Entscheidung des Amtsgerichts:Öffentliche Diffamierung per Zettel an der Tür

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10.000 Euro Ordnungsgeld oder sechs Monate Haft: Solch drakonische Strafen drohen einer Frau, falls sie in einem Mietshaus noch einmal einen Brief aufhängt, in dem eine Nachbarin beschimpft wird. Selbst dann, wenn die erhobenen Vorwürfe zutreffen.

Von Ekkehard Müller-Jentsch

Selbst wenn die Vorwürfe gerechtfertigt wären - niemand darf im Treppenhaus Briefe aufhängen, in denen ein Nachbar beschimpft wird. Das Amtsgericht München hat rechtskräftig einer Münchnerin 10.000 Euro Ordnungsgeld oder sechs Monate Haft angedroht, falls sie weiterhin ihre Hausnachbarin in öffentlichen Aushängen diffamieren sollte (Az.: 481 C 2412/12 WEG).

Es ist eine gutbürgerliche Wohnanlage im Stadtteil Gern, drei Etagen, in denen die Wohnungseigentümer selbst leben. An einem Novembersonntag klebte eine der Bewohnerinnen an die Tür einer Nachbarin einen handgeschriebenen Brief: "Ihr unverschämtes, egoistisches Herumschlagen in den frühen Morgenstunden", selbst an Sonn- und Feiertagen, solle sie ab sofort unterlassen. Der Hausfrieden sei durch ihre sechsmonatige Renovierungsarbeiten "aufs äußerste beeinträchtigt".

Jeder, der vorbeikam, konnte das Schreiben lesen. Die beschimpfte Betroffene verlangte daraufhin, derartiges zu unterlassen. Der Brief sei verletzend und beleidigend. "Ich habe nur die Wahrheit gesagt", verteidigte sich die andere, "beleidigend ist dies nicht." Prompt landete der Streit vor dem Amtsgericht.

Die Richterin machte der Beklagten klar, dass sie keinerlei Anspruch darauf habe, Schreiben mit beleidigendem Inhalt im Haus aufzuhängen. Sie könne sich selbst dann nicht auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen, wenn die Vorwürfe tatsächlich zutreffen sollten. Notfalls müsse sie eben Klage wegen Lärmbelästigungen erheben. "Sie hätten auch ein verschlossenes Schreiben schicken oder ihr Anliegen im Rahmen einer Eigentümerversammlung vortragen können", sagte die Richterin. Die Äußerungen seien wertend und geeignet, die Klägerin zu diffamieren. Das Anheften eines für jedermann im Haus sicht- und lesbaren Zettels "dient allein dem Zweck, die Gegenseite in Misskredit zu bringen", sagte die Richterin - dafür gebe es keine Rechtfertigung.

"Fühlt sich ein Bewohner durch laufende Ruhestörungen belästigt, sollte er zunächst das Gespräch etwa auch über die Hausverwaltung suchen", sagt Rudolf Stürzer vom Münchner Haus- und Grundbesitzerverein zu dem Urteil. Sei dies erfolglos, müsse der ordentliche Rechtsweg beschritten werden, über die Abmahnung bis hin zur Klage auf Unterlassung. "Kindereien, wie das Aufhängen von Zetteln, lassen solche Angelegenheiten erfahrungsgemäß nur weiter eskalieren und verhindern letztlich eine einvernehmliche Regelung, die im Sinne der Parteien wäre, die ja auch weiterhin nebeneinander wohnen müssen", sagt Stürzer.

Würde solch ein Streit unter Mietern ausgetragen werden, rät Anja Franz vom Münchner Mieterverein dazu, die Vermieter beider Parteien anzuschreiben, mit der Bitte, zu vermitteln. Außerdem sollten vom Lärm Betroffene über die Störungen Buch führen. Bei massiven Belästigungen, die so dann auch belegt werden könnten, sei sogar die Minderung der Miete denkbar.

© SZ vom 27.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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