18 Teilnehmer eingezogen:Runter vom modernen Egotrip

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In der Hallbergmooser Kirchen-WG können Jugendliche ihren Alltag aus der Gemeinschaft heraus gestalten

Von Florian Beck, Hallbergmoos

Juliane Fischer ist stolz. Und sie hat allen Grund dazu. Schließlich hat die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Neufahrn-Hallbergmoos, in der sie Pfarrerin ist, etwas auf die Beine gestellt, das nur sehr wenige andere Gemeinden in Deutschland bieten: eine Kirchen-WG. Grundidee ist, dass alle Interessierten, egal ob Jung oder Alt, für eine Woche in der Kirche leben und ihren Alltag aus der Kirche heraus gestalten können.

In der vorletzten Juliwoche sind 18 Teilnehmer eingezogen. Bis zum vorigen Wochenende wohnten sie gemeinsam im modernen Kirchensaal. Sie breiteten ihre Matratzen und Isomatten auf der Empore aus, legten ihre Zahnbürsten zu den Waschbecken und verlegten die mitgebrachten Mehrfachsteckdosen zu ihren Schlafstätten. Im Laufe der Woche hingen sie ihre vom Duschen nassen Handtücher auf einer Wäschespinne im Foyer der Kirche auf und breiteten ihre benutzten Kleidungsstücke immer mehr auf der Empore aus.

Die außergewöhnliche Aktion fand heuer zum zwölften Mal statt. Gegründet hat das Projekt der ehemalige Pfarrer Thomas Bachmann. Im Rahmen des Projekts für modernen Gemeindeaufbau, dem der Sprengel Hallbergmoos seit sechs Jahren angehört, wollte Bachmann etwas schaffen, was die Jugend für Kirche begeistert. Und das ist ihm offenbar gut gelungen.

Bei der aktuellen Kirchen-WG gab es gleich sechs junge Teilnehmer, die außer ihrem Konfirmandenunterricht mit Kirche davor wenig am Hut hatten. Eine davon ist Noemi, zwölf Jahre alt. Sie ist bei der WG dabei, um "Neues auszuprobieren" und einfach mal ein bisschen mehr Gemeindeluft zu schnuppern. Sie und ihre Freundin Emily, ebenfalls zwölf, sind hellauf begeistert und wollen beide bei der nächsten Ausgabe im November wieder mitmachen. Besonders fasziniert hat die beiden das Trampolin im Kirchgarten und das lange Aufbleiben. Doch auch die allabendliche Andacht kam bei den beiden gut an. Das "schöne Zusammensitzen und Sich-Gedanken-machen" findet Noemi "cool". Und Emily schwärmt vom guten Essen, das die Jugendlichen - eben wie in einer echten WG - selbst zubereiteten.

Neben vielen jungen Gesichtern gibt es bei der Kirchen-WG aber selbstverständlich einige alte Bekannte. Michael zum Beispiel ist 28 Jahre und war schon "sehr oft" dabei. Er freut sich über den Nachwuchs und findet es "schön zu sehen, dass Kirche junge Menschen begeistern kann". Spaß gemacht haben ihm besonders die "Spielabende mit stundenlangem Böhmisch Watten". Allerdings wünscht er sich in Zukunft "ein paar alte Säcke mehr".

Florian hat die Kirchen-WG diesmal organisiert und freut sich über junge Teilnehmer genauso wie über "alte Säcke". Der 19-Jährige findet die Woche im Nachhinein zwar "anstrengender als gedacht", dennoch ist sie in seinen Augen einfacher zu leiten als eine Freizeit in Jugendhäusern. Pfarrerin Juliane Fischer ist voll des Lobes für Florian, schließlich war dies seine erste WG. Auch sie ist froh, dass solche Veranstaltungen im eigenen Kirchengebäude möglich sind. Sie freut sich jedes mal, wenn ihr "Plan aufgeht" und die Teilnehmer zeigen, dass sie "miteinander konstruktiv leben können". Sie hebt hervor, dass gerade die Jüngeren in der WG beweisen können, dass "sie es drauf haben", auch wenn es ihnen die Eltern eventuell nicht zutrauen.

Theologisch sieht Fischer viel Potenzial in der Aktion. Denn es geht in der WG "um eine Form von Gemeinschaft und Beziehungsaufbau, und genau dafür steht die Idee von Jesus". Auch ist die WG laut der Pfarrerin eine gute Möglichkeit, vom "modernen Ego-Ding runter zu kommen". Das hat offenbar bei allen Teilnehmern sehr gut funktioniert, immerhin gab es während der ganzen Woche gemeinnützige Aufgaben wie Semmeln holen, Kochen, Abwaschen und Andacht vorbereiten zu vergeben, denen sich kein einziger entzog. Doch so viel Freude während der Woche herrscht: Nach der WG ist man doch immer ein bisschen traurig, dass es schon wieder vorbei ist. Im Endeffekt bleibt also Allen nur die Freude auf Anfang November, wenn dann die alljährliche Herbstausgabe der Kirchen-WG startet.

© SZ vom 02.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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