Eltern krebskranker Kinder:Kämpfen, bangen, hoffen

Lesezeit: 3 min

Die Diagnose Krebs ist furchtbar - besonders, wenn es ein Kind trifft. Die jungen Patienten müssen langwierige Therapien durchmachen, aber auch die betroffenen Eltern brauchen Unterstützung. Vor allem seelische. Ein Besuch auf einer Münchner Kinderkrebsstation.

Lisa Sonnabend

Stefan wird wegen einer Krebserkrankung im Schwabinger Krankenhaus behandelt. (Foto: Jakob Berr)

Stefan zieht die großen Kopfhörer über die Ohren, der Siebenjährige will jetzt einen Film schauen. Er drückt auf Play. Rechts neben ihm lange Schläuche, die seinen Körper mit einer Maschine verbinden. Links neben ihm ein Schlafsack. Über ihm ein Heizstrahler. Auf dem Holzstuhl vor dem Fenster: seine Mutter, die ihn nachdenklich betrachtet.

Elena kommt jeden Tag mit ihrem Sohn in die Station 24d im Schwabinger Krankenhaus. Jeden Tag Untersuchungen, jeden Tag Medikamente, jeden Tag kämpfen, bangen und hoffen, jeden Tag für Stefan da sein, stark sein. Denn Stefan hat Leukämie.

Im Februar hatte Elena, deren Mann vor vier Jahren starb, gerade wieder eine Arbeitsstelle gefunden, dann kam die Diagnose. Seitdem läuft die Behandlung. Die beiden, die eigentlich in Passau leben und ihren Nachnamen lieber nicht nennen wollen, haben ein Zimmer in einer Wohnung gegenüber der Klinik bezogen. "Es ist wie eine WG", sagt Elena und lächelt kurz. Eine WG für Eltern krebskranker Kinder. In der sie jeden Abend Sorgen austauschen und sich gegenseitig Mut machen können. Die Elterninitiative Krebskranker Kinder München hat die Wohnung gemietet.

Die Idee des Vereins, der 1985 von betroffenen Eltern gegründet wurde und sich über Spenden finanziert: "Wir helfen, weil wir erfahren haben, wie sich das Leben mit der Diagnose Krebs verändert", sagt Angelika Andrae, die die Öffentlichkeitsarbeit macht. Krebskranke Kinder müssen langwierige Therapien durchmachen. Aber auch betroffene Eltern brauchen Unterstützung. Finanzielle und vor allem seelische. Während der Erkrankung und in den Jahren danach. Die Elterninitiative bezahlt zusätzliches Personal auf der Station: Psychologen, eine Ernährungsberaterin, Musikpädagogen. Sie sorgt dafür, dass Spiele, Filme oder Bücher gekauft werden können.

Und sie betreut die Eltern: Es wird geredet, gemeinsam gekocht oder gefrühstückt. Damit das Leben auf Station 24d ein wenig erträglicher wird. An einer Glastür steht in bunten Farben geschrieben: Kinderstation. Ein langer Gang führt durch das Stockwerk, von dem Behandlungsräume, Isolierzimmer, Wartesaal und Gemeinschaftsräume abzweigen. Aus den Fenstern blickt man hinaus auf den Innenhof. Auf Bäume, die langsam ihre Blätter verlieren.

Ein Arzt eilt vorbei, vor einem Zimmer unterhält sich eine Pflegerin mit einer Mutter. Nur Kinder sieht man nicht. Manche sind zu schwach zum Aufstehen, andere dürfen sich auf keinen Fall anstecken oder sind gerade in Behandlung. 80 bis 100 Patienten liegen auf der Station. Etwa 75 Prozent können geheilt werden, lange Therapien stehen allen bevor.

In einem Zimmer liegt Christoph auf dem Krankenbett, die Beine angewinkelt, Kopfhörer im Ohr. Der 15-Jährige ist weggedämmert, auch er hat Schläuche am Körper, die mit großen Maschinen verbunden sind. Chemotherapie. Seine Mutter steht neben ihm, entwirrt ein Kabel.

Jaqueline Thorwirth leistet Christoph während der Behandlung Gesellschaft. (Foto: Jakob Berr)

Im April erfuhr Christoph, dass er Leukämie hat. Seitdem schreibt seine Mutter Jaqueline Thorwirth Tagebuch. Sie notiert ärztliche Befunde, ihre Sorgen oder einfach nur, was es zu Essen gibt. Oft steht in dem handgeschriebenen Büchlein: "Christoph geht es heute nicht gut." Aber auch fröhliche Fotos hat sie eingeklebt, auf denen ihr Sohn Grimassen zieht. An Pfingsten durfte Christoph nach Hause, die Behandlung kann ambulant weitergeführt werden.

"Unser Verhältnis ist enger geworden", sagt seine Mutter. "Aber ich will ihn nicht betütteln." Mittlerweile muss Christoph wieder den Müll wegbringen und die Spülmaschine ausräumen. Er darf wieder Rad fahren, bald wieder zur Schule gehen. Nur Kino ist noch tabu, die Ansteckungsgefahr ist zu groß. Thorwirth ist eine optimistische, zupackende Frau. Doch die Krankheit ihres Sohnes hat an ihr gezehrt. "Die Zeit nach der Diagnose war niederschmetternd", sagt sie. Die Elterninitiative habe ihr jedoch geholfen, nach dem Schock weiterzumachen. "Sie hat mich aufgefangen."

Auf der Kinderkrebsstation wird viel geweint, Erwachsene nehmen sich gegenseitig in den Arm. Stefans Mutter hat noch eine Träne in den Augen, doch sie lächelt bereits wieder. Eine Schwester erzählt von einem schweren Krebsfall, bei dem das Kind schließlich doch gesund wurde - und nun als Schwester auf der Station arbeitet. "Ich will mehr solche positive Geschichten hören", sagt Elena. "Man trifft fast immer nur Patienten, denen es gerade schlecht geht." Gudrun Striegl, eine Frau Mitte 30, sagt, im Freundeskreis verstehe niemand die Sorgen, die sie hat. "Hier fühle ich mich dagegen verstanden."

Striegl trägt Schutzkleidung, ihre dreijährige Tochter Frida liegt wenige Meter entfernt in einem Isolierzimmer. Leukämie. Kämpfen, bangen, hoffen.

Bereits zum zweiten Mal ist Striegl mit ihrer Tochter hier. Im Juni machte die Familie gerade Urlaub, als die Schmerzen wieder begannen. Ein Rückfall. Das zweite Mal im Krankenhaus sei noch schlimmer als das erste Mal, sagt Striegl. "Denn ich weiß nun, was alles auf uns zukommt." Wie sie durchhält? "Wenn ich bei Frida bin, geht es ihr gut", sagt Striegl. "Und auch ich habe dann viel Kraft."

Gudrun Striegl (l.) tauscht sich mit einer anderen betroffenen Mutter aus.  (Foto: Jakob Berr)

Infos zur Elterninitiative und Spendenmöglichkeit unter 089/534026 oder www.krebs-bei-kindern.de.

© SZ vom 25.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: