, die damit überfordert sind

Von Thomas Daller, Erding

Die kleine Kleiderkammer der Aktionsgruppe Asyl in der Freisinger Straße 38 war in den vergangenen Tagen völlig überfordert. Zu den Öffnungszeiten standen etwa 100 oder mehr Asylbewerber aus der benachbarten Berufsschulturnhalle an, die als Noterstaufnahme dient. Diese Asylbewerber sind bereits seit Anfang August in Erding und haben nach eigenen Angaben bislang weder Einkaufsgutscheine für Kleidung noch den Gegenwert in Geld vom Sozialamt erhalten. Viele haben lediglich T-Shirts, Boxershorts und Sandalen an und sagen, dass sei alles, was sie an Kleidung besäßen.

Der Ansturm habe am Montag vor einer Woche begonnen, sagte Maria Brand. Es sei kalt gewesen, manche hätten sich Decken umgehängt, um nicht zu frieren. "Menschentrauben, ein Riesengedränge, Chaos." Die Kleiderkammer der Aktionsgruppe Asyl tut was sie kann, aber die Ehrenamtlichen sind mit diesem Ansturm überfordert. Denn ihre eigentliche Aufgabe ist eine andere: Die Kleiderkammer ist gedacht für Asylbewerber, die länger in Erding bleiben und die bereits vom Sozialamt eine Erstausstattung an Kleidung erhalten haben. Wenn es darüber hinaus gehende Bedürfnisse an Kleidung gibt, kann sich diese Gruppe zusätzlich mit Waren aus der Kleiderkammer eindecken, die von Bürgern gespendet werden. Aber als Lückenbüßer für den Bekleidungseinkauf, der über das Gutscheinsystem des Sozialamts funktionieren soll, haben die Ehrenamtlichen ihre Aufgabe nie gesehen.

Maria Brand (im Vordergrund) und die ehrenamtlichen Helfer der Aktionsgruppe Asyl waren völlig überrumpelt, als vergangene Woche der Ansturm losbrach. (Foto: Renate Schmidt)

Sie versuchen es trotzdem: Sie geben Nummern aus; in Gruppen von zehn Leuten werden die Menschen eingelassen, dann wird eine Eieruhr auf zehn Minuten eingestellt. Wenn sie klingelt, muss die Gruppe die Kammer verlassen und darf mitnehmen, was sie in dieser Zeit Passendes gefunden hat. Dann kommt die nächste Gruppe. "Es ist ein Skandal, dass die seit drei Wochen allein gelassen werden", sagte Alex Lechner, der ehrenamtlich in der Kleiderkammer arbeitet. "Die laufen immer noch in den gleichen Badelatschen und Boxershorts rum, in denen sie Anfang August übers Mittelmeer gekommen sind."

Nach zweieinhalb Stunden wird die Kleiderkammer wieder geschlossen, nicht alle sind jedoch drangekommen. Lechner bittet die Wartenden um Verständnis: "We don't know when we can open again, because we're running out of things." Tatsächlich ist die Kleiderkammer nahezu leergeräumt. Es kommen zwar wieder Spenden nach, aber das Angebot kann mit der Nachfrage nicht Schritt halten. Die Asylbewerber sollen sich Gutscheine besorgen, vom Sozialamt, schärfen die Ehrenamtlichen den Bittstellern ein und schreiben ihnen die Adresse auf ein Blatt Papier.

Nach Ausgabeschluss: Etliche, die zu kurz gekommen sind, sind aufgebracht, weil sie seit Wochen kaum Gewand zum Wechseln haben. (Foto: Renate Schmidt)

Doch dort haben sie am Montag wohl auch Pech gehabt, denn es ist beileibe kein Versehen, dass diese Asylbewerber noch keine Gutscheine erhalten haben, sondern ganz bewusst so geschehen: "Tatsächlich wurden die Asylsuchenden nicht wie bei der vorhergehenden Notunterkunft im Herbst vergangenen Jahres in München zentral mit Kleidung versorgt", teilte das Landratsamt auf Anfrage der SZ mit. "Dies ist auf die stark gestiegene Zahl an Asylbewerbern und hohe Auslastung in ganz Bayern zurückzuführen. In Abstimmung mit der Regierung von Oberbayern wurde bei Bedarf auf die bestehenden sozialen Kleiderläden und die großzügigen Kleiderspenden durch die Bürgerinnen und Bürger des Landkreises verwiesen."

Nach Angaben von Claudia Kirmeyer, der neuen Pressesprecherin des Landratsamtes, wird der Krisenstab Asyl am Landratsamt Erding am Dienstag darüber beraten, wie man "schnell und unbürokratisch eine bedarfsorientierte Möglichkeit findet", die wachsende Nachfrage nach Kleidung zu decken.

© SZ vom 25.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: