Amtsgericht Erding:Frontal auf der Gegenfahrbahn

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Ein 50 Jahre alter Autofahrer fährt auf der falschen Spur. Ein 17-Jähriger und seine 16-jährige Mitfahrerin werden schwer verletzt - und werden ihr Leben lang an den Folgen leiden. Das Amtsgericht verurteilt den Unfallverursacher zu 45 000 Euro Geldstrafe

Von Gerhard Wilhelm, Erding

"Die beiden werden ihr ganzes Leben gezeichnet sein von diesem einen kurzen Augenblick." Mit den beiden meinte die Staatsanwältin den am 8. März vergangenen Jahres 17 Jahre alten Fahrer eines Leichtkraftmotorrads und seine 16-jährige Beifahrerin. Als sie an jenem Tag gegen 18.40 Uhr auf der Kreisstraße bei Finsing unterwegs waren, kam ihnen auf ihrer Fahrbahn in einer Rechtskurve ein Auto entgegen. Sie hatten keine Chance, den Unfall zu vermeiden. Beim Frontalzusammenstoß erlitten sie schwerste Verletzungen, an deren Folgen sie wohl ihr ganzes Leben lang leiden werden. Warum der 50-jährige Unfallverursacher auf der Gegenfahrbahn fuhr, blieb eine unbeantwortete Frage. Laut einem Gutachten hatte er die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht überschritten. Am Amtsgericht Erding wurde er nun wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 45 000 Euro verurteilt. Zudem muss er seinen Führerschein für sechs Monate abgeben.

Selten war ein Gerichtssaal voller als am Mittwochmorgen. Zum Prozess waren außer dem Angeklagten und seinem Verteidiger, der Staatsanwältin und Richterin Michaela Wawerla noch zwei Nebenkläger und zwei Gutachter sowie die beiden Geschädigten, Familien und Freunde erschienen, die vor allem auch eines erfahren wollten: Wieso hatte sich der Angeklagte nicht wenigstens einmal bei den Betroffenen gemeldet, geschweige denn sich bei ihnen entschuldigt? Und welche Erklärung hatte er für diesen Unfall?

Über das Warum konnte oder wollte der 50-jährige Angeklagte keine Aussagen machen. Er sei an jenem Sonntag nach einem Spaziergang in Ebersberg auf dem Heimweg gewesen. Wie es zu dem Unfall gekommen sei, beschäftige ihn selbst seit damals. Laut seinem Tacho sei er 74 Stundenkilometer gefahren. Dass er in der Kurve auf die Gegenfahrbahn geraten sei, habe er erst richtig realisiert, als er Fotos vom Unfall gesehen habe. "Ich versuche immer noch zu verstehen", sagte der Angeklagte. Es stimme aber nicht, dass er sich gar nicht gerührt habe. Er habe einen Brief an die Familie geschrieben, aber vielleicht eine falsche Adresse gehabt, fügte er an, als jemand rief, dass nie ein Brief angekommen sei. Und: "Es ist auch schwer, etwas zu erklären, was nicht erklärbar ist."

Der von der Staatsanwaltschaft beauftragte Gutachter konnte die wichtigste Frage ebenso wenig beantworten. So viel stand fest: Der Angeklagte war mit seinem 450 PS starken Gefährt vollständig auf der Gegenfahrbahn, als es zum Zusammenprall mit dem Motorrad kam. Laut den Berechnungen des Gutachters dürfte er mit 77 bis 81 Stundenkilometern unterwegs gewesen sein. Die beiden Jugendlichen auf dem Leichtkraftrad fuhren zwischen 57 und 61 Stundenkilometer schnell. Mit einem weitaus höheren Tempo hätte er die Kurve nicht regulär nehmen können, sondern wäre er nach rechts aus der Kurve geflogen.

Unklar blieb, ob er schon länger auf der Gegenfahrbahn fuhr und ob er vor dem Zusammenstoß gebremst hatte. Eine Auswertung der Fahrdatenspeicher sei bei seinem Fahrzeugtyp nicht möglich gewesen, sagte der Gutachter, und bei modernen ABS-Bremssystemen seien oft keine klassischen Bremsspuren mehr vorhanden. Der Gutachter der Verteidigung bemängelte zwar, dass sein Kollege bei einigen Annahmen in seinen Berechnungen anhand des Schadens und der Spuren am Unfallort "über das Ziel hinaus geschossen"sei. Er räumte jedoch ein, dass der Angeklagte auf alle Fälle auf der falschen Seite gefahren war.

Für den 17-Jährigen aus Forstinning und die 16-Jährige aus Markt Schwaben sind die Folgen des Unfalls bis heute dramatisch. Beide hatten zahlreiche Knochenfrakturen erlitten, sich unter anderem beide das Becken gebrochen. Der 17-Jährige war nach dem Unfall mit einem Rettungshubschrauber ins Münchner Uniklinikum Großhadern geflogen worden. Er hatte mehrwöchige Krankenhaus- und Reha-Aufenthalte, wurde mehrmals operiert und hat noch einige Operationen vor sich. Ob er jemals wieder richtig und ohne Schmerzen gehen kann, ist offen. Die Narben werden ihn ein Leben lang an den Tag des Unfalls erinnern. Seine 16-jährige Beifahrerin erlitt eine lebensgefährliche Bauchverletzung, die sie beinahe nicht überlebt hätte. Eine große Narbe über den Bauch wird sie stets an den Unfall erinnern. Zudem kann derzeit niemand sagen, ob sie jemals ein Kind bekommen kann.

Richterin Michaela Wawerla folgte bei ihrem Urteil nicht den Anträgen der Staatsanwaltschaft und der beiden Nebenkläger. Diese hatten eine Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung gefordert. Zwar habe der Angeklagte in offenbar "extremer Gedankenlosigkeit" eine "grobe Fahrlässigkeit" begangen, sagte Wawerla. Doch einen Vorsatz wollte sie dem 50-Jährigen nicht unterstellen, als er auf der falschen Straßenseite fuhr und damit das Leben der zwei jungen Menschen "extrem aus der Bahn" warf. Sie verurteilte den Angeklagte zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 250 Euro und entzog ihm den Führerschein für sechs Monate.

© SZ vom 04.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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